KREISGEMEINSCHAFT BRAUNSBERG (OSTPREUSSEN)

Franz Buchholz: Braunsberg im Wandel der Jahrhunderte (Festschrift vom Stadtjubiläum 1934)


VII. Bis zur ersten Teilung Polens (1772)

Auf dem oberen Flur des Rathauses hängt ein großes Bild v. I. 1722, das uns die 16 Mitglieder des damaligen Rates in ihren modischen Perücken und Bäffchen um den gekreuzigten Erlöser vereinigt zeigt; darunter das inniger Gottverbundenheit entsprungene lateinische Gebet zu Christus, die Beschlüsse des Magistrats möchten immer mit seinen Wünschen in Einklang stehen.

Kaum waren die eisten Tauben des Friedens über den fallenden Wassern der Kriegsnot sichtbar, als eine regere öffentliche Bautätigkeit in der Stadt einsetzte. Wie die Jahreszahl 1718 an der Stirnseite des Stifts beweist, begann bereits damals Fürstbischof Theodor Potocki auf dem Schloßgelände südlich der Stadt einen klosterähnlichen Bau, der für 12 arme Konvertiten bestimmt war und am 15. September 1722 seine Verfassungsurkunde erhielt. Das rechteckige, einen traulichen Hof umschließende Gebäude trägt noch heute über seinem Eingange das Wappen des Stifters.

I. J. 1721 wurde die alte baufällige Muttergotteskapelle am Turm der Pfarrkirche abgebrochen und eine neue 165 aufgeführt. Die auf Pilastern ruhenden Tonnengewölbe im Innern geben dem Bau ebenso sein spätbarockes Sondergepräge wie der durch Nischen unterbrochene und durch Master gegliederte Giebel von außen. Der 1723 von den Jesuiten begonnene Kuppelbau der Kreuzkirche bot dem Baugewerbe und Kunsthandwerk für Jahre reiche Aufträge. Auch in der Neustadt gab es Arbeit. 1725 mußte hier das alte Rathaus gestützt werden, und zwei Jahre später entschloß man sich zum Neubau. Aber wie unsolide oder sparsam daran gearbeitet war, geht daraus hervor, daß 1733 der neue Giebel einstürzte. In der Altstadt wurde das Rathaus einem durchgreifenden Umbau unterzogen. Der Kaufherr Anton Hanmann, der Sohn des 1729 verstorbenen Thomas, nahm i. J. 1739 als Kämmerer der Stadt den Bau in Angriff. Damals wurde der Rest des städtischen Silberschatzes, 18 Silberlöffel „mit gewundenem Stiel", 5 silberne Recherchen sowie Bleigläser unten mit Knopfchen aus dem Tresor von dem Kassierer Karl Kising in Verwahrung genommen. An den Giebeln wirkte sich die Kunst des Bürgers Gottfried Camehl aus, der auch die beiden Tore mit den Stadtwappen schmückte und dazu im Hohen Tore ein Kreuzbild malte. Ob ihm auch die heute noch vorhandenen Giebelfiguren zuzuschreiben sind, ist ungewiß. Er forderte für seine Renovationsarbeiten an beiden Giebeln 100 Gulden, ging dann aber „aus Liebe zum Gemeinwohl" auf den Selbstkostenpreis von 60 Gulden herunter, die ihm am 15. November 1741 aus der Stadtkasse ausgezahlt wurden. Als der Umbau am 14. November 1741 vollendet war, bot der dem lebhaften Reiseverkehr der Langgasse zugewandte Südgiebel in seiner feinen Rhythmik und seinem plastischen Schmuck jenen bewundernswerten Eindruck bürgerlichen Kunstsinnes und selbstbewußter Würde, der auch heute noch den Beschauer fesselt. Die drei oberen allegorischen Figuren stellen neben dem hl. Joseph mit dem göttlichen Kinde Glaube und Hoffnung, die vier untern vermutlich die natürlichen Tugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Mäßigung und Starkmut dar. Dazwischen läuft das Spruchband, das die hohe Bestimmung des Rathauses in einem nicht originalen Distichon mit sinnigen, barock verstellten Worten verkündet:


Haec Domus odit, amat, punit, defendit, honorat

Desidiam, studium, crimina, jura, probos.


Zu deutsch:
Dies Haus hasset und liebt, bestraft, verteidigt und ehret Trägheit, Fleiß, böse Tat. Rechte und Rechtschaffenheit.


 


Südgiebel und Ostseite des Rathauses.

 

Daß es in diesem hohen Hause begreiflicherweise nicht an Spannungen und Reibungen gemangelt hat, sei an einigen Beispielen aus jener Zeit dargetan. Schon während der andauernden Kontributions- und Einquartierungslasten des Nordischen Krieges hatte die Gemeinde i. J. 1714 bei Bischof Potocki förmliche Klage eingereicht, daß der Rat die 32 verfassungsmäßigen Gemeindevertreter nie zu öffentlichen Verhandlungen zuziehe, außer wenn Geld benötigt werde, daß er mit dem Stadteigentum nach Belieben schalte und den Bürgern nicht Rechnung legen wolle. Der Bischof ließ durch eine Kommission die Streitsache untersuchen und verfügte danach, daß der Rat verpflichtet sei, seine Rechnungsbücher Gemeindevertretern vorzulegen; trotzdem bedurfte es dazu auch für die Folge gelegentlicher Mahnungen der Gemeinde. Innerhalb des Magistratskollegiums muß sich der Präsident, offenbar beeinflußt von den Auffassungen jenes absolutistischen Zeitalters, allmählich immer mehr Rechte angemaßt haben, worüber nicht nur in der Bürgerschaft, sondern auch im Rate selbst Mißstimmung entstand. Eine Beschwerde bei Bischof Szembek führte zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, der am 15. Mai 1732 einen Vergleich zustande brachte, dem folgende Bestimmungen entnommen seien: Schwierige Angelegenheiten soll der Herr Präsident dem Magistrat vorlegen. Die mit den einzelnen städtischen Dezernaten betrauten Ratsmitglieder sollen nicht vom Präsidenten allein abhängen, sondern Beschwerden gegen sie sind beim Ratskollegium vorzubringen. Bei namhaften Beträgen bedarf der Präsident der Einwilligung des Rates. Über Stadtstall und -Pferde verfügen Präsident und Kämmerer gemeinsam wie vordem. Die Ratsbeschlüsse hat der Präsident genau zur Ausführung zu bringen und darf sie nicht selbständig abändern. Die Aufsicht über die Stadtkasse soll ein bemittelter Ratsherr führen, um Schaden zu verhüten. Die laufenden Kassengeschäfte sollen Männern von gutem Ruf und Vermögen anvertraut, das Geld an einem sicheren Ort im Rathaus aufbewahrt werden. Zu der jährlichen Rechnungslegung darf die Gemeinde zwei Vertreter entsenden. Der Stadtwald soll zur äußersten Notdurft vorbehalten bleiben; nur den Bürgern darf notdürftiges Bau- und Lageholz, falls vorhanden, abgegeben werden, Fremden garnicht, außer wenn es der Stadt zu merklichem Nutzen geschähe, und dann mit Wissen der zwei Ältesten aus der Gemeinde. Kläger u. Beklagte sollen vor dem Stadtgericht stehen, wenn nicht Altersschwäche oder Krankheit sie daran hindert. Mit diesem letzten Punkt war ebenfalls in einer oft leidenschaftlich umstrittenen Ehrensache Klarheit geschaffen. 167

Während der Rathausbau seiner Vollendung entgegenging, beschäftigte ein anderes großes Bauvorhaben die öffentliche Meinung. Die Jesuiten wollten ein massives Wohnhaus errichten und baten i. J. 1740 den Rat um Hergabe eines „wüsten" Platzes zwischen ihrem Grundstück und der Reifschlägerbahn von der Klosterdruckerei bis zur Katergasse. Während der Magistrat sich zustimmend verhielt, war die Gemeindevertretung dagegen. Auch eine im nächsten Jahre aus dem Schloß zusammentretende bischöfliche Kommission kam nicht zum Ziele, weil die Gemeinde bei ihrem Widerstand beharrte. Erst der Vermittlung des neuen Bischofs Adam Stanislaus Grabowski war es zu verdanken, wenn am 26. Januar 1743 Rat und Gemeinde den gewünschten Bauplatz unter bestimmten Bedingungen den Jesuiten unentgeltlich zur Verfügung stellten. Der Rektor P Michael Nahser und die Stadtvertreter Präsident Johann Hintz, Ratsherr Karl Kising und der Stadtsekretär Franz Oestreich unterzeichneten das Abkommen. Nun wurde am 9. Mai feierlich der Grundstein gelegt; aber da es an Mitteln fehlte, geriet der Bau bald ins Stocken. Nach wiederholten Unterbrechungen konnte erst 1756 der dritte Stock in Ordnung gebracht und mit vier Wohnungen versehen werden: die Vollendung des heutigen Gymnasial-Altbaus fiel aber erst ins Jahr 1771.

Das Bild des Soldatenkönigs Friedlich Wilhelm von Preußen wird vor uns lebendig, wenn wir hören, daß i. J. 1724 König August II. von Polen Befehl gibt, alle brandenburgischen Werber gesanglich einzuziehen und am Leben zu strafen. Werde bei solcher Gelegenheit ein Werber erschlagen, so würde deshalb keine Rechenschaft verlangt werden. Damals wurde auch aus dem Fürstbistum eine Reihe junger Leute zum Militärdienst gepreßt, namentlich wohl lange Kerls, für die der König die bekannte Vorliebe hatte. So wurde im August 1723 der Braunsberger Bürger Johann Sahl auf dem Rückwege von Elbing vom Fähnrich Petersdorff des Bredowschen Regiments festgehalten, gefesselt und zu einem zweijährigen Militärdienst verpflichtet. Im März 1724 suchten preußische Soldaten in Regitten einen Deserteur. Im Oktober verfolgte der Krugbesitzer Georg Fiedler aus Einsiedel zwei fahnenflüchtige preußische Soldaten über die ermländische Grenze bis in die Braunsberger Vorstadt, nahm sie dort fest und ließ sie gebunden auf preußischen Boden zurückführen. Als er am nächsten Tage wieder in die Stadt kam, wollten ihn die über die Grenzverletzung erbitterten Braunsberger verprügeln. Nur unter dem Schutz der städtischen Polizei gelangte er heil nach Hause. Da er aber dabei Schimpf- und Drohreden gegen die Braunsberger ausstieß, zog ein Trupp von älteren Jesuitenschülern und anderen jungen Leuten nach Einsiedel und mißhandelte Fiedler. Die Sache hatte ein gerichtliches Nachspiel. Die Studenten wurden bestraft, dem Krüger eine Entschädigung zugebilligt. Ein andermal überfielen im Herbst 1739 Studenten auf der Landstraße im Weichbilde der Stadt ein durchziehendes preußisches Werbekommando und nahmen ihm einen Rekruten ab. Auf die Beschwerde des Königsberger Generalfeldmarschalls von Roeder versprach der Rat, beim Rektor des Gymnasiums nachdrücklich für die Bestrafung der Schuldigen eintreten zu wollen, und bat in ähnlichen Fällen um Meldung der Truppenabteilungen beim präsidierenden Bürgermeister, damit dieser einige Stadtbediente zum sicheren Geleit gegen jeden Unfug „des unvernünftigen Pöbels" mitgeben könne.

Nach dem Tode Augusts des Starken (+ 1733) brach in Polen ein Thronfolgekrieg aus. Der Sohn des Verstorbenen, August III. von Sachsen, und der Pole Stanislaus Leszczynski maßen ihre Kräfte. Rußland und Österreich traten für den Sachsen ein, während sich Leszczynski auf französische Hilfe stützte. Das Ermland wollte neutral bleiben, wurde aber in das feindliche Ringen hineingezogen. Der Rat von Braunsberg entschied sich für August III. und nahm deshalb am 14. April 1734 eine von Elbing anrückende russische Besatzung auf. Ein aus Westpreußen, Polen und Deutschen zusammengesetztes Heer von Konföderierten, das ebenfalls gern die ermländische Hauptstadt für seinen Thronkandidaten gesichert hätte, kam zu spät und versuchte die Russen zu vertreiben. Am Sonnabend vor Palmsonntag beschoß es mit vier kleinen Geschützen von 4 bis 8 Uhr nachmittags die Stadt. Die Besatzung erwiderte mit größerer Wirkung das Feuer. Auf das Gerücht, russische Verstärkungen eilten von Elbing heran, brachen die Verbündeten die erfolglose Belagerung ab und zogen ins mittlere Ermland ab. Erst im Spätsommer 1736, als sich die Herrschaft Augusts III. in Polen endgültig durchgesetzt hatte, verließen die Moskowiter die Stadt und das Bistum, die von den Einquartierungen und Kontributionen schwer mitgenommen waren.

Braunsbergs Parteinahme für den sächsischen Kurfürsten wirkte sich später in dem barocken Rangstreite günstig aus, den Bischof Grabowski i. J. 1747 ins Rollen brachte. Er hatte nämlich erfahren, daß die größeren preußischen Städte dem altstädtischen Magistrat die Bezeichnung edel nicht beilegten, und daß dieser bei Briefen an jene nicht mit rotem 169 Wachs siegelte; der Bischof selbst aber bediente sich wie seine Vorgänger im schriftlichen Verkehr mit dem Rate der Altstadt der adligen Titulatur und des roten Wachses. Auf Grabowskis Anfrage sandten die Braunsberger das Diplom Wladislaus' IV. nach Heilsberg, und der Stadtsekretär Franz Oestreich gab dazu die Erklärung, daß der Rat bei Schreiben an die großen Städte nach wie vor rotes Wachs gebrauche, nur nicht Elbing gegenüber, das i. J 1740 die ungehörige Anrede ehrenfest angewandt habe. Bischof Grabowski erwiderte nach Einsicht in das königliche Privilegium in dem ihm eigenen sarkastischen Ton, er verstehe nicht, was ein Braunsberger Patriciatus zu bedeuten habe, in Danzig heiße man sie Tagediebe. Wladislaus habe zwar einige Familien als Ratsgeschlechter erklärt und ihnen auch Wappen gegeben, was sonst bürgerlichen Leuten nicht eigen wäre; er habe sie aber nicht geadelt, noch weniger der Stadt das Adelsprädikat beigelegt. Wolle die Stadt aber einige Kosten aufwenden, dann wolle der Bischof vom jetzigen König eine Erklärung erwirken, daß mit jenem Diplom der Adel verstanden sei. Da der Rat mit diesem Vorschlage einverstanden war, erhielt er ein von August III. am 18. Juli 1748 in Warschau ausgefertigtes neues Privileg. Hierin erklärte der König in dankbarer Anerkennung der Verdienste der Stadt um den Staat und seine Person, daß dem ganzen Magistrat, seinen einzelnen Mitgliedern und den von Wladislaus ernannten Patriziern sowie ihren Nachkommen das Prädikat Edler stets zugekommen sei und auch für die Zukunft gebühre. Zugleich verlieh er vier anderen Familien, den drei Bürgermeistern Karl Kising, Heinrich Schorn mit seinem Bruder Michael und Klemens Hanmann nebst seinem Bruder Mathias und beider Neffen Anton und dem Stadtnotar Franz Oestreich für sich und ihre Nachkommen eine gleiche Standeserhöhung und Wappen. Außerdem änderte er das Stadtwappen dahin ab, daß statt der Halbmonde ein goldener Ring über dem Baume schweben, die Ähren mit einem scharlachroten Band umwunden sein und die beiden ursprünglichen Wappentiere samt der Unterschrift wegfallen sollten. Diese völlig von dem mittelalterlichen Original abweichende Form des Stadtwappens blieb bis 1927 in Kraft; seitdem ist auf Beschluß der städtischen Körperschaften das alte deutsche Wappenbild wieder zu Ehren gekommen.

Erst i. J. 1750 gelangte das königliche Adelsdiplom in die Hände des beglückten Rates, und er beschloß eine würdige Freudenfeier. Am 12. Januar 1751 um 9 Uhr morgens versammelten sich Magistrat und Bürgerschaft unter Pauken und Trompeten auf dem Rathause. 12 Kanonenböller krachten vom Markte, und es erhob sich der präsidierende Bürgermeister Schorn zu einer wohlgesetzten Begrüßungsansprache. Dann verlas der Ratssekretär Oestreich das auf einem rotsamtnen Kissen ruhende königliche Diplom, und als er zum Schlusse kam, donnerten wieder die Salutschüsse. Nun ließ er eine längere Rede folgen, die einen Überblick über die Vergangenheit der Stadt gab und die Tugenden und Verdienste der regierenden Herrscher von Ermland und Polen nicht genug zu rühmen wußte. Nur die charakterischen Schlußsätze seien aus diesem Beispiel barocker Rhetorik wiedergegeben:

„Erneuertes Braunsberg! werfte nun deine Blick auff deine Alterthümer zurück, und siehe: Anselm dein erster Stiffter hat zu deinem Daseyn den Grund geleget, Heinrich der erste die Gestalt, Adam (Grabowski) aber die Zierde gegeben: die eisten beyden haben angefangen, der letztere aber vollendet, was deinen Ruhm erheben kann. Bestrebe dich demnach Sein Gedächtnuß mit einer verbindlichsten Ehrfurcht auf deine Nachkommenschaft auf so viele Jahrzeiten fortzupflantzen, als wir bereits von denen Zeiten unseres Stamm-Vaters Adam entfernt sind. Ihr Edlen aber, die Ihr den Ausdruck der Kgl. Großmuth an Euch traget, verehret die Huld des Allerdurchlauchtigsten und Großmächtigsten Königs Augusti des dritten mit unvergeßlichem Danck-Opffer, zündet dem Durchlauchten Kgl. Hause in Eurem Heizen ein unauslöschliches Rauch-Werck der Treue an, ermüdet nicht, den König Aller Könige inbrünstig anzuflehen, daß er den Saamen dieses Durchlauchten Kgl. Geschlechts mit zeitlicher Glückseligkeit bis an der Welt Ende segne. Befleisset Euch Euren erneuerten Charakter durch die Edle Unschuld Eurer sittlichen Handlungen stets kenntlich zu machen, denn daran wird die Nachwelt erkennen, daß Ihr das Werck der Hände Eures Theuren und Weisen Adams seid."

Nun fielen abermals 12 Kanonenschüsse, worauf der Professor der Philosophie P. Petrus Schultz zur Feier des Tages „eine zierliche und wohl geratene lateinische Rede mit aller einem echten Orator (Redner) anständigen Annehmlichkeit" vortrug. Jetzt trat im Namen der Jesuitenanstalten der Theologiestudent Anton Hahn auf, um in einem lateinischen Gedicht von rund 250 Hexametern das Ruhmesfest zu besingen. Danach ordnete sich die ganze Versammlung zum Zuge nach der Pfarrkirche, und hier wurde bei einer schönen Musik für das Wohl des Königs und des Fürstbischofs ein feierliches Hochamt gehalten. Anschließend verfügten sich die Festteilnehmer in derselben Ordnung unter Trompeten- und Pauken-, Zinken- und Posaunenschall wieder aufs Rathaus, wo an drei Tafeln 171 gespeist wurde: eine von 40 Gedecken stand in der Ratsstube, die zweite für 60 Bürger in der Gemeinde-Stube, die dritte war für 45 Älterleute der Zünfte und Gewerke bestimmt. Die Ratstafel war u. a. mit drei Zuckerpyramiden von sinniger Konditorarbeit besetzt, deren mittelste den polnischen weißen Adler mit dem kursächsischen Wappen, die rechte das Wappen des Fürstbischofs, die linke die Fortuna mit verschiedenen Sinnbildern vorstellte. Während der Mahlzeit wurde eine Cantate gesungen und dann verschiedene Gesundheiten ausgebracht: erstlich des Königs, zweitens des Kgl. Hauses, wobei jedesmal 12 Völler gelöst wurden; drittens des Fürstbischofs mit 9 Salutschüssen, des Domkapitels, von denen einige Vertreter als Ehrengäste erschienen waren, mit 6 Schüssen und dann jedes anwesenden hohen Herrn, denen je 3 Ehrenböller galten.

Als die Tafel aufgehoben war, wurde der Ball eröffnet und das Fest „unter allseitigem Vergnügen und erwünschter Eintracht der Gemüter in der spätesten Nacht geendigt und beschlossen."

Den Gefühlen des Dankes gegen den bischöflichen Landesherrn sollte auch das Ölgemälde Ausdruck verleihen, das der Magistrat von Grabowski fertigen und im Rathause aufhängen ließ. Noch heute grüßt uns im früheren Stadtverordnetensaal die lebensgroße Gestalt des selbstbewußten Kirchenfürsten, der vor einem Tisch stehend mit der Linken in einem Buche blättert, während die Rechte nach dem Ordensstern auf seiner Brust deutet. Die Züge des von einer Allonge-Perücke umrahmten Gesichtes zeigen jene stark betonte geistige Überlegenheit und spöttische Art, die fein schonungsloses Urteil gefürchtet machten.

Davon konnten auch die Ratsherren der Neustadt ein Liedlein singen. Als diesen bei der Magistratsmahl ein Versehen unterlaufen war, schrieb er ihnen i. J. 1752, sie hätten, da bei ihnen das Küchenlatein ziemlich wohlfeil sei, die Stelle ihres Privilegs wohl verstehen können. Weil man aber von Leuten nicht mehr verlangen könne, als sie verständen, so möchten sie sich die lateinischen Worte verdeutschen, auf eine Tafel malen lassen und zu ewigem Andenken in der Ratsstube aufhängen. Im nächsten Jahre verwies er ihnen, daß sie Häuser ohne Land und Land ohne Häuser verkaufen ließen, überhaupt alles verkehrt anstellten und dadurch unnütze Prozesse verursachten. Das käme aber daher, daß der jeweilige präsidierende Bürgermeister alles nach seinem einfältigen Kopfe erledige, ohne sich bei verständigen Leuten, falls dergleichen in der Neustadt wären, oder bei seinen Kollegen Rat zu holen; solche Winkel-Kontrakte verbiete er. 1755 hatten die Stadtväter in einer Testamentssache nach der altüblichen Gewohnheit entschieden, weil das geltende lübische Recht sich in diesem Fall nicht klar genug ausdrückte. Der Fürstbischof stieß ihr Urteil in der Berufung um und flocht dabei die beleidigende Bemerkung von neustädtischem Hornvieh ein. das nicht wisse, was Rechtens; ihr Richter und die zwei elenden Beisitzer verständen so viel vom lübischen und anderen Rechten wie die Kuh vom neuen Tore. Diesmal antwortete der Rat mit Ernst und Würde: Sie seien nicht Rechtsgelehrte, sondern lichteten nach der Vernunft, mit der Gott alle Menschen begabt hätte, nach Billigkeit und Gewohnheit. Das Testament sei durchaus rechtmäßig gewesen. Sie bäten ihn. den Rat als eine von Höchstdemselben verordnete Obrigkeit anzusehen, damit nicht Respekt und Gehorsam der Bürger gegen sie verloren gingen.

Über dem Rat der Neustadt gießt auch der eigene Stadtschreiber seinen Spott aus, wenn er die schon 1676 im Bruder-jchaftsbuch des Artushofes aufgezeichneten volkstümlichen Verse i. J. 1748 wiederholt:

Wo der Bürgermeister schenkt den Wein

Und die Fleischhauer im Rate sein,

Wo der Ratsherr backt das Brot,

Da muß die Armut leiden Not.

Und er klagt anschließend über das Wirtschaftsleben der Stadt: Handel und Wandel lägen darnieder: die Bauern führen mit ihrem Getreide und Flachs über die neue Brücke bei Zagern nach Elbing; die Handwerker hätten wenig Arbeit und trieben mehr Ackerbau; das Brauen gerate ins Stocken, weil auf dem Land Bier der Adligen in den Krügen verschenkt würde: Schulden der Bürger und Stadt.

Aber der eingehende Bericht über den Bau und Stapellauf einer schmucken Handelsjacht der Neustadt v. J. 1760 bringt freundlichere Töne in das Bild der Wirtschaftslage. Im Winter 1759/60 ließ der rührige Großkaufmann und Ratsverwandte Joachim Bredschneider mit bischöflicher Genehmigung auf Schloßgrund unterhalb des Überfalls ein Handelsschiff von 40 Fuß Länge und 10 Fuß Breite bauen. Der Schiffszimmermann Jakob Helski leitete die Arbeit. Am Charsamstag wurde es mit Pferden in den Fluß gezogen und nach der Ladebrücke geschafft. Hier hatte Bredschneider bereits Garn für englische Schiffe und einige Last Getreide nach Danzig laden lassen, als der altstädtische Bürgermeister Oestreich das Fahrzeug mit Beschlag belegte, da es größer als 10 Last sei. Es bedurfte des Eingreifens des Bischofs Grabowski, 173 um schließlich die Altstädter zur Aufgabe ihres Widerstandes zu bewegen.

Diese neue Jacht, der weiße Schwan benannt, war in der Bauart das beste aller Braunsberger Fahrzeuge. Der Bildhauer Johann Frey und der Maler Karl Moser aus der Altstadt setzten ihre ganze Kunst in den Schmuck des Schiffes. Auf dem Spiegel (Heck) war die göttliche Vorsehung zwischen Blumenwerk geschnitzt und dazu die vergoldete Aufschrift:

Gottes Aug bestrahlt die Welt,

Gottes Vorsicht alles lencket,

Drumb beneide Missgunst nicht,

Wass uns GOTT aus Gnaden schencket.

Das Steuer zielte ein geschnitzter Mohrenkopf, die Seiten zwei grüngestrichene Delphine. Auf dem Schirm (Bug) war Neptun mit seinem Dreizack unter Blumenwerk dargestellt. In der Kajüte waren Bettstätten. Bänke, Tische, Leisten zu Gläsern u. a. so eingerichtet, daß nichts fallen konnte. Die Flaggen auf beiden Masten waren blau und rot und trugen in der Mitte einen weißen Schwan. (Blau-rot-weiß müssen als Farben der Neustadt gegolten haben, da seit 1750 auch die beiden Stadtdiener blaue Röcke mit weißen Knöpfen und roten Aufschlägen und Kragen trugen.)

Am 20. Mai konnte die Jacht endlich ihre erste Ausfahre antreten. Zunächst traktierte der Rheder über 30 Gäste, darunter Verwandte und Freunde mit ihren Frauen und die Handwerker, die am Bau des Schiffes beteiligt waren, mit einem Frühstück. Dann bestieg man die im Schmucke von Flaggen und Wimpeln prangende neue Jacht, vor der sich ein dichtes Gewimmel schaulustiger Menschen eingefunden hatte. Nun wurde der Anker gelichtet, und unter Pauken und Trompetenschall u. dem Knall einiger Musketen setzte sich das Fahrzeug in Bewegung. Voller Bewunderung musterten die Gäste seine glänzende Ausstattung und moderne Einrichtung und beglückwünschten den stolzen Besitzer. In Pfahlbude vollzog Kaplan Johann Mocki die kirchliche Weihe des Schiffes. Dann bewirtete Bredschneider die Gesellschaft mit einem würdigen Festessen, zu dem der altstädtische Musikus Elias Wallroth aufspielte, und bei dem auf Bischof, Domkapitel, den Landvogt und den hochedlen Rat der Altstadt Trinksprüche ausgebracht wurden. An Getränken wurde mit Wein, englischem Bier (Ale). Kaffee und Tee aufgewartet. Ein Tanz beschloß das herrliche Vergnügen, bei dem man sich bis an den hellen Morgen erlustigte. Dann fuhr man teils in Chaisen und Kariolen (Magen verschiedener Art), teils auf dem Losboot des altstädtischen Bürgermeisters Karl Kising nach Hause. Am 23. segelte die Jacht unter Führung des Schiffers Andreas Schier aus Passargendorf wohl befrachtet nach Danzig und kehrte am 4. Juni mit Jahrmarktsware heim.

Das neue Schiff hatte viele Frachten, doch scheint sein prunkvoller Bau die finanzielle Leistungsfähigkeit des Rheders zu stark in Anspruch genommen zu haben: er geriet in Zahlungsschwierigkeiten und Konkurs und hatte das „Gefäß" verkaufen müssen, wenn nicht sein Schwiegervater, der neustädtische Bürgermeister Joseph Schwan, und fein Bruder Martin aus der Altstadt die Gläubiger befriedigt hätten.

Zu jener Zeit kämpfte Friedrich der Große im siebenjährigen Kriege um den Bestand des preußischen Staates. Seitdem i. J. 1758 russische Truppen Ostpreußen erobert hatten, bekam auch das Fürstbistum Ermland mit moskowitischen Einquartierungen die Kriegsnot zu verspüren. Am 29. Oktober 1759 verhandelte der russische Generalleutnant und Gouverneur von Preußen von Korff persönlich mit dem altstädtischen Bürgermeister Klemens Hanmann wegen Anlage eines Magazins für Hafer und Heu. Im November 1760 bezogen 3 russische Regimenter im Ermland Winterquartiere, in Braunsberg und Umgegend das des Generalleutnants Wolchonski, das bis zum Mai 1761 verblieb. Erst als im nächsten Jahre Zar Peter III. mit Preußen Frieden schloß, hörten die Durchmärsche der russischen Truppen auf. Im März 1763 wird ein Transport österreichischer Gefangener in der Stadt untergebracht. Daß auch in diesen martialischen Zeiten der Liebesgott Amor seine zarten Faden zwischen den fremden Soldaten und den Töchtern der Stadt spann, ist aus der Heirat der Ratsherrntochter Katharina Lunitz mit dem russischen Hauptmann Peter von Rossy ersichtlich. Als die Hauptmannsflau im Februar 1763 ihrem Gatten ins ferne St. Petersburg folgte, begleitete sie und ihr Baby mit Braunsberger Pässen nicht nur die Amme Charlotte Monslerin, sondern auch ihr Bruder Anton Lunitz, der mit Einwilligung seiner Eltern sein Glück am Newastrand versuchen wollte.

Ob die mit einem langen Krieg gewöhnlich verbundenen schweren Störungen des Handels auch nach dem Hubertusburger Frieden an dem Zusammenbruch der Braunsberger Firma Michael Schorn mitschuld waren, ist aktenmäßig nicht ersichtlich. Tatsache ist, daß am 10. Juli 1765 der Ratsverwandte Schorn „wider alles Vermuten" vor dem Bürgermeister fein Fallissement anzeigte. Schorn, der aus einer schon um die Mitte des 175 17. Jahrhunderts aus Kaiserswert angezogenen Weinhändlerfamilie stammte, deren Mitglieder es bald in der Altstadt zu Reichtum. Ansehen und den höchsten bürgerlichen Ehrenstellungen brachten, betrieb wohl damals das größte Handelshaus von Braunsberg. Aus Familientradition unterhielt er nicht nur einen umfangreichen Weinhandel, der über Rhein und Mosel bis ins Land des Burgunder- und Champagnerweines reichte, er führte auf eigenem Schiff auch große Ladungen Salz, Kalke, Zucker, Kaffee. Fensterglas ein, exportierte insbesondere ermländische Garne, Flachs, Leinwand und Getreide und genoß das unbedingte Vertrauen seiner ermländischen Kunden wie seiner Geschäftsfreunde in Königsberg, Elbing, Danzig, Stettin und darüber hinaus bis nach Reims. In dem 1728 erbauten Traubenspeicher, nach seinem Familienwappen benannt, lagerten die wertvollen Kaufgüter, ehe sie ins Ermland oder nach auswärtigen Plätzen verfrachtet wurden. Der reiche Kaufherr gehörte zu den Patriziern, die von August III. geadelt wurden; er war damals erst 31 Jahre alt. Dreimal war er verheiratet, zunächst mit Magdalena Dromler aus der Mehlsacker Bürgermeisterfamilie, dann mit Maria Elisabeth von Mathy, der Tochter eines Danziger Finanzrats und Witwe des Braunsberger Kaufmanns Thomas Hanmann, und seit 1752 mit Magdalena von Hertzberg aus Kirschdorf. Alle drei Frauen brachten ihm beträchtliches Vermögen in die Ehe. Seit 1759 gehörte er dem Rate an. Auch das in seinen Anfängen steckende Postwesen hatte er sich übernommen. Das große Haus, das er führte, Möbel, Silberwerk, Bediente und Lakaien, seine Jagdpassion, erweckten den Eindruck unermeßlichen Reichtums, und doch brach plötzlich alles wie ein Kartenhaus zusammen. Nachdem die Forderungen Königsberger Firmen den Konkurs herbeigeführt und Schorn seine Ehrenämter niedergelegt hatte, meldeten zahlreiche andere Gläubiger ihre Ansprüche an, und es zeigte sich, daß auch eine Menge ermländischer Bauern und Kaufleute bis nach Wartenburg, Bischofstein und Rößel teils geliehenes Geld, teils Guthaben für Garn, Flachs u. a. zurückverlangten. Am 4. März 1766 beliefen sich die angemeldeten Gläubigerforderungen auf 326275 Gulden, denen Werte von 168 406 G. gegenüberstanden. Die mit der Konkurssache betraute Ratskommission plante einen Akkord von 44 Prozent; da aber infolge verspäteter Anmeldungen die Gesamtschulden auf 363000 G. (etwa 1 Million RM) anstiegen, konnte nur eine Quote von 35 Prozent bewilligt werden. Auch diese Rückzahlung war Schorn nur dadurch möglich, daß Erzpriester Graf Ludwig von Ladron, Domherr von Olmütz und Abt von St. Denis zu Reims, ein wohl infolge der Beziehungen des polnischen Thronkandidaten Stanislaus Leszczynski zu Lothringen nach dem Ermland verschlagener Franzose, mit feinem Vermögen für ihn eintrat Nachdem Schorn so alle feine Gläubiger prozentual abgefunden und sich dadurch rehabilitiert hatte, empfahl Fürstbischof Ignaz Krasicki dem altstädtischen Rat im Januar 1768 ihn auch wieder in das Magistratskollegium aufzunehmen, welchem Wunsche die Ratsherren Rechnung trugen. — Übrigens zog der Schornsche Konkurs auch den seines Sohnes Anton und der Tuchhandlung Andreas Schwengel in Braunsberg nach sich.

Als nach der Wahl des russischen Thronkandidaten Stanislaus Poniatowski zum Polenkönig (1764) sich Konföderationen bildeten, um die Gleichberechtigung der polnischen Dissidenten mit den Katholiken zu bekämpfen, verfolgten die Nachbarstaaten Rußland und Preußen die Entwicklung der innerpolnischen Verhältnisse mit erhöhter Aufmerksamkeit. Bereits unter dem 15. Oktober 1769 drohte die preußische Regierung zu Königsberg, das Fürstbistum Ermland militärisch besetzen zu lassen, weil sich auch hier die Verbündeten regten. Die künftigen Ereignisse warfen bereits ihre Schatten. Im August 1770 zeigte die Königsberger Kriegs- und Domänenkammer dem Bischof Krasicki ihre Maßnahmen gegen die von Polen drohende Pest an und verlangte deren Veröffentlichung und strikte Befolgung auch in seinem Ländchen. Ein Jahr später forderte Friedrich II. vom Bistum eine Beisteuer zur Verpflegung der preußischen Truppen, die ihm nicht verweigert wurde. Im Februar 1772, als die Verhandlungen zwischen dem Bruder des Königs, dem Prinzen Heinrich, und der Zarin Katharina die erste Teilung Polens erfolgreich angebahnt hatten, ersuchte der preußische Kammerpräsident von Domhardt den Bischof und das Domkapitel von Ermland um einen genauen Kataster ihres Territoriums, vorgeblich damit bei etwaigen Durchmärschen preußischer Truppen jede Überbürdung der einzelnen Orte vermieden würde. Trotz der Weigerung der ermländischen Regierung antwortete die Königsberger Regierung am 24. April mit der Anzeige, daß infolge der Manöver bei Marienwerder eine militärische Durchquerung des Ermlandes unvermeidlich sei; daher möge für die Beschaffung der benötigten Fourage Sorge getragen werden.

Nun benachrichtigte die bischöfliche Landesverwaltung die Altstadt Braunsberg, daß das Infanterieregiment von Stutterheim am 25. Mai dort einrücken und am 27. weiterziehen würde. Der Rat beschloß, den Regimentschef im Hause des 177 Bürgermeisters Anton Hanmann. den Obristen beim Bürgermeister Klemens Hanmann einzuquartieren. 1000 Mann sollten vom Ratsherrn Gottfried Roessel möglichst gerecht untergebracht werden, 500 wurden der Neustadt zugewiesen. 116 Pferde mußten zum Vorspann bis Mühlhausen gestellt werden. Auch auf dem Rückmarsch berührte das Regiment die Stadt; der Generalleutnant von Stutterheim nächtigte diesmal beim Ratsherrn Schorn. Am 15. Juni folgten 5 Kompagnien des Regiments von Sydow, die hier ihr Standquartier beziehen sollten. Sofort ließ Obristwachtmeister von Braun dem präsidierenden Bürgermeister die Stadtschlüssel abfordern, und als dieser entgegnete, er dürfe sie ohne Vorwissen des Fürstbischofs niemandem ausliefern, ließ jener erklären, es sei zur Sicherung der Garnison notwendig, und er müßte im Falle der Weigerung auf Kosten der Stadtkasse andere Schlüssel für die Tore anfertigen lassen. Daraufhin fügte sich der Magistrat, wie er auch den anderen Forderungen nachkam; so stellte er 2 Reitpferde zur Verfolgung etwaiger Deserteure, räumte ein Ordonnanzhaus ein, richtete das Nachhalls auf dem Markt als Hauptwache ein, setzte eine sehr mäßige Fleisch-, Bäcker- und Hökertaxe fest u. a. Am 13. August zeigte Braun an, daß demnächst 300 Rekruten in der Stadt eintreffen und hier ausgebildet werden würden. Alle Bemühungen, die Verlegung des Rekrutendepots an einen anderen Ort wie Pillau zu erwirken, scheiterten. Um Desertionen zu verhindern, mußten die Bürger an den Toren Wachen beziehen.

Nachdem am 5. August 1772 die Einigung Preußens, Rußlands und Oestreichs über die erste Teilung Polens zustande gekommen war, konnte der tatsächlichen Besetzung der Stadt Braunsberg durch preußisches Militär auch die förmliche politische Besitzergreifung durch Vertreter der preußischen Regierung folgen. Eine neue Zeit machte dem geistlichen Kleinstaat Ermland nach über 500jährigem Sonderleben ein ruhmloses Ende. Schon in den Schwedenkriegen hatte sich zum schweren Schaden des Territoriums herausgestellt, wie im machtpolitischen Ringen der benachbarten Staaten Wehrlosigkeit und Ohnmacht das friedliche Fürstbistum zum Spielball der feindlichen Heere gemacht hatten. Der stammesfremde, innerlich zerrüttete polnische Staat war weder fähig noch willens, seine Pflicht als Beschützer des Ermlandes feindlichen Angriffen gegenüber energisch auszuüben. Er hatte sich in der Hauptsache darauf beschränkt, polnischen Magnaten den ermländischen Bischofsstuhl und einträgliche Domherrnpfründen zuzuwenden, und diese fremden Prälaten hatten als Organe der Landesherrschaft wieder ihre Landsleute für den adligen Gutsbesitz, geistliche Ämter und Beamtenstellen herangezogen. Der ermländische Bürger und Bauer war bis auf südliche Teile des Bistums deutsch geblieben, und auch in Braunsberg hatte sich der deutsche Charakter der Stadt und Bürgerschaft trotz der dreihundertjährigen polnischen Oberhoheit und zweihundertjährigen polnischen Bischofszeit unerschüttert behauptet. Nur die Jesuitenanstalten, die einen starken Prozentsatz polnischer Schüler und Lehrer aufwiesen, bildeten eine gewisse Ausnahme. Das Deutschtum der übrigen Stadtbevölkerung wurde auch nicht durch die staatsbürgerliche Loyalität beeinträchtigt, mit der sie ihren rechtmäßigen Herrschern begegnete. In Sprache und Schrift, Recht und Sitte blieb sie dem deutschen Volkstum treu verbunden und fand deshalb auch unschwer den inneren Zugang zu der emporstrebenden deutschen Großmacht Preußen, zu der das Ermland raumpolitisch naturgemäß gehörte, wenn auch konfessionelle Gegensätze, stärkere Steuerforderungen und der Verlust kleinstaatlicher Sonderrechte anfangs Vielfach schmerzliche Gefühle auslösten.

Die ermländische und Braunsberger Sondergeschichte mündete nunmehr in der Geschichte des preußischen Königreichs.

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Dies ist ein Kapitel der Festschrift "Braunsberg im Wandel der Jahrhunderte" von Franz Buchholz zum 650jährigen Stadtjubiläum

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