KREISGEMEINSCHAFT BRAUNSBERG (OSTPREUSSEN)

Franz Buchholz: Braunsberg im Wandel der Jahrhunderte (Festschrift vom Stadtjubiläum 1934)

X. Ausklang

Eine spätere Zeit wird das buntbewegte, erschütternde Geschehen der Nachkriegsjahre eingehend schildern und sicherer beurteilen: die lähmende Kunde der militärischen Katastrophe unserer Verbündeten und der dadurch notwendigen eigenen Waffenstillstandsverhandlungen; das folgenschwere Unheil der Novemberrevolution mit ihren Arbeiter- und Soldatenräten; die auflegenden Bemühungen des demokratischen Parlamentarismus, über die Revolutionspsychose zu geordneten Verhältnissen zu gelangen; das unsagbare Verhängnis des Versailler Friedensdiktats; die demoralisierenden Auswirkungen der unglaublichen Inflation; die Geißel der Arbeitslosigkeit mit ihren gewaltigen Soziallasten: die fortschreitende Verschuldung der Gemeinden und die Verarmung breitester Volksschichten.

Trotzdem hat die Braunsberger Stadtverwaltung unter den schwieligsten Wirtschaftsverhältnissen während der Amtszeit der Bürgermeister Gandy (1917—29) und Kayser (seit 1929) große Aufgaben zur Durchführung gebracht. So erhielt die Stadt im November 1919 von der Kreisüberlandzentrale elektrisches Licht. Die aus dem städtischen Elektrizitätswerk (Stromquelle jetzt das Überlandwerk Ostpreußen), Gas- und Wasserwerk 1926 vereinigten Technischen Werke bilden heute eine Haupteinnahmequelle der Gemeinde und setzten im letzten Rechnungsjahre 695000 Kubikmeter Gas, 251000 Kubikmeter Wasser und 756000 Kilowatt elektrische Energien um. 1920 wurde mit den durch die drückende Wohnungsnot gebotenen Randsiedlungen begonnen, die an der Peripherie der Alt- und Neustadt ganze Straßenzüge neu erstehen ließen. In demselben Jahre wurde ein durchgreifender Umbau des Rathauses vorgenommen. Pflasterungen erneuerten fast das ganze Straßennetz der Stadt. 1926/27 wuchs in der Ackerstraße ein neuzeitliches Schulgebäude für die katholische Mädchenvolksschule und die evang. Volksschule empor. Das Haus, das bis dahin der evang. Volksschule gedient hatte, wurde zu einer Haushaltungsschule umgebaut. Der Errichtung der staatlichen Aufbauschule, mit der die Stadt erhebliche dauernde finanzielle Leistungen übernahm, und der Verstadtlichung der Elisabethschule wurde schon vorher gedacht, ebenso des Umbaus und der Verwendung des Kasernements zu Wohnzwecken und zur Einrichtung eines Rentnerheims. Den Bemühungen des Erzpriesters Schulz gelang die Übereignung der barocken Kreuzkirche an den Redemptoristenorden i. J. 1923: ein stilgemäß ausgeführter Anbau schuf 1923—25 den Patres Kloster und Kapelle. Das 1920 im alten Oestreichschen Geschäftshaus untergebrachte Finanzamt konnte 1932 seinen schlichten Neubau in der Malzstraße, die 1905 begründete Reichsbanknebenstelle im selben Jahre 1932 ein hochgiebliges Eigenheim in der Magazinstraße beziehen. Der 1931 erbaute 30 Meter hohe Wasserturm, der einem namentlich bei Feuersbrünften in den höher gelegenen Stadtteilen dringend empfundenen Bedürfnis abhelfen sollte, erinnert in seiner monumentalen Sachlichkeit an ein modernes Hochhaus. Vornehme Schlichtheit und Zweckmäßigkeit charakterisieren auch das neue Priesterseminar, das am 23. August 1932 durch den päpstlichen Nuntius Orsenigo seine festliche Weihe erfuhr. Mitten in der Finanzkrise d. J. 1931 erfolgte auf dem Gymnasialhof der Abbruch des Direktorwohngebäudes und der Turnhalle, um dem lange erstrebten Erweiterungsflügel Raum zu bieten. Das am 22. Oktober 1933 feierlich enthüllte Kriegerdenkmal am alten Stadtgraben hält in seiner eindringlichen Sprache neben den Gedenktafeln der Pfarrkirchen und Anstalten das Gedächtnis an die im Weltkriege gefallenen Söhne der Stadt fest. Eine neue, notwendige Wasserversorgungsanlage wird zum Stadtjubiläum in Betrieb gesetzt. Wie der Kunstverein, suchte auch eine gute Waldbühne dem Kunstleben der Stadt rege Impulse zu geben. Die Arbeiten des 1877 begründeten Verschönerungsvereins, der sich um die Grünanlagen der Stadt dankenswerte Verdienste erworben hat, hat neuerdings die Stadtverwaltung selbst übernommen und im Zusammenhang mit den Schrebergärten an der Oberpassarge und im Rodelshöfer Grund Schmuckanlagen und Wege geschaffen, die um so begrüßenswerter sind, als das Weichbild der Stadt an schönen Spaziergängen nicht eben reich ist. 227

Anmerkung des Webmasters: Ich benutze hier in tiefer Trauer, daß dieses schöne Braunsberg untergegangen ist, die Gelegenheit, 71 Jahre nach Drucklegung der Festschrift die folgenden Anmerkungen zu machen: "Die Festschrift erhielt nach Auskunft von Frau Katharina Buchholz (Stuttgart) von den Nationalsozialisten nicht die Druckerlaubnis, bevor ihr Vater, Studienrat Franz Buchholz, nicht die Ausführungen mit dem Hinweis auf den Führer und Reichskanzler formuliert hatte."

Am 30. Januar 1933 ging das Sehnen ungezählter Volksgenossen in Erfüllung. Der einfache Soldat des Weltkrieges Adolf Hitler wurde von dem ruhmreichen Generalfeldmalschall von Hindenburg als Reichskanzler zur Führung der Reichsregierung berufen. In ungeahnter Einheit wußte er das zerklüftete deutsche Volk zusammenzufassen. Mit erstaunlicher Kraft wurden alte Formen gesprengt und der Aufbau des dritten Reiches ins Werk gesetzt.

Auf wirtschaftlichem Gebiet wirkte sich die neue Zeit am deutlichsten in der fast völligen Beseitigung der städtischen Arbeitslosigkeit aus: Hatte in den letzten Jahren die Zahl der Unterstützungsempfänger in Braunsberg am 1. April 1930 — 632, 1931 - 1145, 1932 - 1111 und 1933 - 1167 betragen, so sank sie am 1. April 1934 auf 81; am 1. Oktober 1933 waren es sogar nur 14 gewesen. Die offiziellen Organisationen der NSDAP erfaßten auch die Bevölkerung der Stadt in schnell wachsendem Maße. Der vom Geiste des Führers getragenen Bezirksschule des Arbeitsdienstes folgte im Frühjahr die Errichtung eines Brigadestabes der SA.

Den Bevölkerungsstand der Stadt zeigt uns das Ergebnis der Volkszählung vom 10. Oktober 1933. Danach zählte die Stadt 15 353 Einwohner gegen 14031 i. J. 1925. An Geburten wurden i. J. 1933 323 (1932: 303), an Sterbefällen 214 (233) und an Eheschließungen 126 (102) standesamtlich verzeichnet. Noch sei folgende Schulenfrequenz angefügt: Die Hindenburgschule (kath. Knabenschule) zählt zur Zeit 786 Schüler, die kath. Adolf-Hitler-Schule (Mädchenschule) 839, die evg. Adolf-Hitler-Schule (Volksschule) 651, die Berufsschulen 368, die Haushaltungsschule 16. die Elisabethschule 256, das Gymnasium 322, die Schloßschule 86, die Landwirtschaftsschule 62 Schüler und 20 Schülerinnen, die Bezirksschule über 200 Schüler, die Akademie 103 Studierende.

Möge dem ernsten Wollen und starken Ringen des Führers der ersehnte Erfolg beschieden sein zu des Vaterlandes Wohlfahrt, Freiheit und Größe! Möge der Schutz des Allmächtigen auch fürderhin über der guten, alten Stadt Braunsberg walten und sie in Gnaden geleiten in eine glückliche Zukunft!

voriges Kapitel                                nächstes Kapitel

Dies ist ein Kapitel der Festschrift "Braunsberg im Wandel der Jahrhunderte" von Franz Buchholz zum 650jährigen Stadtjubiläum

www.braunsberg-ostpreussen.de