KREISGEMEINSCHAFT BRAUNSBERG (OSTPREUSSEN)

Franz Buchholz: Braunsberg im Wandel der Jahrhunderte (Festschrift vom Stadtjubiläum 1934)

VIII. Bis zum Frieden von Tilsit (1807)

Es war am Sonntag, dem 13. September 1772, als frühmorgens bei dem altstädtischen Bürgermeister Oestreich der Preußische Kriegsrat Boltz und der Justizrat Hahn von der Königsberger Kriegs- und Domänenkammer vorgefahren kamen und unter Abgabe des königlichen Okkupationspatents mitteilten, sie seien als Kommissare geschickt, um im Namen Sr. Majestät des Königs von Preußen von der Stadt Besitz zu ergreifen, weshalb der Magistrat sogleich auf dem Rathaus versammelt weiden möchte. Dies geschah um 8 Uhr, und nun gaben die Kommissare dem Ratskollegium in aller Form die Okkupation bekannt, überreichten das Patent zur allgemeinen Bekanntgabe, verboten, von der bisherigen Landesregierung weitere Befehle entgegenzunehmen, und versiegelten die städtischen Kassen und Archive. Die Ratsherren äußerten Bedenken, weil sie durch den Treueid ihrer Landesherrschaft verpflichtet seien, und deshalb müßten sie sich mit ihr ins Benehmen setzen. Das wurde ihnen schließlich gestattet, und so entsandten sie nach Heilsberg den Bürgermeister Anton Hanmann und Ratsherrn Schorn, nach 179 Frauenburg die Bürgermeister Johann Kämpff und Oestreich. Dieselbe preußische Bekanntmachung erfolgte auch im fürstbischöflichen Schloß und vor dem herzitierten Rektor des Jesuitenkollegs Szaba. Währenddessen wurden von einem Dutzend preußischer Soldaten die bischöflichen Wappen von den Toren und dem Rathaus abgenommen und der preußische schwarze Adler angeheftet. Schon mittags wiederholten die Kommissare in der Residenz des Domkapitels ihren hohen Auftrag, und ähnlich geschah es in den meisten anderen Bistumsstädten.

Fürstbischof Krasicki zeigte sich über die Treue seiner Braunsberger sehr erfreut und behielt die Deputierten zur Tafel, konnte aber der Entwicklung der Dinge keinen Einhalt gebieten. Zum 27. September wurden Vertreter des Ermlandes nach Marienburg befohlen, wo sie mit den Abgesandten des ebenfalls mit Preußen vereinigten Westpreußen auf dem Schloß dem neuen Landesherrn den Huldigungseid schwören sollten. Von der Altstadt Braunsberg wurden dazu die Bürgermeister Kämpff und Hanmann und der Stadtsekretär Martin Poschmann abgeordnet, die am 23. ihre Reise antraten. Nach vollzogener Huldigung erhielten die Deputierten eine mit dem Siegel versehene gedruckte Wiederholung ihres Eides, die sie nach Hause nahmen.

Um die notwendigen statistischen Unterlagen für die Verwaltung u. Steuererhebung in dem besetzten Gebiete zu erlangen, bereiste eine preußische Klassifikations-Kommission von Ende September bis Anfang November das Ermland. Aus den wertvollen protokollarischen Aufnahmen seien folgende Angaben über die damaligen Braunsberger Verhältnisse mitgeteilt:

Der Rat der Altstadt setzte sich aus 13 Männern zusammen: dem präsidierenden Bürgermeister Kämpff, 57 Jahre alt, 27 im Rat, dessen Jahreseinkünfte einschließlich Sporteln 287 Gulden betrugen. Zweiter Bürgermeister war der 60jährige Oestreich, der 35 Jahre im Dienst war und als rechtsgelehrt angesprochen wurde, wenn er sich auch nicht einer juristischen Prüfung unterzogen hatte; seine Einnahmen betrugen 69 G. Der 3. Bürgermeister Hanmann 49jährig, 23 Jahre im Rat, galt ebenfalls als rechtskundig. Das älteste Ratsmitglied war der 80jährige Andreas Weinreich, der seit 48 Jahren zum Magistrat gehörte; Kämmerer war der 70jährige Georg Lunitz, der 36 Dienstjahre im Rat zählte und 101 Gulden bezog. Der 56jährige Joseph Braun war Stadtrichter, aber ohne besondere Vorbildung, Schorn hatte das Steuerwesen und die Ziegelscheune zu betreuen, sein 44jähriger Bruder Joseph war Beisitzer beim Stadtgericht und Inspektor der Stadtwache, der 75jährige Anton Spohn Pfahlherr; der 42jährige Heinrich Melchior war mit 21 Dienstjahren, von denen die ersten 14 allerdings seine hauptamtliche Tätigkeit als Stadtsekretär ausmachten, Provisor der Braupfannen. Mühle und des Mälzhauses. der 34jährige Joseph Bertram mit 8 Ratsjahren war Wettrichter, Rössel Inspektor der Stadtfelder und Beisitzer beim Wettamt. Der Stadtnotar Poschmann. 33 Jahre alt, 5 Jahre im Amt, war rechtskundig und bezog als berufsmäßiger Beamter ein Jahresgehalt von 330 Gulden.

Der Magistrat hatte das freie Wahl- und Selbstergänzungsrecht und brauchte nicht einmal, was der preußischen Kommission auffallend erschien, dem Landesfürsten von den Wahlen eine Anzeige zu erstatten. Die jährliche Kür fand zu dieser Zeit am Montag vor dem Sonntag Laetare statt, wobei der Vorsitz im Bürgermeisteramt und in den einzelnen Dezernaten wechselte. Schon das vollendete 20. Lebensjahr genügte zur Bekleidung des Stadtschreiberamtes; nicht viel älter brauchte man zu sein, um zum Ratsherrn gewählt werden zu können; die Zugehörigkeit zu den wohlhabenden u. angesehenen Geschlechtern war, wenn nicht ausschlaggebend, so doch sehr förderlich. Das erscheint auch insofern verständlich, als die Ratsherren ihre zeitraubende Tätigkeit ehrenamtlich ausübten; denn die geringen Geldeinnahmen, zu denen jeder noch zwei Achtel Holz aus dem Stadtwald bezog, boten nur ein schwaches Entgelt für die anspannende und verantwortliche Mühewaltung. Der Stadtnotar bildete als einziger berufsmäßiger Beamter eine Ausnahme.

Der Magistrat der Neustadt bestand damals aus folgenden 8 Mitgliedern: dem dirigierenden Bürgermeister Andreas Geritz, 55 J. alt, 23 im Rat, dessen Einnahmen aus Sporteln sich auf etwa 100 Gulden beliefen. 2. Bürgermeister war der 48jähr. Thaddäus Firley, 24 Jahre im Dienst, Kämmerer Simon Neubauer, Wettrichter der Senior des Kollegiums, der 63jährige Peter Klawki. Stadtrichter der von seiner Jacht uns schon bekannte 50jährige Bredschneider, dem als richterliche Beisitzer Johann Palmowski und Joseph Czodrowski zur Seite standen. Der 46jährige Stadtnotar Johann Schlattel war schon 26 Jahre im Dienst und bezog ein Gehalt von rund 300 Gulden, freie Wohnung und hatte 4 Morgen Acker.

Auch in der Neustadt ergänzte sich der Rat selbst, muhte aber die getätigte Wahl durch zwei aus seiner Mitte dem Schloßhauptmann anzeigen.

Die Altstadt zählte i. J. 1772 207 Feuerstellen, in den Vorstädten 156. Als öffentliche Gebäude wurden aufgeführt das 181 Rathaus, Nachhalls, Packhaus, Badestube (in der Wasserstraße), worin jetzt das Lazarett, Schießgarten, Wohnung für den Totengräber, 5 Wohnungen für die Stadtbedienten, Stadtstall; auf der Vorstadt wurde unter den öffentlichen Gebäuden der schwarze Adler, ein Wachhaus, Holzhof und Scheune und Malzhaus (in der Malzstraße) benannt. Die Einwohnerschaft umfaßte 2871 Seelen. Davon waren nur 190 Vollbürger, 42 Handwerker in den Vorstädten hatten das Bürgerrecht nicht erworben. Auf dem Köslin wohnten Mietsleute und Tagelöhner. 6 Geistliche wirkten an der Pfarrkirche. Das Jesuitenkolleg zählte einschließlich der Novizen 32 Ordensmitglieder, 200 Gymnasiasten und 14 Küchen- und Stallbediente; im päpstlichen Alumnat waren 20 Zöglinge und 13 Bedienstete, im ermländischen Priesterseminar 19 Kandidaten und 3 Küchenbediente. Das Katharinenkloster umfaßte 21 Nonnen und 6 Mägde in Küche und Stall. Insgesamt wohnten in der Altstadt und ihren Vorstädten 643 Männer, 643 Weiber, 403 Knaben unter 12, 50 über 12 Jahre, 375 Töchter unter, 147 über 12 Jahre, 11 Gesellen, Jungen und Knechte unter 12, 94 über 12 Jahre, 9 Dienstmädchen unter 12, 157 Mägde über 12 Jahre, 336 Geistliche und Gymnasiasten.

An Grundbesitz verfügte die Altstadt einschließlich der Viehweide und der zu den Häusern gehörigen sog. Radikalgründe und der Kirchenländereien über 124 Hufen ohne Wald. Außer den drei Dörfern Huntenberg, Willenberg und Stangendort besaß die Stadt das Vorwerk Auhof von 8 Hufen, das unlängst urbar gemachte Vorwerk Kälberhaus, die Wecklitz-Mühle mit 2 Rädern, eine Ziegelscheune und das Wirtshaus Pfahlbude. An Fabrikanten werden nur 9 Tuchmacher in der Stadt aufgeführt, die die Jahrmärkte besuchen und einige Waren auch nach Danzig exportieren. Die Braugerechtigkeit steht 76 Bürgern zu, von denen sie aber nur 37 ausüben. 7 Bürger brennen Branntwein. Außer diesen Bürgern und den Handwerkern treiben einige Handel, „der wie auch überhaupt alle Nahrungsarten seit geraumer Zeit in großen Verfall geraten ist." Als öffentliches Feuergerät werden u. a. 2 Spritzen mit Messingröhren und Schläuchen, 2 Wassersäcke, 26 Feuereimer, 2 Feuerlaternen, 3 große Feuerleitern erwähnt; im übrigen sollte jedes Bürgerhaus 1, die größeren 2 Feuereimer besitzen.

Die Einkünfte der Stadtkämmerei wurden nach dem Durchschnitt der letzten 6 Jahre auf 9241 Gulden errechnet, von denen einige Posten hier herausgehoben seien. Die bedeutendste Einnahme kam von Auhof, das mit Scharwerk von den Stadtdörfern bewirtschaftet wurde, nämlich rund 2193 G. Willenberg zinste jährlich 596 G. bar, dazu 86 Scheffel Hafer, 110 Hühner, 22 Gänse, Stangendorf 475 G., 64 Sch. Hafer. 80 Hühner, 16 Gänse, Huntenberg 443 E., 63 Sch. Hafer, 60 Hühner. 12 Gänse, Kälberhaus zahlte 400 G. Pacht. Aus der Brauakzise kamen durchschnittlich 1519 G. ein. dazu aus der Benutzung der Stadtbraupfannen 36 G., des Mälzhauses 68 G. Das Pfahlamt erbrachte einschließlich der Miete von der Pfahlbude 976 G. Die Gewerke zahlten jährlich 512 G. und zwar die Bäcker 108, Schuhmacher 106 G., Schmiede 60, Fleischhauer 49, Schneider 37, Töpfer 26, Tischler und Maurer 24, Leinweber 20, Böttcher 19, Tuchmacher 16, Kürschner 12 und Radmacher 8 G. Kaufleute und Bürger, die zu den genannten Gewerken nicht gehörten, zahlten unter dem Titel Nahrungsanlage von ihrem Gewerbe jährlich 409 G. Außerdem wurde von den Kaufleuten für ein- und ausgehende Waren noch eine besondere Steuer erhoben, die 409 G. eintrug.

An Grundzins kamen aus Stadt und Vorstädten 272 G. ein. Die Jahrmarktsbuden ergaben 230, die Stadtmühle 139, der Schwarze Adler 170, der Stadtroßgarten 68, die Ziegelscheune 57, der Schießgarten 40, die Stadtwaage 30, das Packhaus 20 Gulden. Von diesen Einkünften mußten 4 500 G. Schutzgelder an die Krone Polen abgeführt werden. Von der anderen Hälfte wurden an die städtischen Beamten und Angestellten Entschädigungen und Gehälter bezahlt und die öffentlichen Bauten besorgt. Dem bischöflichen Landesherrn waren außer den Akzisen 58 G. Anerkennungszins sowie ein Drittel der Gerichtsstrafen zu entrichten.

Der Bestand an Pferden und Vieh bezifferte sich in der Altstadt und den Vorstädten auf 396 Pferde, 45 Fohlen, 112 Ochsen. 233 Kühe. 40 Stück Jungvieh, 130 Schafe, 215 Schweine und 8 Ziegen. Zur Aussaat brauchte man 1 Last (60 Scheffel) 49 Scheffel Weizen, 27 Last 23 Sch. Roggen, 17 L. 3 Sch. Gerste, 5 L. 36 Sch. Erbsen, 22 L. 19 Sch. Hafer. An Erträgen brachten Weizen und Roggen in einem Mitteljahr das dritte, Gerste, Erbsen und Hafer das vierte Korn. Die Gesamternte leichte also bei weitem nicht zur Ernährung der Einwohnerschaft aus: dabei rechnete man für den Kopf jährlich 3/4 Sch. Weizen. 6 Sch. Roggen. 6 Sch. Gerste zu Grütze und 5 Sch. zu Bier, 1 Sch. Erbsen und etwas Hafer zu Grütze. Wir sehen aus diesen Zahlen, welche Bedeutung damals Erbsen und Grützen für die Volksnahrung hatten, als noch die Kartoffel fehlte.

Die Neustadt zählte 200 Feuerstellen und 195 Bürger. Die Gesamtbevölkerung betrug 1378 Personen, wovon 314 183 Männer, 382 Frauen, 244 Söhne, 280 Töchter, 105 Dienstmägde, 37 Knechte und Jungen und 16 Gesellen waren. 46 Hufen Hausäcker waren in Morgen an die Eigentümer vermessen, 10 Hufen 18 Morgen sog. Freiacker gehörten den Bürgern als Eigentum. Der sog. Peterhagen mit 34 Morgen Säeland wurde alle 6 Jahre der Bürgerschaft durch das Los verpachtet. Am unfruchtbaren Moor stand eine Ziegelscheune. Außer 51 Mälzenbräuern und 3 Branntweinbrennern werden auch in der Neustadt 9 Tuchmacher als Hauptvertreter des Gewerbes erwähnt.

Die Kämmereieinnahmen waren erheblich geringer als in der Altstadt und erreichten mit Mieten, Pachten, Marktgeldern, Ziegeleiabsatz, Bürgerrechtsgeldern im letzten Jahre 1240 Gulden; davon mußte die Stadt dem Bischof jährlich 137 G. Grundzins abführen, dazu ein Drittel der Gerichtsstrafen und die Akzisen. An Weizen hatte die Neustadt über ihre eigenen Erträge einen Anlauf von 555 Sch. Weizen, 6266 Sch. Roggen, 6229 Sch. Gerste, 2446 Sch. Hafer und 1577 Sch. Erbsen nötig. 316 Pferde, 23 Fohlen, 62 Ochsen, 169 Kühe, 29 Stück Jungvieh, 41 Schafe und 201 Schweine waren das lebende Inventar der neustädtischen Ställe.

Der Etat beider Städte belief sich also i. J. 1772 auf rund 10 500 Gulden, nach preußischem Gelde 3 500 Taler; eine sehr geringe Summe, wenn man bedenkt, daß davon nicht nur die ganz unerheblichen Verwaltungskosten, sondern auch die Zahlungen an die ermländische Landesherrschaft und die polnische Krone zu bestreiten waren. Eine der ersten Maßnahmen, die die neue preußische Regierung vollzog, war, daß sie die beiden Städte, die oft in kleinlicher Rivalität einander befehdet hatten, zu einem städtischen Gemeinwesen vereinigte. Gemeinsamer Juftizbürgermeister wurde der bisherige Großkaufmann Franz Oestreich, ein geborener Guttstädter, der in Königsberg die Rechte studiert hatte. Als Polizeibürgermeister wurde ihm der preußische Steuerrat Johann Jakob Velhagen saus der Bielefelder Buchhändlerfamilie) zur Seite gestellt. Aus den Ratsherren beider Städte wurde ein gemeinsamer Stadtrat gebildet, der seine Sitzungen im altstädtischen Rathaus abhielt. Poschmann wurde Stadtsekretär, Czodrowski Stadtkämmerer. Im neustadtischen Rathaus wurde eine Dienstwohnung für den Polizeibürgermeister eingerichtet.

Die größeren Finanzansprüche des preußischen Staates erwiesen sich in dem Steueranschlag, den Oberpräsident Domhardt für 1773 aufstellte. Danach sollten die 4860 Einwohner von Braunsberg an Akzise und Tranksteuer 12150 Taler, an Servis oder Quartiergeldern 3240, an Kopf- und Hornschoß der Stadtdörfer 168, an Mühlengefällen 648, Salzertrag 972, Warenzöllen 1000, insgesamt 18178 Taler aufbringen. Als direkte Staatssteuer kam die Kontribution in Höhe von 1758 Taler hinzu. Für die Besoldung der Staatsbeamten und andere Kommunalbedürfnisse wurde ein Betrag von 3 655 Taler in Aussicht genommen. So stieg der Jahresetat von 3 500 auf 23 000 Taler.

Hatte schon kurz vor der preußischen Okkupation preußisches Militär in Braunsberg Garnison bezogen, so wurde die Stadt i. J. 1773 Standort des Füsilier-Regiments von Luck, das nach seinen späteren Kommandeuren umbenannt wurde (1780 von der Goltz, 1784 Graf von Schwerin, 1785 von Raumer, 1786 von Favrat, 1794 Graf zu Anhalt). Nachdem das Regiment infolge der 3. Teilung Polens verlegt worden war, zog i. J. 1799 das Infanterie-Regiment von Diericke unter seinem dichterisch tätigen, Prügelstrafen und Spießrutenlaufen verabscheuenden Kommandeur ein, das bis zum Kriege 1806 in der Passargestadt verblieb. Die religiösen Bedürfnisse der überwiegend evangelischen Offiziere und Mannschaften machten die Berufung eines Feldpredigers notwendig. Der Königsberger Gouverneur von Stutterheim sandte den Kandidaten der Theologie Jester nach Braunsberg, der außer der Militärgemeinde auch die anziehenden protestantischen Beamten und Geschäftsleute betreute. Als Raum für ihren Gottesdienst benutzten sie den großen Vorsaal des altstädtischen Rathauses. Der Garnisonküster Kloß errichtete für die evangelischen Soldatenkinder eine Elementarschule. Die Toten wurden meist in Grunau begraben, bis der Polizeibürgermeister Velhagen den schon lange unbenutzten Friedhof des ehemaligen St. Georg-Hospitals der jungen evangelische Gemeinde am 1. Juni 1782 als Begräbnisplatz überwies. Im selben Jahre gelang es ihm auch, in der Person des Soldauers Krickente der Gemeinde einen staatlich besoldeten Katecheten und Rektor zu gewinnen, der die erste evangelische Schule eröffnete und mit Beihilfe des Staates in der Vorstadt gegenüber dem Et. Andreashospital ein eigenes Schulhaus erbaute. (Nachdem in den Stürmen des Reiterkrieges sowohl das Hl. Geist- wie das St. Georgs-Hospital in Flammen aufgegangen waren, waren beide Stiftungen vereinigt und ein massiver Neubau auf der Stelle des früheren Hl. Geist-Hospitals aufgeführt worden, das St. Andreashospital, das 1804 als baufällig und verkehrsstsrend niedergelegt wurde. Nach Vereinigung verschiedener 185 Hospitäler und Fonds i. J. 1849 konnte i. J 1850 der Neubau in der Seeligerstraße bezogen werden.)

Als Bürgermeister Velhagen i. J. 1784 starb, stellte die evg. Gemeinde den Antrag, das bis dahin von ihm bewohnte neustädtische Rathaus zu einer Kirche ausbauen zu dürfen. Friedrich der Trotze erteilte dazu die Genehmigung und ließ zum Umbau 1200 Taler überweisen. Der königliche Amtmann Hardt, der als Nachfolger des bischöflichen Burggrafen vom Schloß aus das Domänenamt verwaltete, leitete den Bau, und am 1. Januar 1786 bezogen in feierlichem Gottesdienst die vereinigte Zivil- und Militärgemeinde die neue Kirche. Der Feldprediger Dittmar übernahm die Vormittagspredigt, der Katechet und Rektor die Nachmittagsandacht. Die ersten Kirchenvorfteher, der Großbürger und nachmalige Stadtkämmerer Johann Herzog und der Klempnermeister Matthias Wolfgang Herzog, wurden 1787 von Bürgermeister und Rat vereidigt.

Trotz der Vereinigung der beiden Städte wurden alle Tore militärisch besetzt gehalten. Regimentskommandeur Graf Schwerin machte im November 1784 den Vorschlag, die Wachen am Mühlentor der Altstadt und der Einfahrt in die Neustadt vom Vorstädtischen Markt aus einzuziehen, um den freien Verkehr der beiden Stadtteile namentlich während der langen Winterabende nicht zu behindern. I. J. 1786 wird der Plan in der Weise verwirklicht, daß die Torwachthäuser am Mühlen- und Kesseltor, sowie an der neustädtischen Einfahrt abgebrochen werden. Dafür wird auf der Königsberger Straße ein neuer Torweg mit Wachthaus (Nr. 12) errichtet, in der Wache am Mehlsacker Tor (Hindenburgstr. 66) ein Offizierzimmer angebaut, eine Unteroffizierwache vor dem Kesseltor auf der Vorstadt und eine Hauptmacht auf dem altstädtischen Markt aufgeführt. Zu den Neubauten werden außer den niedergelegten Wachtgebäuden auch die oberen Teile der äußeren Ringmauer nördlich des Obertors bis zum Pfaffenturm zur Verfügung gestellt.

Die gesteigerten Verkehrsbedürfnisse und Baufälligkeit machten allmählich auch den Stadttoren und dem alten Mauerwerk den Garaus. So wurde die 22 Fuß über dem Stadt» graben liegende massive Brücke vor dem Obertor i. J. 1791/92 abgebrochen und die Öffnung verfüllt, der sog. Kohlenturm, der dort lag, wo die Zugbrücke begann, i. J. 1793 niedergelegt, der Turm des Hohen Tores i. J. 1803 bis zum 1. Stockwerk abgetragen und in den sechziger Jahren völlig beseitigt. Das alte Nagelschmiedetor in der Wasserstraße fiel 1791 der Spitzhacke zum Opfer, ein neuerbautes Tor kam bereits 1819 zum Abbruch. Der blaue Turm im Süden der Pfarrkirche wurde in der Zeit zwischen 1806 - 19 niedergelegt. Die Ostpreußische Kriegs- und Domänenkammer wünschte schon i. J. 1805 den Abbruch des Mühlentors, das als Getreidemagazin benutzt wurde; erst 1827 kam dieser Plan zur Durchführung. Am längsten hielt sich das Kesseltor, das erst 1843 niedergelegt wurde. So schwanden jahrhundertealte Baudenkmäler, die mit der Kultur- und Kriegsgeschichte der Stadt aufs engste verwachsen waren.

Wie der Einzug einer dauernden Garnison und die Bildung einer evangelischen Gemeinde das Gepräge der städtischen Bevölkerung wesentlich umgestalteten, so geschah es auch durch die Aufhebung des Jesuitenordens. Als Papst Klemens XIV. unter dem Druck mehrerer katholischer Staaten i. J. 1773 zu dieser Maßnahme schritt, verbot Friedrich der Große die Bekanntgabe des Aufhebungsbreves und sagte den Jesuiten, die er namentlich als tüchtige und billige Lehrkräfte schätzte, seinen Schutz und die Belastung in ihrer bisherigen Verfassung zu. I. J. 1772 setzte sich die Braunsberger Niederlassung aus 18 Patres, 7 Novizen und 7 Brüdern zusammen, von denen der Rektor Zaba aus Polen, 2 Patres aus Litauen und 1 Bruder aus Bayern, alle übrigen aus dem Ermland stammten. Im Verzeichnis d. I. 1773 werden nur noch 19 Mitglieder aufgeführt, und zwar 12 Patres, als Rektor der Danziger Joseph Schorn, 3 Novizen und 5 Brüder; die fremden Patres gehören dem Kolleg nicht mehr an. Unter dem königlichen Schutz setzten die Braunsberger ihre bewährte pädagogische Wirksamkeit fort, bis ihnen am 22. Juni 1780 der ermländische Generalvikar Karl von Zehmen in ihrem Refektorium das päpstliche Breve amtlich bekanntgab und eröffnete, daß sie fortan Namen und Tracht ihres Ordens abzulegen hätten, aber als Weltpriester ihre bisherige Arbeit fortsetzen könnten. Da dem König an dem Bestände der blühenden Jesuitenschulen viel gelegen war, vereinigte er die 8 im Ermland und Westpreußen aufgehobenen Kollegien zu einem Kgl. Schuleninstitut, an dem die Ex-Jesuiten als literarische Patres weiter unterrichten sollten. Als Protektor war bei dem schwierigen Umbau dieses kath. höheren Schulwesens der Koadjutor des Kulmer Bischofs Graf Karl von Hohenzollern tätig. Die Braunsberger Anstalt wurde zu einem akademischen Gymnasium erhoben, an dem zugleich der ermländische Klerus seine philosophische und theologische Ausbildung erfahren sollte. Das Kapital und Grundvermögen des aufgelösten Kollegs wurde vom Staate eingezogen und aus den Erträgen der Betrag von 1109 Talern für die 187 Verpflegung und Besoldung des Rektors, der 5 Professoren und 2 „abgelebten" Patres zur Verfügung gestellt; zweifellos äußerst gelinge Mittel, mit denen ein so umfassender Lehrbetrieb nur notdürftig aufrecht erhalten werden konnte. Die Jesuitendruckerei hatte schon i. J. 1773 mit einem Verzeichnis der hier erschienenen und noch käuflichen Bücher ihre letzte Veröffentlichung herausgebracht. Seit 1784 begann man das Lager der Druckschriften zu räumen. Erst 1795 wurden die beiden über 20 Jahre brachliegenden Druckpressen und das zugehörige Material, allein 66 Kisten Lettern, für 400 Taler an den Hofbuchdrucker Kanter in Marienwerder verkauft, obwohl sich der Magistrat um die Erhaltung der Druckerei am Orte bemüht hatte. Das baufällige Druckereigebäude war schon 1792 niedergelegt worden. Die beiden unbenutzten 70 Fuß tiefen und 4 Stockwerke hohen Schulgebäude in der Kollegienstraße waren zunächst an Offiziere der Garnison als Wohnungen vermietet und wurden später an Bürger verkauft, das Eckhaus von der Firma Kuckein als Speicher verwendet. Die Wappentafel an der Straßenfront erinnert noch heute daran, daß diese Gebäude durch die großzügige Unterstützung des Domherrn Mathias Montanus i. J.1646 vollendet wurden. 1805/06 wurde das alte Kolleg wegen Baufälligkeit abgebrochen; für die Unterrichts-zwecke genügte der Neubau, der auch den Lehrern Obdach bot.

Seitdem i. J. 1797 Papst Pius VI. der Napoleonischen Gewaltpolitik zum Opfer gefallen war, hörten die bisherigen Zahlungen der römischen Kurie für das Braunsberger Missionsseminar, das seit 1783 nur preußische Staatsangehörige aufnehmen durfte, auf. Daher mußte der Regens Exjesuit Maximus Lowicki im September 1798 seine letzten Alumnen entlassen. Da aber das 1651 erbaute Diözesan-Priesterseminar am Kirchenplatz dem Einsturz nahe war, überließ Pius VII. auf Bitten des ermländischen Bischofs Karl von Hohenzollern im Oktober 1800 das leerstehende Steinhaus mit dem zugehörigen Landbesitz als Heim für die Theologiestudenten der Diözese; bis 1932 hat es diesem Zwecke gedient. Nach Abbruch des Seminargebäudes an der Pfarrkirche wurde die Baustelle i. J. 1827 zur Errichtung der kath. Knabenschule geschenkt.

Nachdem auf Erneuerungsarbeiten an der Jesuitenkirche in den Jahren 1805/06 1200 Taler verwandt worden waren, gab die Ostpreußische Kriegs- und Domänenkammer i. J. 1809 den Befehl, den ehrwürdigen mittelalterlichen Monumentalbau abzubrechen und vorher die Utensilien meistbietend zu verlaufen. Diese mit den heutigen Auffassungen über Denkmalspflege unvereinbare Maßnahme wurde damit begründet, daß der Einsturz der Kirche zu befürchten sei. Es war nämlich der auf dem Kollegplatz 1757 angelegte große Brunnen zugeworfen und da. durch bewirkt worden, daß die unteren Gewölbe des Gotteshauses sich mit Wasser füllten und die Bodenfliesen gehoben wurden. Statt das Grundübel etwa durch Röhrenleitungen zum Stadtgraben zu beseitigen, riß man in unverständlicher Barbarei das bedeutende Bauwerk nieder, dessen Schutt noch im Herbst 1813 nicht weggeräumt war. Aus dem Verlauf der Baumaterialien und des wertvollen Inventars wurden ganze 8392 Taler vereinnahmt. Die Orgel, einige Altäre, Kelche und Paramente wurden für andere ermländische Kirchen ersteigert, viele Stücke an Silberwerk, Kupfer- und Messinggerät, Bilder, Ornate, Grabsteine u. a. gingen in die Hände von Altwarenhändlern und Laien über. Reste des gotischen Chorgestühls sind noch in der Sammlung für christliche Kunst des Akademie-Museums erhalten.

So setzte mit der Aufhebung des Jesuitenordens ein unaufhaltsamer Niedergang der Braunsberger Lehranstalten ein. Dem Verfall der Gebäude entsprach der Rückgang des Schulbetriebes. Ein kleines, schlecht besoldetes Kollegium, zumeist noch frühere Jesuiten, unterrichtete auf 5 Klassen in Theologie, Philosophie und den gymnasialen Fächern angehende Priester bis herab zu Knaben von 7—8 Jahren. Trotzdem war die Schülerzahl i. J. 1808 auf 55 gesunken.

Erfreulicher ist dagegen das Bild der damaligen wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt. Vor allem war es der Garn-Handel, durch den das Handelshaus Oestreich weitreichende Geschäftsbeziehungen gewann. Die Frau des Ratssekretärs Oestreich Magdalene geb. von Kärpen hatte mit geringem Kapital das Unternehmen begonnen, das bald ihr Mann in die Hand nahm. I. J. 1747 verband er sich mit dem Bürgermeister Heinrich Schorn zu einem Kompagnie-Geschäft, machte sich 1752 selbständig und nahm i. J. 1782 seinen Sohn Johann als Gesellschafter in die Firma auf. Dieser, am 6. September 1750 geboren, hatte schon mit 16 Jahren das Jesuitenkolleg absolviert und dann die Universität Königsberg bezogen, wo er außer juristischen Vorlesungen auch philosophische bei Kant hörte. Der berühmte Professor hatte einmal der Familie des Bürgermeisters Schorn in Braunsberg einen Besuch gemacht, und wahrscheinlich auf Schorns Empfehlung durfte der junge Obstreich in Kants Hause verkehren. 1770 kehrte er heim, um sich im elterlichen Geschäft einzuleben, das ihm der Vater, inzwischen Bürgermeister geworden, allmählich immer mehr überließ. Um neue Handelsbeziehungen anzuknüpfen, reiste Johann i. J.1772 189 nach Hamburg, Holland und England, und seine Bemühungen führten zu überraschenden Erfolgen. In allen Handelsstädten des nördlichen Europa erfreute sich die Firma Oestreich, die Johann nach dem Tode des Vaters (+ 1785) allein vertrat, bald eines guten Rufes und sicheren Kredits. In direktem Schiffsverkehr setzten Braunsberger Schiffe ähnlich wie zur Hansazeit an deutschen und ausländischen Küstenplätzen erstaunliche Mengen Garne ab. Selbst in den Wintermonaten beschäftigte Johann Oestreich, der schon am 13. 6. 1783 zum kgl. Kommerzienrat ernannt worden war, aber diese Ehrung aus Bescheidenheit jahrelang zu verheimlichen wußte, auf seinen Speichern täglich etwa 250 Menschen mit dem Sortieren, Binden und Verpacken des Garns. Von 1774—1803 brachte sein Handelshaus rund 3 1/2 Millionen Bunde Garn zum Versand, das Bund zu 60 Tall, diese zu 10 Gebinden gerechnet. Am blühendsten war dieser Absatz im Jahrzehnt der Koalitionskriege von 1792—1803 mit fast 1 1/2 Millionen Bunden. 1801 erwarb daher Oestreich den Platz am sog. Lehmberg zum Bau des mächtigen Löwenspeichers, den noch heute sein Familienwappen ziert. I. J. 1785 begründete er eine Damastfabrik und errichtete in der Langgasse (Nr. 55) das stattliche, 1796 noch bedeutend erweiterte Wohn- und Geschäftshaus, das mit seinem mächtigen Mansardendach und dem feinen Rokokoornament seine Nachbarn in den Schatten stellt und mit dem Löwenwappen und einer 1932 angebrachten Gedächtnistafel an einen der angesehensten und verdientesten Bürger Braunsbergs erinnert.

Der starke Schutz des preußischen Staates schenkte der Stadt Braunsberg über drei Jahrzehnte friedlicher Entwicklung. In die kriegerischen Verwicklungen jener Zeit wurde nur die Garnison hineinbezogen. So rückte das Regiment Luck im sog. Kartoffelkrieg d. J. 1778 bis über die böhmische Grenze. Auch der junge Leutnant Hans von Yorck war dabei, der mit seinem Vater, einem Hauptmann, als 14jähriger Junker i. J. 1773 bei den Braunsberger Füsilieren eingetreten war. Nach ruhmlosem Feldzuge hatte das Regiment im schlesischen Habelschwerdt Quartier bezogen. Am Krönungstage (18. Januar) 1779 gab die dortige Bürgerschaft einen Ball und lud auch die Offiziere dazu ein. Man war in frohester Feier, als plötzlich österreichische Kroaten in die Stadt eindrangen, die Fahnenwache umstellten und die Fahnen erbeuteten, die Tore und den Ballsaal besetzten und den größten Teil der Offiziere und Mannschaften kriegsgefangen abführten. Yorck gehörte zu den wenigen, die entkamen. Erst im Teschener Frieden wurden die Gefangenen ausgetauscht.

Kommerzienrat Johann Oestreich (1750 - 1833).

(Ölgemälde im Amtszimmer des Bürgermeisters auf dem Braunsberger Rathaus.)

 

Die Enttäuschungen dieses kampflosen Feldzuges, gegenseitige Vorwürfe und Spöttereien wirkten auf das Regiment höchst demoralisierend. So begann es der Braunsberger Bürgerschaft nach seiner Rückkehr überaus lästig zu werden. Übermut gegen die Zivilbevölkerung, Zechgelage und nächtlicher Lärm, Duelle und Ärgernisse aller Art waren an der Tagesordnung. Die städtische Behörde fand nicht den Mut zu Beschwerden. Die Ortsgeistlichkeit versuchte es mit Strafpredigten, ohne anderen Erfolg als ärgeren Spott. Erst als 1780 General Luck den erbetenen Abschied erhielt und sein Nachfolger Obrist von der Goltz die Zügel straffer anzog, lehrte Disziplin in die Truppe zurück.

Damals wurde Yorck aus dem Heere ausgestoßen und zu einjähriger Festungshaft verurteilt. Veranlassung dazu bot der Stabskapitän von Naurath, der im Feldzuge seine Hände nicht sauber gehalten hatte. Da er trotz Neckereien und ernster Vorstellungen seiner Kameraden sich nicht zum Abschied entschließen konnte, teilte man ihm mit, daß die Ehre des Offizierskorps auf dem Spiele stehe. Dennoch erschien er, um die nächste Wachtparade zu kommandieren. Yorck sollte sie als wachthabender Leutnant führen. Als nun Hauptmann Naurath antrat und das Kommando begann, kehrte Yorck den Degen zur Erde, und jeder verstand das. Sofort wurde er abgelöst und in Arrest geführt. Er erwartete, daß jeder Leutnant nach ihm der Verabredung gemäß dasselbe tun werde; aber schon der nächste ließ ihn im Stich. Diese offene Insubordination mußte er schwer büßen; denn nach seiner Entlassung aus der Haft lehnte der alte Fritz seine Wiederaufnahme ins Heer ab, obwohl General Luck in einem empfehlenden Zeugnis bescheinigte, daß Yorck nie etwas Unehrenhaftes begangen und sich im Dienst wie außerdienstlich bis auf den gesühnten Fall stets zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten betragen habe. Der verabschiedete Offizier begab sich daher in holländische Dienste, nachdem ihm seine Braunsberger Freunde ihre Hilfsbereitschaft bewiesen hatten. Er hatte ihnen seine beiden schönen Pistolen zum Verkauf angeboten, um sich für die weite Reise und den neuen Dienst die erforderlichen Mittel zu verschaffen. Seine Kameraden spielten die Waffen untereinander aus; aber der Gewinner, ein Stabsoffizier, übersandte sie mit dem Erlös von 150 Talern als Geschenk an Yorck, dem damit seine trübe Erinnerung an die Braunsberger Garnisonzeit in etwa verklärt wurde. Erst nach dem Tode Friedrichs des Großen wurde Yorck i. J. 1787 gleich Blücher wieder in die preußische Armee eingestellt, beides charaktervolle Männer, die dem Vaterlands in schwerster Notzeit unvergängliche Dienste leisten sollten. 191

Nachdem die 2. und 3. Teilung Polens den kampflosen Einsatz der ost- und westpreußischen Regimenter notwendig gemacht hatte, rief Napoleons herausfordernde Willkür die Armee des unentschlossenen, friedliebenden Königs Friedrich Wilhelm III. auf das Feld der Ehre. Schon im Herbst 1805 war während des österreichisch-russischen Krieges gegen Napoleon das Braunsberger Regiment Diericke zunächst ostwärts gegen die Russen, bald darauf nach Schlesien gegen die Franzosen in Marsch gesetzt worden, kehrte aber im März 1806 heim, ohne daß das preußische Heer zum Losschlagen gekommen wäre. Aber im Sommer wurde es ernst. Am 28. August rückte das Braunsberger Regiment nach Danzig ab. Weitverbreitet war die Überzeugung, die ruhmgekrönte Armee des alten Fritz werde mit dem französischen Emporkömmling schnell fertig werden. Aber die unvermutete Niederlage von Jena und Auerstädt warf das ganze Gefüge des preußischen Staates über den Haufen. Der hemmungslose Siegeslauf der Franzosen kam erst in Ostpreußen zum Stehen. Am 21. Januar mußte der preußische General Rouqette bei Braunsberg über die Passarge zurückweichen; die französische Division Dupont folgte ihr. Am 22. mittags rückte ein Offizier mit etwa 36 reitenden Schützen vor das Rathaus, befahl den Polizei-Bürgermeister von Bronsart und den Rat auf das Rathaus und forderte 10 000 Taler, widrigenfalls die Stadt angesteckt und dem festgenommenen Bürgermeister 100 Prügel verabfolgt würden. Sofort wurde von Haus zu Haus gesammelt, um die Erpresser zu befriedigen. Als das aber dem Offizier zu lange dauerte, vergriff er sich an den vorhandenen Kindergeldern der Waisenkasse, obwohl ihm bedeutet wurde, daß diese laut kaiserlicher Verordnung zu schonen seien. Er entgegnete, die Stadt sei zum Ersatz verpflichtet, begnügte sich aber mit 5 000 Talern, von denen die Bürger-Sammlung 3162 Taler erbrachte, der Rest aus der Waisenkasse gegeben werden mußte. Dem Tuchhändler Gehrmann wurde sein ganzes Lager geraubt. Am Abend rückte General Cambacères mit einer starken Infanterie und Kavallerie ein. Dieser verlangte am nächsten Tage von dem alten Bürgermeister einen sicheren Noten. Da Bronsart mit Recht befürchtete, daß dieser als Spion mißbraucht werden könnte, nahm er Rücksprache mit den Ratspersonen und schickte dann den Schneidermeister Korschewski, der die Versicherung abgab, sich nicht als Spion verwenden zu lassen. Auf Grund dieses Vorfalles wurden i. J. 1809 mehrere Ratsangestellte entlassen, obwohl sie ihre Unschuld beteuerten; der Bürgermeister war inzwischen verstorben.

Nach der blutigen Winterschlacht bei Pr. Eylau (7. und 8. Februar 1807) zog Napoleon sein Heer hinter die Passarge in Ruhestellung zurück. 600 Mann Garde-Kavallerie unter Führung des kaiserlichen Adjutanten General Durosnel trafen zwei Tage nach der Schlacht des Morgens in Braunsberg ein. Sie waren von der Kälte sehr mitgenommen und litten fast ausnahmslos an erfrorenen Füßen. Sie lagerten bei Feuern auf der Straße und erwärmten ihre erstarrten Glieder, benahmen sich im übrigen sehr diszipliniert und zogen nachmittags weiter. Andere französische Heeresabteilungen folgten ihnen. Den Flügel gegen das Haff zu bildete das Korps des Marschalls Bernadotte. Die verbündeten Preußen und Russen rückten unter General L'Estocq gegen die untere Passarge nach zur Verfolgung der Feinde. Die Kampfhandlungen vor dem Hauptgefechtstag (26. Februar) sind nicht ganz klar.

Nach Abzug der Franzosen drang am 24. Februar Oberst Maltzahn mit einem Bataillon Prittwitz-Husaren und zwei Füsilier-Bataillonen bis Braunsberg vor. Westlich der Stadt entwickelte sich ein hitziges Gefecht, das für die Franzosen mit dem Verlust von 31 Toten und 9 Gefangenen und dem Rückzug auf Zagern endete. Die Preußen hatten 7 Tote, 28 Verwundete und 3 Gefangene, sowie 30 Pferde verloren.

Am folgenden Tage zog General von Plötz mit seinem aus Preußen und Russen gemischten Korps von etwa 14 000 Mann in Braunsberg ein und schob Husaren und Füsiliere nach Zagern, Willenberg und Stangendorf vor. Vorgetriebene Patrouillen stellten in der Gegend von Mühlhausen und Laut starke feindliche Verbände fest. Trotzdem glaubte die Korpsleitung, daß die Franzosen über die Weichsel zurückfluteten und die hier gegenüberstehenden Truppen nur den Rückzug zu decken hätten. In diesem Gefühl der Sorglosigkeit unterließ man jede Sicherungsmaßnahme zum Schütze der Stadt.

Allein es sollte anders kommen, als man dachte. Kaum hatte Bernadotte von dem Braunsberger Scharmützel und der Besetzung der Stadt durch die Verbündeten Kunde erhalten, als er sogleich Befehl gab, den wichtigen Brückenkopf unter allen Umständen zurückzugewinnen. Er ließ daher den General Dupont, der bei Mühlhausen stand, mit seiner Division und drei leichten Kavallerieregimentern unter General La Houssaye sowie einer Dragonerbrigade gegen die Stadt vorrücken. Die Franzosen marschierten in drei Kolonnen ostwärts über Zagern, den Stadtwald und Stangendorf.

Als mittags Husaren die erste Nachricht von dem feindlichen Angriff brachten, saß der Korpsstab im Östreichischen 193 Hause an der Tafel und lieh sich im Mahle nicht stören, da man die Meldung für unglaublich hielt. Als aber nahe Kanonenschüsse die Tischmusik machten, brach man eiligst auf und ließ Alarm schlagen. Vom Turm des Rathauses beobachteten Stabsoffiziere die Entwicklung des Gefechts. Die Bagage der Vorhut zog sich bereits zurück.

Bei Zagern hatte der Vortrupp des rechten Flügels Labruyere die preußischen Vorposten bis in den Katzengrund zurückgetrieben; hier eröffneten diese mit heraneilenden Verstärkungen in guter Deckung ein lebhaftes Schützenfeuer, das beiden Parteien etwa je 40 Mann kostete. Gegen die nachrückende französische Übermacht konnten sie sich nicht behaupten. General Plötz hatte indessen eiligst die verfügbaren Truppen dem Feinde entgegengeworfen. Dragoner und Kürassiere preschten vor, um die bedrängten Vortruppen aufzunehmen. Das russische Regiment Kaluga, das Grenadierregiment Braun und die reitende Batterie Graumann zogen durch das Schloß nach dem Rodelshöfer Grund und dem Zagerer Weg, nahmen die vom Katzengrund zurückgehenden Abteilungen auf und hielten in tapferer Wehr den Vormarsch des rechten feindlichen Flügels auf. Das schwache Regiment Plötz und zwei andere Infanteriebataillone hatten am Wege nach dem Stadtwald Aufstellung genommen, als gegen 4 Uhr hier und von Stangendorf her die gegnerische Hauptmacht unter Dupont selbst auftauchte. Plötz erkannte, daß er es mit einem überlegenen Feind zu tun habe, und gab den Befehl zum Rückzug, der bald in wilde Flucht ausartete.

Die Kavallerie und reitende Artillerie folgte der Bagage bis zum Einsiedelkrug. Labruyere setzte den zurückweichenden Verbündeten mit solchem Ungestüm nach, daß das „Rette sich, wer kann!" eine Panik auslöste. Ein großer Teil der Flüchtigen wählte den Weg durch das Schloßtor, wo bald eine heillose Verstopfung eintrat. Vorzeitig versperrten sie die Pforte und riegelten dadurch die letzten Abteilungen ab, von denen viele versuchten, sich über das Mühlenwehr und durch die Passarge zu retten; dabei ertranken aber nicht wenige. Während noch der Rest des Soldauer Füsilierbataillons unter dem Hauptmann Sommerhausen am Hecktor nach Rodelshöfen den Rückzug deckte, waren die Feinde durch das Schloßtor und die Pforten an der Kirche und dem Klosterturm in die Stadt gedrungen, wo sich nun ein Straßenkampf abspielte, bei dem die verängstigten Einwohner Türen und Fenster schlossen, um sich gegen die Kugeln zu schützen. Auch durch das Wassertor folgten die Feinde den fliehenden Preußen auf den Fersen und besetzten die Poststraße bis zum Kesseltor, so daß nur die Langgasse, deren Ausgang am Mühlentor von dem Bataillon Ruets gesichert wurde, den Flüchtigen offen blieb. Aber es gelang den Franzosen, am Rathause eine Kanone aufzufahren, deren Feuer die Reihen der Weichenden lichtete. Auch soll der Feind von einer südöstlichen Erhebung die Mühlenbrücke beschossen haben und kam über die Kesselbrücke oder das Mühlenwehr dem Bataillon Ruets in den Rucken. Das Gefecht dauerte kaum eine Stunde, kostete den Verbündeten aber nicht weniger als 800 Tote, Verwundete und Gefangene, sowie 6 Kanonen. Noch nach zwei Tagen lagen auf der Langgasse, dem altstädtischen Markt und dem Kirchenplatz eine Menge Gefallener.

Der Feind verfolgte die Verbündeten bis gegen Heiligenbeil und genoß dann im Plündern und Rauben die Flüchte seines Sieges.

Das glänzende Bravourstück eines schwarzen Husaren aber gab dem verlustreichen Gefechtstage einen rühmlichen Ausklang. Am Morgen war Unteroffizier Giese mit 20 Prittwitz-Husaren in Richtung Elbing als Patrouille abgesandt worden. Auf dem Rückwege erfuhr er die Besetzung Braunsbergs durch die Franzosen. Da er die mit Eis gehende Passarge nicht durchschwimmen konnte, mußte er die Brücken benutzen, um wieder zu seiner Truppe zu gelangen. Er ritt mutig in die Stadt und kam, von der beginnenden Dunkelheit und Schneegestöber begünstigt, unbeachtet bis zur Kesselbrücke. Hier erkannt und beschossen, bahnte er sich mit seinen Reitern, den Säbel in der Faust, den Weg. Nur vier Husaren, die mit ihren Pferden im Feuer stürzten, mußten zurückgelassen werden, mit den übrigen erreichte er glücklich die Straße nach Heiligenbeil. Noch aber befand er sich im Rücken der französischen Vorposten. Eine Feldwache wurde überfallen und zusammengehauen. Weiter jagend, stießen die Husaren auf eine feindliche Kavallerieabteilung, die eben zwei erbeutete preußische Geschütze nebst Pulverwagen fortschaffen wollten. Sie wurde zersprengt, ihre Beute abgenommen, und glücklich traf Giese mit seinen 16 Husaren und den zurückeroberten Kanonen am späten Abend beim Korps Plötz in Heiligenbeil an. Er erhielt für seine Heldentat das goldene Ehrenzeichen, wurde 1808 zum Junker, ernannt, im Befreiungskrieg mit dem Eisernen Kreuz und pour le merite ausgezeichnet, später geadelt und war zuletzt Kommandant der 6. Kavallerie-Brigade (+ 1855 zu Brandenburg a. H.).

Wie diese Ruhmestat in Wort und Schrift viel verherrlicht wurde, so hielt ein Farbendruck eine andere Szene des Braunsberger Gefechtes fest: Ein Franzose bot einem schwarzen Husaren 195 Pardon an, aber dieser zog seinen Säbel und rief ihm heldenmütig zu: „Wofür trüg ich diesen?"

Obwohl eine kaiserliche Bekanntmachung der Braunsberger Bevölkerung verkündete, das; sie nichts von französischen Truppen zu fürchten brauche, sondern schonungsvoll behandelt werden würde, wenn sie sich selbst ruhig verhalte und den militärischen Befehlen nicht widersetze, so machte sie doch eine schreckensvolle Woche durch. Lebensmittel aller Art, Branntwein, Bier und Wein waren den Siegern willkommene Beute, und im trunkenen Zustand ließen sie sich zu den gröbsten Ausschreitungen hinreißen. So drang eine Gruppe in das Haus des alten Oberstabschirurgus Seeliger an der nördlichen Markisette ein, wohin sich die Gutsbesitzerfamilie von Hanmann aus Rodelshöfen geflüchtet hatte. Seeliger gab ihnen an Lebensmitteln, was er konnte; aber immer frecher wurden ihre Forderungen und Plünderungen, und als er sie an die Zusicherungen des Kaisers erinnerte, verlachten sie ihn und mißhandelten ihn mit Schlägen und Stößen. Eine qualvolle Stunde verging, ehe die trunkene Bande das Haus verließ; das obere Stockwerk, wo 17 Flüchtlinge auf Stroh lagen und nicht wagten, sich zu zeigen, verschonten sie jedoch infolge der flehentlichen Bitten des ehemaligen Stabsarztes. Noch am selben Abend wurde der Kavalleriegeneral Lahoussaye hier einquartiert, und damit war die Gefahr weiterer Plünderungen eingedämmt. Freilich ließ sich sein Adjutant Labarbe sofort 30 Dukaten und Seeligers bestes Pferd „verehren".

Sogleich nach der Eroberung der Stadt raubten die Feinde aus den verschiedenen Stadtkassen an Bargeld, Pfandbriefen, Obligationen u. dgl. 21230 Taler. Als nun noch eine Kontribution von 25 000 T. gefordert wurde, erklärte die Stadtvertretung ihr Unvermögen. Nun wurde die Summe ermäßigt. Eine Zwangsbeitreibung bei den Bürgern ergab 2103 T. Namentlich mit Kleidungsstücken. Wasche und Schuhzeug versorgte sich die Einquartierung aus den bürgerlichen Beständen. Selbst auf der Straße waren die Einwohner vor dem Stiefelausziehen nicht sicher: sie konnten sehen, wie sie barfuß weiterkamen. Zwei Soldaten gingen gewöhnlich ganz absichtslos auf ihr Opfer zu; dann faßte es der eine um den Leib, während der andere im Nu die Füße aufhob und die Stiefel abzog. Ähnlich erging es dem Kreisphysikus Dr. Elsner. Er wurde in der Nacht nach der Einnahme zu dem General Bellegarde gerufen, der sich unwohl fühlte. Danach wurde er von einem Sergeanten angegangen, noch einen Kranken in der Nähe zu besuchen. Als der Kreisarzt dem Unteroffizier in sein Quartier gefolgt war, erklärte ihm dieser, der Patient seien seine Stiefel, und er ersuche ihn, mit ihm zu tauschen. Gegenvorstellungen fluchteten nichts, und der Arzt, der früher gern die Höflichkeit der Franzosen gerühmt hatte, mußte jetzt die Stiefel abziehen und die völlig zerrissenen des Soldaten nehmen. Aber da er sie doch nicht gebrauchen mochte, bot ihm eine junge Dame in demselben Hause ihre Pantoffeln an, auf denen er wie auf Stelzen seiner Wohnung zustrebte. Andere, denen ihre Anzüge geraubt waren, sah man in bloßen Unterhosen und Hemden oder Schlafröcken auf Pantoffeln mit Leinen umwickelt. Tuche, Leinwand, Leder, Schlitten, Wagen und Pferde wurden für Militärzwecke beschlagnahmt. Aber auch Wertsachen und Kostbarkeiten verschwanden in den Taschen und Tornistern der Soldateska. In der Pfarrkirche wurden am Gefechtstage 7 silberne Kelche und anderes Silberwerk im Werte von 365 Talern gestohlen. Andere Nachweisungen führen geraubte Brillanten, Gold- u. Silbersachen, Uhren, Porzellan, Gemälde, Bücher, Musikinstrumente u. a. auf. Erst nach acht Tagen wurde das Plündern bei Todesstrafe verboten, aber das Requirieren von Lebensmitteln und Futter für die Pferde ging weiter. Bald trat daher allgemeine Not ein: die umliegenden Dörfer und selbst der Markt von Elbing mußten Braunsberg ernähren helfen.

Der spätere Kommerzienrat Kunckein hatte einem Glücksumstande seinen späteren Reichtum zu verdanken. Seine Frau lag am Gefechtstage als Wöchnerin darnieder, als Plünderer in den unteren Laden eindrangen. Ein rücksichtsvoller Sergeant verjagte die Bande, ließ den Laden schließen und bewachte bis zum nächsten Morgen mit dem Gewehre die Tür. Ein hoher Offizier schrieb auf seine Bitte einen Sicherheitsschein. So wurden die reichen Vorräte im Laden und Keller verschont, die Kuckein bald mit großem Gewinn verkaufen konnte. Er wollte den Sergeanten mit Geld belohnen, aber dieser erbat sich nur ein reines Hemde, das nicht gleich vorhanden war. Man wollte es besorgen und bat ihn wiederzukommen, aber am nächsten Morgen mußte er abrücken und ließ sich nicht mehr sehen.

Der Ortskommandant General Narrow war ein edler Mann, der jedem Bedürftigen gern seine Hilfe angedeihen ließ. Oft teilte er seine Verpflegung mit den hungernden Almen. Aber der Unterhalt der etwa 5000 Mann mit ihren hohen Stäben machte ihm genug Kopfschmerzen. Der Divisionsgeneral Dupont. einer der Helfer Napoleons beim Staatsstreich des 18. Brumaire 1799, der den ehrgeizigen Korsen als ersten Konsul zum wahren Machthaber Frankreichs machte, war im 197 Hause des Kommerzienrats Oestreich einquartiert, der kurz zuvor nach Königsberg geflüchtet war, von wo er sich später nach Tilsit und Memel begab. Er war sicher dem Feinde verhaßt, hatte er doch im Herbst in England und Preußen Sammlungen für die Familien der im Felde stehenden Krieger und der Gefallenen, sowie für die Invaliden veranstaltet und selbst sofort 5000 T. gespendet, sodaß ihm der König, durch den Staatsminister Freiherr von Stein davon in Kenntnis gesetzt, in einem huldvollen Schreiben von Küstrin aus (24. 10. 1806) für seine opferfreudige Vaterlandsliebe seinen Dank aussprach. Sein Sohn Friedrich und seine Schwester hüteten das Haus, das von dem Divisionär und seinen Adjutanten, den Ordonnanzen und einer Wache von über 20 Mann belegt war und in dem täglich 20 hohe Offiziere speisten. Die vorsorglich beschafften Vorräte an Lebensmitteln und Getränken reichten nur kurze Zeit, so daß jeden dritten Tag ein vierspänniger Wagen nach Elbing gesandt werden mußte, um dort zu hohen Preisen die gewünschten Einkäufe für die drei Köche zu machen. Der Aufenthalt des Generals Dupont kostete Oestreich über 23 000 Taler, deren Erstattung er nie von der Stadt verlangt hat. Dupont ereilte übrigens im Juli 1808 in den spanischen Kämpfen sein Schicksal; mit 20000 Mann mußte er in Baylen kapitulieren.

Schon in der Nacht zum 28. Februar brannten die Franzosen vorsichtshalber beide Flußbrücken ab, um vor gegnerischen Überraschungen geschützt zu sein. In die Türme und Stadtmauern wurden Schießscharten geschlagen und so die mittelalterlichen Werte in Verteidigungszustand gebracht. Da aber von preußischer Seite kein Angriff erfolgte, wurde die Mühlenbrücke notdürftig wiederhergestellt und auch die Neustadt besetzt. Mehrere hundert Arbeiter mußten an der Königsberger Straße und vor dem Mehlsacker Tor Bastionen für etwa 10 Kanonen errichten, dazwischen an der heutigen Seeligerstraße ein Werk für 4 Kanonen. Wälle und Palisaden verbanden diese Bastionen, die mit Verhauen von Obststämmen gesichert waren; spanische Reiter sperrten die Wege. Diese neuen Schanzwerke galten nur der Vor- und Neustadt, weil hier preußische Vorstöße zu erwarten waren. Eine Anzahl von Gebäuden mußte diesen Befestigungsanlagen weichen. Im ganzen verlor die Stadt während dieses Jahres 46 Häuser.

Während der französischen Besatzung wurden in Braunsberg die in Lübeck in Gefangenschaft geratenen General Blücher gegen den französischen General Victor und Jägeroberst von Yorck ausgewechselt.

Erst als im Juni in neuen Schlachten die Entscheidung gesucht wurde, rückten die Feinde aus der völlig erschöpften Stadt all Leider nicht für lange; denn nach dem Friedensschluß von Tilsit (7. Juli) hielt ein französisches Korps weiter die Passargelinie besetzt, um einen Teil der rückständigen Kontributionen einzutreiben. In Braunsberg waren es 800 Mann, die bis zum 9. Dezember verblieben. Das schon vorher eingerichtete Kriegslazarett in der ehemaligen Burse neben dem Steinhaus war zeitweise mit 60—80 Kranken belegt. Aber auch in der Einwohnerschaft selbst wirkte sich die Not und der Hunger dieses schrecklichen Jahres in seuchenartigem Sterben aus. Hatte die kath. Pfarrgemeinde i. J. 1806 266 Tote zu verzeichnen, so waren es 1807 nahezu 1000, 1808 rund 370. Einige Zivilisten waren auch dem Straßenkampf am 26. Februar zum Opfer gefallen.

Sämtliche Kriegsschäden vom Tage des feindlichen Einmarsches bis zu ihrem endgültigen Abzug betrugen für die Stadt 783965 Taler und für die drei Stadtdörfer 76 661 T. Die Kriegsschuld der Stadt belief sich nach der Regulierung i. J. 1821 noch auf 44 379 T. Viele wohlhabende Familien waren gänzlich verarmt, und noch ein halbes Jahrhundert später hatte die Bürgerschaft die Leiden des unglücklichen Kriegsjahres nicht völlig überwunden.

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Dies ist ein Kapitel der Festschrift "Braunsberg im Wandel der Jahrhunderte" von Franz Buchholz zum 650jährigen Stadtjubiläum

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