Braunsberg, die Schulstadt des Ermlands

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140 Jahre Elisabethschule Braunsberg

Eine Festansprache von Oberstud.-Rätin Maria Hinz

Pfingsten 1956

Sehr verehrte, liebe Festversammlung

zu Ehren unserer Braunsberger Elisabethschule!

Anmerkung: Diese Festansparche hatte ich schon in die Website gestellt, als ich dann das Büchlein mit der Geschichte fand, wo alles ausgearbeieter ist. Doch auch diese Festansprache hat ihren Charme. Doch sinnvoller dürfe es sein, wenn Sie das Büchlein lesen.

Pinselzelchnung von Stephan Preuschoff Braunsberg

Unsere Elisabethschule ist nicht wegzudenken aus dem Rahmen unserer heimischen Landschaft, und da wir sie heute noch einmal Gestalt annehmen lassen wollen in unserem Geiste, können wir das nicht besser beginnen, als daß wir noch einmal in das unzerstörte Braunsberg heim­kehren, in die Stadt der Kindheit und Jugend vieler von uns. Da liegt sie vor uns, die Kreisstadt an der Passarge, umgeben von weiten Feldern, Äckern und Wiesen, durch die Birkenstraßen, Lindenchausseen und viele Feldwege zu Bauerngütern, Dörfern und Städtchen des Ermlandes füh­ren. Wir kennen die Wege alle: nach Schalmey und Zagern, Tiedmannsdorf, Heiligenbeil und Frauenburg. Wir sehen den Nehrungsstreifen, wenn wir durch die Aue nach Alt-Passarge oder an der Kreuzkirche vor­bei nach Neu-Passarge wandern, und atmen tief die leise, herbe Feuchte der Ostsee ein, wenn fern verglutend die Sonne sinkt. Mit solcher Wolkenhimmelpracht, wie sie oft über unseren Feldern stand, sind nicht viele Landschaften Deutschlands gesegnet.

Wie vielfältig sind die Erinnerungen, die sich mit dem hügeligen Gelände um „Wiens Grund", Julienhöhe, Rodelshöfen oder mit dem weiten Stadtwald verbinden! Wäre Wilhelm Raabe bei uns geboren, er hätte seine „Alten Nester" und andere Geschichten am Passargeufer genau wie am Weserrand finden können.

Nun die Stadt selber. Stolz erfüllte uns, als wir als Kinder lernten, daß sie einst zur Hanse gehört habe, die riesenhaften Speicher am Passargeufer bezeugten es. Im letzten Ermländerbrief wird sie die „ehemals einzige Fernharidelsstadt des alten Fürstbistums Ermland" genannt. Aber nicht die historische Bedeutung hat in der Kinderzeit die stärkste Prägkrai't, die größere Bedeutung fürs Kindergemüt haben Wohnhaus, Straßen- und Spielgemeinschaft. Um die Jahrhundertwende und im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts bot Braunsberg noch überall Raum zum Spielen: auf dem Köslin, in Teich- und Ritterstraße, in der Malzstraße wie an der Passarge, abgesehen davon, daß sich reichlich Gärten und Höfe hinter den Häuserreihen hinzogen. Und wenn damals auch Amtsrichter, Ärzte und Lehrer meist in Mietswohnungen saßen, jeder Ackerbürger, selbständige Handwerker und Kaufmann besaß sein eigenes Haus, das die umwohnenden Kinder mitgenossen.

Sind das ein paar Striche, um das Äußere zu charakterisieren, so wird die innere Struktur der Stadt, die jedem erst hinter den Kinderjahren sichtbar wird, gut durch das Wort „Schulstadt" bezeichnet. Braunsberg war die Schulstadt des Ermlandes, ja, sie war seine Universitätsstadt. - Was besaß Braunsberg nicht alles an weiterführenden Schulen?! Land­wirtschafts- und Handelsschule, staatlich anerkannte Haushaltungs- und Frauenschule, ein altes Lehrerseminar, aus dem sich eine staatliche Auf­bauschule entwickelte, eine Töchterschule mit Lehrerinnenseminar, aus dem ein Oberlyzeum und später eine Oberschule wurde, wie sich auch das fast 400jährige humanistische Gymnasium in eine Oberschule für Jungen wandeln mußte, und als Spitze dieser Bildungseinrichtungen das Lyzeum Hosianum, das mit dem Gymnasium auf mittelalterliche Jesuiten­gründung zurückging. - Das besondere Fluidum jeder Stadt scheint im­mer von dem höchsten Institut der Bildung auszugehen, das sie besitzt. Das hilft die Atmosphäre schaffen, an der jeder teilhat, auch wer nicht direkt mit dieser Einrichtung in Verbindung steht.

Das Lyzeum Hosianum besaß durch seine philosophische und theolo­gische Fakultät Universitätsrang und bot durch eine vorzügliche Biblio­thek, auch durch seinen Lesesaal und die öffentlichen Vorlesungen allen geistig Interessierten der Stadt reiche Möglichkeiten der Weiterbildung. Welche Anregungen sind in den letzten Jahrzehnten von da ausgegangen! Nur Königsberg konnte im ostpreußischen Raum das gleiche bieten. Es ist unmöglich, aller Dozenten zu gedenken, die das Kulturleben der Stadt bereicherten. Dankbar erinnere ich mich zahlreicher Vorlesungen in Kunstgeschichte, Geschichte, Deutsch, in Philosophie und Theologie. Un­vergessen sind die literarischen Vorlesungen über Goethes Lyrik, Faust und den jüngeren Schiller von Hermann Hefele, die historischen von Philipp Funk und Clemens Bauer, die theologischen des Alttestamentlers (und begeisterten Liturgen) Lorenz Dürr, der sogar einen liturgischen Abendzirkel für Laien gründete, wie des jetzigen Mainzer Kirchen­historikers Josef Lortz über die Reformation. - Nicht vergessen zu er­wähnen darf ich unseren heimischen Prof. Dr. Switalski, der als Leiter der „Zweigstelle des wissenschaftlichen Instituts für Pädagogik der Uni­versität Münster" sich besonders um die Weiterbildung des jungen Leh­rernachwuchses mühte in Kollegs und psychologischen Zirkeln, die er mehrere Semester hindurch leitete. - Im Winter kamen dazu häufige Gastvorlesungen, z. B. aus Münster von Prof. Schmaus. Dieser lebendigen Verbindung unserer heimischen Hochschule mit der Universität Münster verdanken wir ja auch unsere Patenschaft.

Damit bin ich aber der Entwicklung vorausgeeilt; denn diese geistige Wirkung über den studentischen in den städtischen Raum hinein, an der unsere Elisabethschule stark teilnahm, setzte erst nach dem ersten Welt­krieg ein. In meiner Schulzeit öffneten sich die Tore der Akademie nur, wenn wir durch die antike Sammlung von Geheimrat Weißbrodt geführt wurden oder in den Oberstufenklassen unser biologischer und physika­lischer Unterricht von Geheimrat Niedenzu dort von ihm seine Ver­tiefung erfuhr. Es war ein Vorzug, den wir den nichtgenügenden Aus­bildungsmöglichkeiten der eigenen privaten Anstalt verdankten.

Wie lag doch alles, was den Herzschlag der kleinen Stadt bestimmte, in der Altstadt geschwisterlich nebeneinander! Das alte Rathaus mit seinem schön gegliederten Südgiebel, den die Gestalten der 3 göttlichen und 4 menschlichen Tugenden zierten, umrahmt von dem lateinischen Distichon:

Haec domus odit, amat, punit, defendit, honorat

Desidiam, Studium, crimina, Jura, probos" von einem Braunsberger Humanisten verdeutscht:

Dieses Haus hasset und liebt, bestraft, verteidigt und ehret

Trägheit, Fleiß, böses Tun, Rechte und biederen Sinn. An dem Nordgiebel konnte man durch die oberste runde Luke die kleine Glocke sehen, die die Stadtgründer (wir hatten Lübisches Stadt­recht) mitgebracht haben sollten. Ihr Rand trug das Motto: lewt und lowt (lebt und lobt), ein wundervolles Lebensmotto. Den hohen Turm der trutzigen, backsteingotischen Stadtpfarrkirche St. Katharina, vom Rat­haus nur durch eine Häuserreihe getrennt, sah man von überall zuerst, wenn man sich der Stadt näherte. Dem Rathaus gegenüber ragte die stolze barockige Akademie neben dem alten Gymnasium mit den Lauben­gängen. Ein paar Schritte nur war es bis zur Schloßschule, die erst das Lehrerseminar beherbergte, später die Aufbauschule und zuletzt uns, (178) die wir fast ein Jahrhundert in der Wasserstraße unsere Töchterschule bewohnt hatten, freilich in nicht besonders schönen Gebäuden, da sie in 5 Bauabschnitten immer zusätzlich hatten erstellt werden müssen. Dafür lagen sie aber an der immer lebendig strömenden Passarge, und man konnte von der Schule sofort aufs Schiff, um nach Narmeln an die ge­liebte Ostsee zu fahren.

Könnte ich mit den wenigen Erinnerungen die Atmosphäre fühlbar machen, in der und aus der wir lebten, nicht um uns der Trauer um den Verlust bewußter hinzugeben, nein, um stärker als sonst dankbar zu sein Tür das, was die Heimat uns dort schenkte, was unzerstörbar in uns lebt, was wir mitnahmen, als wir alles hinter uns ließen, was erst mit unserem Sein erlischt, .soweit wir es nicht weitergaben. Weiterlebt ja nur das Hingeschenkle.

In diesen unseren Stadtraum hinein möchte ich jetzt unsere Elisabethschule stullen, die älteste höhere Mädchenschule des Ermlandes. Jede Schuhle hat ihre Geschichte, wie jeder Mensch seine einmalige Geschichte hat. Immer wieder geschieht es, daß an einem bestimmten Punkt der Zeit sich die Geschichte eines kleinen Menschen für wenige oder viele Jahre mit der Geschichte einer Schule verbindet (ein Bächlein zieht in einem Strome mit, aus dem es wieder heraustritt, der Strom aber rauscht Weiler), in dieser Schulzeit wird der junge Mensch beeinflußt von Mit­schülern, Lehrern, Zeitströmungen, er wird vielleicht aufgeweckt, ge­formt, vielleicht aufgehalten, in der Entwicklung gehemmt. Wer könnte die vielfältige Beeinflussung, die junge und ältere Menschen im täglichen Zusammensein aufeinander ausüben, in Worte fassen!

Weit mehr als das Wissen, das Gelernte, dessen Vermittlung vom Knien als das Entscheidende der Schule betrachtet wird, nimmt man das Lebendige, das Atmosphärische der Schule auf, das, was in einen einstörmt durch die Poren, was man sozusagen schluckt, ohne zu denken, wie der Säugling die Mutterbrust. Nur Leben zeugt Leben, und je stärker man hinter dem Gebotenen Leben spürt, um so stärker wächst eigenes Leben daran.

Um zu sehen, was uns die Elisabethschule im besonderen mitgeben konnte, müssen wir einen Blick auf die äußere und innere Entwicklung der Jubilarin werfen. Wenn ich auch von den 45 Schuljahren dieses Jahr­hunderts 31 aus eigenem Mitleben genau kenne, und zwar 9 als Schülerin und 22 als Lehrerin, zwischen die sich 9 Universitäts- und Wanderjahre schieben, so hätte ich nichts Zuverlässiges über das vorige Jahrhundert auszusagen vermocht, wenn mir nicht 2 ehemalige Elisabethschülerinnen zu Hilfe gekommen wären. Es ist mir eine große Freude, ihnen hier öffentlich danken zu können, den beiden jetzigen Berlinerinnen Frl. Ur­sula Lange und Frau Reutter, geb. Lotte Bisewski. Als mich nämlich Frl. Ursel Lange im Vorjahr bei einem Besuch in Gelle klagen hörte, daß man gar so wenig über die Frühzeit der Elisabethschule wüßte, be­schloß sie, Nachforschungen in Berlin anzustellen. Ich gebe eine Stelle (179) ihres Briefes vom 14. 8. 55 wieder: „Eine gute Quelle nannte mir Dr. Bisewski. (Zur Erklärung: Dr. Bisewski ist Frau Reutters Vater, letzter Direktor des Braunsberger Lehrerseminars und erster der Staatlichen Aufbauschule, an den sich sicher noch manche erinnern.) Er nannte mir die frühere Reichsstelle für das höhere Schulwesen. Ich zog, unterstützt von Lotte Reutter, hin, und es wurde uns Einsicht in sämtliche Unterlagen der Elisabethschule gewährt. Beinahe wollten wir, schwer enttäuscht unverrichtetersache abziehen, denn die Jahresberichte begannen erst 1911. Da entdeckten wir einen Auszug aus der Festrede anläßlich des 75jährigen Bestehens, das die Geschichte der Schule aus ihren allerersten Anfängen seit 1809 aufrollt, von Fr. Direktorin Schröter geschrieben. Wir merkten sehr bald, daß wir mit Notizen daraus nicht hinkommen würden, da uns jeder Satz wichtig erschien. So schwang Lotte sich aufs Rad, holte meine Maschine und schrieb in stundenlanger Arbeit den ganzen Artikel von A bis Z ab. Ich war schon selber k. o. vom Vorlesen, sie aber schrieb unentwegt. Und nun hoffen wir, daß Ihnen mit diesen amtlichen Unterlagen gedient sein wird."

Sie werden alle verstehen, wie sehr mich diese Tat zweier Ehemaliger aus meiner ersten Braunsberger Deutschklasse gefreut hat. Diesem Ar­tikel, der acht enge Maschinenschriftseiten umfaßt, entnehme ich die folgenden geschichtlichen Tatsachen. Diese Tatsachen sind nicht nur für uns, sozusagen als „Familienglieder", interessant, sondern stellen dar­über hinaus einen wichtigen Beitrag zu der Geschichte des höheren Mäd­chenschulwesens in Deutschland überhaupt dar. Wir haben wohl alle schon in der Schule gewußt, daß wir die älteste höhere Mädchenschule des Ermlands besuchten, aber daß ihr Alter - auch im Hinblick auf die höheren Mädchenschulen von ganz Deutschland - überraschend ist, dürfte weithin unbekannt sein. Mir ist es erst im Vorjahr zum Bewußt­sein gekommen, als ich zum 150jährigen Jubiläum der Celler Mädchen­oberschule eine längere historische Arbeit schrieb. In Niedersachsen, der Mitte Deutschlands, hat Goslar aus dem Jahre 1804 die älteste höhere Mädchenschule, die von Gelle, aus dem Jahre 1805, ist nur ein Jahr jünger. Wenn nun im östlichen Kolonisationsland der Anfang unserer heimischen Töchterschule mit dem Jahre 1815 angegeben wird, also nur um 11 Jahre später als die ältesten höheren Mädchenschulen Nieder­sachsens, so ist das wirklich ein überraschendes, aber klares Zeugnis für die geistige Aufgeschlossenheit unserer engeren Heimat.

Wir dürfen nämlich nicht vergessen, daß sich die höhere Mädchen­bildung erst sehr viel später als die Knabenbildung entwickelt hat. Denn während die Bedeutung der Ausbildung und Erziehung der männlichen Jugend immer als Pflicht der Öffentlichkeit (von Staat und Stadt) an­erkannt wurde und somit die ältesten Jungenschulen (Gymnasien) auf Jahrhunderte zurückblicken können, tat man lange fast nichts für die Bildung der Mädchen. Der Pädagoge Campe sagt 1786: „Was das weib­liche Geschlecht betrifft, so scheint es ... gleichviel zu sein, ob Menschen (180) oder Meerkatzen daraus werden, so wenig kümmert man sich darum." Kür die Vorbildung der Lehrerinnen gab es noch lange keine Stätten, als .sich für Lehrer bereits Seminare auf getan hatten. Die Lehrerinnen waren völlig auf „Selbstbildung" gestellt. Daß das Niveau der allgemeinen Frauenbildung dadurch niedrig bleiben mußte, ist selbstverständlich.

Es war also schon eine sehr beachtliche Tat, als in Braunsberg im Jahre 1809 eine „Arbeits- und Industrieschule" gegründet wurde, „in der Mädchen aus allen Ständen in die notwendigen weltlichen Arbeiten, die Ausgezeichneten mich in die feineren Arbeiten des Luxus und in den sogenannten weiblichen Künsten Unterricht erhalten sollten". Die Er­öffnungsrede hielt, ein Lehrer des Gymnasiums, die Leitung übernahm eine Dame, Frau Kriegsrätin Haag, und drei andere Damen lehrten un­entgeltlich In dieser Schule. Das ist die Vorstufe unserer Schule.

Diese „Industrieschule" wurde 1815 zu einer Töchterschule erweitert. Als Leiter werden nacheinander Dr. Jos. Kabath, Oberlehrer Dr. Gerlach und Oberlehrer Dr. Lilienthal genannt. Der Titel Oberlehrer verrät, daß es Lehrer des Gymnasiums waren, die wahrscheinlich im Nebenamt die Töchterschule rührten. Sie bestand ja anfangs nur aus zwei Klassen, und die Besucherzahl war nie groß. Sie wird um 60 geschwankt haben, der Bericht sagt, daß sie 80 nie erreicht habe. Überraschend für damalige Verhältnisse sind drei Tatsachen. Erstens: daß sie sich von Anfang an einer großen Teilnahme seitens der städtischen Behörden wie der Ein­wohner zu orfreuen hatte. Die städtische Verwaltung steuerte Mittel bei, sie wird an einer Stelle „eine von der Stadt unterhaltene Schule" ge­nannt. Zweitens: schon 1824 besitzt sie ein eigenes Haus in der Nähe des Wassertores. Drittens: sie ist eine Simultanschule, die angestellten Hilfs­lehrer sind zur Hälfte katholisch, zur Hälfte evangelisch. Der katholische Religionsunterricht wird nur vorübergehend von der Pfarrgeistlichkeit, meistens von Professoren der Akademie erteilt, der evangelische Reli­gionsunterricht von den evangelischen Pfarrern. Diese Tatsachen sind deshalb überraschend, weil die meisten höheren Mädchenschulen in ihren Anfängen entweder rein private Unternehmen von besonders interessierten Frauen sind oder von einer kirchlichen Stelle ausgehen. Diese Entwicklung läuft bis zum Jahre 1846, wo ein energischer Versuch unternommen zu sein scheint, sie in eine öffentliche städtische Töchter­schule zu wandeln. Das Braunsberger Kreisblatt sagt damals: „Unsere Töchterschule hat das allgemeine Interesse erregt, aller Augen haben sich auf sie gerichtet, und jeder erwartet das Resultat der gegenwärtigen Krisis mit Spannung." Die Stadtverordnetenversammlung lehnt es aber ab, die Töchterschule als städtische Schule zu übernehmen. Zwei Gründe werden für die Ablehnung angegeben: In den meisten größeren Städten seien die höheren Töchterschulen in der Regel nur Privatinstitute, und die Zahl der Schülerinnen sei zu klein.

Die Schule spaltet sich daraufhin in zwei Teile: in eine katholische Töchterschule, eine Privatanstalt, und eine evangelische Töchterschule, (181) ebenfalls Privatanstalt, beide auf eigene Mittel und materielle und geistige Unterstützung ihrer Glaubensangehörigen angewiesen. Die An­zeige für die katholische Privattöchterschule ist von Erzpriester Thiel unterschrieben. Diese beiden Schulen laufen nun 76 Jahre unabhängig nebeneinander her, bis im Oktober 22 die evangelische Töchterschule zur Elisabethschule kommt - die finanzielle Lage zwingt dazu - und eine städtische Übernahme der ganzen Schule angestrebt wird, die im April 1925 erfolgt.

Über die Entwicklung der evangelischen Privattöchterschule fehlen mir leider jegliche Unterlagen. Ihre Besucherzahl wird immer klein gewesen sein und ihr Existenzkampf wird um nichts leichter gewesen sein als der der privaten katholischen Töchterschule, die im Herbst 1846 mit 26 Schülerinnen in zwei Klassen begann. Von diesem Zeitpunkt an wurde nun das Alter der Schule gezählt, so daß 1871 das 25jährige, 1896 das 50jährige, 1921 das 75jährige Jubiläum gefeiert wurde und wir wahrscheinlich 1946 das 100jährige gefeiert hätten, wenn wir nicht ein Jahr zuvor die Heimat hätten verlassen müssen. Da aber, rückwärts auf die ganze Entwicklung hin gesehen, die Zeit der katholischen Privat­töchterschule nur einen Teil - freilich durch den Aufstieg in der Entwick­lung des Mädchenschulwesens gerade um die Jahrhundertwende -, einen sehr wichtigen Teil der Schulentwicklung darstellt, wäre es richtig, das Alter der Jubilarin neu zu berechnen. Als Geburtsjahr der Töchterschule müßte man das Jahr 1815 ansehen. Beim 75jährigen Jubiläum, als die Elisabethschule tatsächlich noch katholische Privatschule war, hatte die damalige Zählung ihre Berechtigung, heute nicht mehr. Wir begehen also in diesem Jahr das 140jährige Bestehen, das wir eigentlich im letzten Herbst hätten feiern müssen, und würden im Herbst 1965 das 150jährige Jubiläum zu feiern haben, wenn Sie meine Gedankengänge billigen.

Die Richtung der privaten katholischen Töchterschule wird weit­gehend von den beiden Leiterinnen bestimmt, die die Schule nachein­ander 40 Jahre hindurch führten, und einem Kuratorium, das ursprüng­lich drei, zuletzt neun Mitglieder zählte. Dies Kuratorium hatte beson­ders die finanzielle Seite zu regeln. Diese war in den wechselnden Zeiten bei einer Privatschule, die sich stark entwickelte und zwischen 1880-1911 fünf Bauten durchführen mußte, oft schwierig. Ein Kuratoriumsmitglied scheint stets der bischöflichen Behörde des Ermlands angehört zu haben, am Anfang zahlte der Bischof durch Jahre die 50 DM Schulmiete. Es war auch die finanzielle Seite, die dazu drängte, die Professoren des Lyzeum Hosianum, der Braunsberger Hochschule, zu bitten, ihre Kraft durch Übernahme von Stunden (natürlich unentgeltlich) der Töchterschule zu schenken. Dieser Umstand kann gar nicht hoch genug bewertet werden. Ihm verdankte der Unterricht der Schule seine besondere Höhe. Dank­bar können wohl alle noch lebenden Schülerinnen den hervorragenden Unterricht, besonders Religionsunterricht, rühmen, der ihnen (i. d. Ober­stufe bestimmt) von Professoren, Seminarregenten und Subregenten (182) erteilt wurde. (Ich erwähne nur Prof. Schulz, Prof. Poschmann, Prof. Grunwald, Prof. Jedzink, Subregens Hennig und Regens Brachvogel.)

Ein Name der Anfangszeit soll unvergessen bleiben. Der des Profes­sors Dr. Dittrich, des späteren Dompropstes, der von 1866-1902 (36 Jahre) am der Schule Unterricht in Religion, Deutsch und Pädagogik gab und bis zu seinem Tode (1915) Vorsitzender des Kuratoriums war. Von ihm sagt der schriftliche Überblick von Frau Direktorin Schröter, daß er „fast ein halbes Jahrhundert. Lehrer, Freund und Berater" der Schule war. „Die höhere Bildung der weiblichen Jugend des Ermlandes betrachtete er als eine Hauptaufgabe seines Lebens. Welche Opfer hat er gebracht, um die Schule aus kleinen Anfängen in die Höhe zu bringen!" - Ich bin seinem Namen begegnet, unter den 44 Mitarbeitern, die das Kultusministerium 1906 aus ganz Deutschland nach Berlin geladen hatte, um die wichtige Reform für die höhere Mädchenschule, die 1908 herauskam, vorbereiten zu helfen. Es hat mich mit Stolz erfüllt, daß ein Ermländer, ein Mitgestalter unserer Schule, damals geholfen hat, die höhere Mädchenschule auf eine Höhe, entsprechend der der Knabenschulen, zu heben und so die Voraussetzung für Universitätsstudium und die heute not­wendige Frauenbildung zu schaffen.

Für beide Zeiten der weiblichen Leitung ist entscheidend, was sich damals in der Entwicklung des Mädchenschulwesens im ganzen deutschen Raum abspielt. Frl. Luise Redmann übernimmt die Schule 1865 wahr­scheinlich mit drei Klassen. Knapp 20 Jahre später hat die Schule bereits neun Klassen. Seitdem die Vorbildung als Lehrerin (anfangs hieß es (Gouvernantenprüfung ablegen) neben die Schule gestellt worden war (das muss um 1870 gewesen sein), wuchs die Zahl der Schülerinnen zu­sehends: Am 50jährigen Jubiläum 1896 werden 896 Schülerinnen angegeben, die die Schule besucht haben, darunter 158, die die Lehrerinnen­prüfung bestanden. Diese wird anfänglich am Lehrerseminar, von 1875 bis 1904 in Königsberg, ab 1904 vor einer Kommission der eigenen Schule abgelegt.

Durch die energischen Vorstöße der Frauenbewegung, besonders im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, waren die Augen der Öffentlich­keit, auf die neuen Forderungen gelenkt worden, die durch die Zeitent­wicklung dem weiblichen Geschlecht zugeschoben wurden und für die es vorgebildet werden mußte. War also schon unter der Leitung von Frl. Luise Redmann ein deutlicher Aufstieg zu verzeichnen gewesen, die Schule war unter ihr als private höhere Mädchenschule anerkannt wor­den gemäß der Reform 1894, so wird der Aufstieg noch stärker unter der Leitung von Frl. Elisabeth Schröter, die von 1900-1925 die Anstalt führt. Hatten bis zum 50jährigen Jubiläum der Privatschule etwa 900 Mädchen die Schule besucht, so waren es 25 Jahre später 3200, von denen 612 das Lehrerinnenexamen bestanden hatten. Als dann 1908 die erstrebte Re­form der höheren Mädchenschule kommt („die umwälzendste, die wir je erlebt haben", sagt ein Bericht der Allgemeinen deutschen (183) Lehrerzeitung), die einen 10jährigen Unterbau als Lyzeum, einen 4jährigen Oberbau als Oberlyzeum, dazu weitgehende Akademisierung des Lehr­körpers verlangt, kann die Schule am 27. 7. 09 als höhere Lehranstalt anerkannt und dem Provinzialschulkolleg in Königsberg unterstellt wer­den, da sie den behördlichen Anforderungen entspricht. Sie umfaßt da­mals zusätzlich der Präparandie und des Lehrerseminars 22 Klassen.

Noch kein Jahrzehnt war ins neue Jahrhundert gelaufen, aber rück­blickend ist kaum auszusagen, wie groß die Veränderung war. Was steigt aus dem Leben der Töchterschule aus meinen Kinder jähren vor dieser Reform auf? Bei mir zuerst die beglückend langen Pausen zwischen den Stunden, in denen wir uns beim „Erlöstspiel" so müde jagten, daß das Stillsitzen in den Stunden gar nicht schwerfiel, das Schulfest im Sommer im Stadtwald, wohin jede Klasse auf geschmücktem Leiterwagen mit ihrer Klassenlehrerin hinfuhr, das erregende Tauwetter des Frühlingsanfangs, wenn die Passarge so hoch schwoll, daß sie den Schulhof überschwemmte, und so gefährlich rasch stieg, daß wir einmal plötzlich vor­mittags während des Unterrichtes aus dem zweiten Schulhaus geholt wurden und auf Brettern den Schulhof überqueren mußten und stets frei bekamen, bis das Wasser fiel, - die Turnstunden in der kleinen Aula unter dem Amtszimmer, wo auch die Feiern stattfanden und man hin­gerissen lauschte, wenn die Großen erregende, mitreißende Gedichte vor­trugen wie „den Tod des Tiberius" von Geibel, und herzklopfend da­stand, wenn Frl. Schröter zu uns sprach. Unvergeßlich auch die besondere Stimmung, die den Unterrichtsvormittag durchzog, wenn die ganze Schule einmal im Vierteljahr eine Stunde später begann, weil die ge­meinsame Schülerkommunion in der Acht-Uhr-Messe stattgefunden hatte, wobei unsere Lehrerinnen zuerst zum Tisch des Herrn schritten. „Die wahre Erziehung geschieht wortlos durch die menschliche Atmo­sphäre", sagt Herm. Lietz, der Begründer der Landerziehungsheime, das Wort könnte über jenen Jahren stehen.

Die Umgestaltung und Gestaltung einer Privatschule ohne genügende Mittel setzte nicht nur ein besonders opfer- und arbeitswilliges Kolle­gium, sondern eine besonders organisatorisch kluge und energische Lei­tung voraus. Die hatte sich in Frl. Elisabeth Schröter gefunden. Sie hatte selbst die Schule besucht und war durch Prof. Dittrichs Einfluß, der ihre Geistesgaben schon im jungen Mädchen erkannt hatte, nach einer Reihe von Lehr- und Wanderjahren für die Heimatschule gewonnen worden. Heimatverbundenheit, Heimatverpflichtung waren ganz stark in ihr. Aus dieser Haltung arbeitete sie, aus dieser Haltung wählte sie sich mit sicherem Gefühl ihre Mitarbeiterinnen. Man sagte ihr nach, daß sie sich schon in ihren Schülerinnen die künftigen Lehrerinnen für ihre Schule erküre. Mit scharfem Blick für pädagogischen Eros schuf sie sich einen treuen Stamm, der der Schule für ein halbes Jahrhundert das Gepräge gab.

Es war keine leichte Aufgabe, eine Privatschule durch die ständig wachsenden Ansprüche dieser Zeit zu steuern. Mit starkem (184) diplomatischem Geschick holte sie aus den Braunsberger Möglichkeiten das Beste für Ihre Schule heraus. Ich erwähnte schon die Inanspruchnahme der Akademieprofessoren, dazu kam auch die der Oberlehrer des Gymnasiums, von denen wir heute in Herrn Dr. Motzki den sehr geschätzten Geschichtslehrer meiner Zeit unter uns haben. All das geschah, um die. verlanlagten Stunden durch Akademiker zusammenzukriegen. Ein klarer Verstand, viel praktisches Können und eine große Wendigkeit im Umgang mit Behörden und Menschen ließen sie manches erkennen und durchsetzen, was anderen an ihrer Stelle nicht möglich gewesen wäre. Sie war eine imponierende Erscheinung, eine Frau von Welt, und sicher wurde manches Behördliche an ihrem Abendbrot- und Mittagstisch rascher und leichter abgehandelt als in ihrem Amtszimmer. Es gab genug Schüle­rinnen, die vor ihr zitterten; die Schulordnung, die auch das Ende der Ausgangsstunden um Nachmittag regelte, galt nicht nur für die vielen Pensionäre aus dem Ermland und darüber hinaus, sondern wurde auch von den Einheimischen beachtet.

Es war Ihr nicht angenehm, daß sie sich seit der Reform von 1908 mich den Forderungen des Provinzialschulkollegiums in Königsberg zu richten hatte. Die Akademisierung ihres Kollegiums, zu der sie vorübergehend Lehrkräfte aus dem Westen nehmen mußte, entsprach wenig Ihrer Neigung. Lieber hätte sie gewartet, bis sich genügend eigene Schü­lerinnen die notwendige akademische Vorbildung erworben hätten, und froh war wie um jede, die zu ihrer Schule „heimkehrte". Die Behörde ehrte Ihre Leistung durch Verleihung des Titels einer Studiendirektorin. Bei ihrer Abschiedsfeier Ostern 1925, als die Schule von der Stadt über­nommen wurde, sagte sie in ihrer Abschiedsrede das für sie charakte­ristische Wort: „Mit der Gnade Gottes habe ich bewährte Kräfte gefun­den, die die Tradition der Schule kennen und erfüllt sind von tiefer Religiosität und tiefem Pflichtgefühl." Mit ihr schied eine Persönlichkeit aus dem Schulleben, die die Schule weit über ihre Zeit geformt hatte.

Es entspricht dem geschichtlichen Rhythmus, daß auf die energie­geladene Ära des Durchsetzens, ohne die eine Privatschule gar nicht hätte bestehen können, eine ruhigere Zeit nach der städtischen Über­nahme folgte. Von der, Stadt war Studienrat Paul Semrau vom Gym­nasium als Direktor gewählt worden. Sein Hauptanliegen war, nichts zu stören und so zu arbeiten und arbeiten zu lassen, daß weder in der Schule noch bei der Behörde zu klagen Anlaß war. Von seinen sieben Kindern her hatte er ein großes Verständnis für alles Menschliche, sah überall zuerst das Positive und fand Entschuldigungsgründe für manches Negative. Er besaß das seltene Talent, aufgeregte Eltern zu beruhigen, aufgeregten Kolleginnen empfahl er gern das Schriftchen „Humor im Schulleben", das er immer griffbereit im Schreibtisch seines Amtszim­mers liegen hatte, und seine größte Freude war, daß während seiner 18jährigen Leitung keine einzige Beschwerde nach Königsberg lief. (185)

Innerschulisch gab es genug für ihn zu tun, denn nach dem ersten Weltkrieg war eine neue Schulwelle aufgesprungen, die die berühmten Richertschen Richtlinien für höhere Schulen von 1925 zeitigte, deren Durcharbeit und praktische Auswertung jeder einzelnen höheren Schule stofflich wie methodisch für alle Fächer genug Anlaß zu Konferenzen und Neuerungen bot. Im Gefolge der Richtlinien traten für alle Fächer neue Lehrbücher auf, und mir scheint, wir haben nie schönere Lese­bücher für Mädchen gehabt als damals zwischen 25-35.

Auch war das die Zeit, wo der monatliche Wandertag durchgeführt wurde und die Schullandheimbewegung die jüngeren Lehrkräfte begei­sterte. Ich weiß es noch, wie zögernd Direktor Semrau dem ersten Ersu­chen gegenüberstand. „Ein bis zwei Wochen ohne Mathematikstunden" -ob man das verantworten könnte? Aber er gestattete den Versuch, kam herüber in die Jugendherberge von Narmeln, gab einen Vormittag lang Mathematik und sah sich dabei den Betrieb an. Wir führten überzeugend den Beweis, daß bei einem solchen Aufenthalt mehr gelernt würde als in der doppelten Schulzeit. - Wo sind unsere Ober- und oft auch Mittel­klassen in den nächsten Jahren nicht überall gewesen? In Neupassarge, Narmeln, Kahlberg, in Lallka bei Allenstein, von wo aus wir uns auf den mitgenommenen Rädern einen Teil von Masuren eroberten. Welch ein Glanz ruht auf diesen Schuljahren! Mir scheint, als ob sich Heimat, Jugend und Lernen nie schöner verbanden. Wie klangen unsere Volks­lieder auf den Wanderfahrten und am Abend! Die von den Klassen selbst geschriebenen Fahrtenbücher über alles, „was außerhalb der Schulmau­ern zusammen erlebt wurde", barg ich noch im Gewölbe der Schloß­schule, bevor ich Februar 45 auf die letzte Heimatwanderung ging, mit Frl. Kriegs zusammen über das zugefrorene Haff nach Danzig und wei­ter nach dem Westen.

Eineinhalb Jahre zuvor hatten wir Direktor Semrau in die Heimat­erde gebettet. Nach einem normalen Schultag hatte ihn - völlig unerwar­tet - in der Nacht ein Herzschlag ereilt. Die schwere Zeit der national­sozialistischen Herrschaft und des zweiten Weltkrieges mit ihren Auf­regungen hat sicher zu diesem vorzeitigen Ende beigetragen. Groß war die Erschütterung, tief und aufrichtig die Trauer der ganzen Schule.

Was einer ist, was einer war,

Beim Scheiden wird es offenbar.

Wir hören's nicht, wenn Gottes Weise summt.

Wir schaudern erst, wenn sie verstummt."

Diese Carossa-Worte erklangen bei der Trauerfeier.

Frau Oberstudienrätin Austen leitete in Vertretung die Schule eineinviertel Jahre, bis Ostern 44 an unsere, der Nationalsozialistischen Partei höchst unsympathische „schwarze Schule" der Leiter des Königs­berger Bezirksseminars Dr. Kurt Roßmann als Direktor geschickt wurde. Wie hat unser Kollegium damals gebangt um das, was unsere Schule noch an Substanz besaß! Wie wurde dies Besondere gespürt von den (186) Schülerinnen, die damals scharenweise aus dem stärker angegriffenen Königsberg zu uns kamen! Eine Obersekundanerin erzählte einmal ganz auf einem Spaziergang, ihr Vater sei so erfreut über die Luft, 'die bei uns wehe, daß er gesagt hätte, sie müsse in Braunsberg bleiben und hier Ihr Abitur machen, auch wenn sie wieder nach Königsberg zurückkönnten. Dort habe es keine Schule, die ihr das gleiche bieten könne.

Direktor Dr. Rossmann war überzeugter Anhänger der Nationalsozialistischen Partei, als er zu uns kam, aber er war Mensch geblieben. Die menschliche Haltung, die ihm bei uns aus der Schülerschaft wie aus dem Kollegium entscheidend entgegentrat, gewann ihn. Es schien ihn zunächst zu verwundern, dass es nach zehnjährigem Kampf des Nationalsozialismus noch eine (öffentliche Schule mit so eindeutig christlichem Gepräge gab. (Die Kreuze hingen noch in unseren Schulzimmern.) Ob­wohl er unsere Überzeugung nicht teilte, ließ er, soweit es möglich war, Freiheit, griff nicht an und suchte nichts zu zerstören. Die selbstlose Pflichterfüllung der meisten, die hingebende, völlig ehrgeizlose, ja bescheidene Haltung besonders unserer ältesten Mitarbeiterinnen zwang ihm ehrfürchtige Hochachtung ab, der er bald gerührt und dankbar Ausdruck gab. Ich darf hier wohl zwei Namen nennen, weil beide Damen nicht unter uns weilen: Frl. Else Gausowsky, die in der Ostzone starb, und Frl. Gertrud Hane, die aus Leuna wegen Krankheit nicht kommen konnte. Nie werde ich vergessen, wie wir ihm schon nach dreiviertel Jahren seiner Amtstätigkeit auf einem Ausflug lachend erzählten, wie sehr wir uns vor seinem Amtsantritt gefürchtet hätten, und wie „ange­nehm enttäuscht" wir seien. Ich erschrak aber doch etwas, als Frl. Eise Gausowsky ihm dabei vergnügt, ja fast etwas triumphierend erklärte: „Ja, Ja, Herr Direktor, Sie sind eben die Frucht unseres Gebetes." Ich weiß nicht, ob er eine Antwort gab. Als dann im Januar 45 die Verzweiflung über ihn hereinbrach und seine tapfere Frau den Revolver versteckte, sagte Frl. Hane nach einem Angebot der Hilfe: „Ach, Herr Direktor, in solcher Situation hilft eben nur beten." Und auf seinen Aus­ruf: „Glücklich, wer das kann!" setzte sie hinzu: „Oh, das lernt sich leicht, aber haben Sie nur Vertrauen, wir tun es alle für Sie mit."

In einem Brief aus Stade vom 10. 8. 46 schrieb er mir u. a.: „Wie selten sind doch Menschen von der Denkweise der Braunsberger Kolleginnen, und wie stolz bin ich, mit solchen Menschen zusammengearbeitet zu haben und von ihnen geschätzt worden zu sein. Schlimm wäre es wohl, wenn dies alles an mir vorübergegangen wäre, ohne bleibenden Einfluß auf meinen inneren Menschen gehabt zu haben. Vielleicht ist der unverlierbare Gewinn, den ich dem Erlittenen entnahm, größer als der Verlust von allem, was meinem Leben bisher Grund und Boden gab."
Er starb am 7. 8. 54 als Studienrat in Stade, und ich glaube, die Fluchtgeneration, unsere letzten Schülerinnen, haben ihn alle in guter Erinnerung. (187)

Wir stehen am Ende der Entwicklung der ältesten Töchterschule des Ermlandes, des Lehrerinnenseminars, des Oberlyzeums, der Mädchen­oberschule in Braunsberg, mit einem Worte: unserer Elisabethschule. Das Gesagte ist geschichtlich nur eine Umrißzeichnung von wenigen Strichen. Es sollte nicht durch zu große Gründlichkeit ermüden. Doch sollte es Zeugnis ablegen für das, was unsere Schule war, was sie sein sollte nach der Absicht ihrer Gründer, Leiterinnen und Leiter und fast aller Mitarbeiter: eine Stätte, wo man nicht nur einen besonderen Wis­sensstoff vermitteln, sondern wo man helfen wollte, die rechte Schau und Haltung fürs Leben zu gewinnen. Mehr durch das Sein der Schule, das gelebte Leben, das uns in ihr begegnete, als durch das Wort wurde das an uns herangetragen. Wenn diese Schulerziehung dazu half, die Kraft zu entwickeln, die uns den Verlust der Heimat und das bittere Los der Zerstreuung tragen ließ, so tragen ließ, daß wir noch Gottes Sonne über dem Ackerstück sehen können, durch das wir jetzt schon über zehn Jahre den Pflug ziehen, dann darf uns die Rückschau mit Dank erfüllen, mit Dank gegen Gott, unsere Heimat und unsere Schule.

Wechselnde Pfade, Schatten und Licht,
Alles ist Gnade, fürchte dich nicht!"

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