Zur Geschichte der Elisabethschule,

des Städtischen Oberlyzeums

in Braunsberg Ostpr.

Anläßlich der 150jährigen Wiederkehr des Gründungstages

verfasst von Maria Hinz

1965

Herausgegeben vom Hist. Verein für Ermland e. V.

(Sitz Münster/Westf.)

Druck: A. Fromm, Verlag und Handelsdruckerei Osnabrück

(Anmerkung des Webmasters Braunsberg: Die Elisabethschule in Braunsberg ist eher unter dem Namen Lieschenschule, gesprochen Lies´chenschule, bekannt.)

Zugang zu den anderen Braunsberger Schulen.

Vorwort

Dies Büchlein will auf dem Hintergrund der ermländischen Heimat und im Spiegel der Entwicklung des höheren Mädchenschulwesens in Deutschland während des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahr­hunderts das Entstehen, Werden und Wachsen der Elisabethschule zu Braunsberg aufzeigen. Wenn man auch nur mit tiefer Trauer ihres Endes in den bitteren Januartagen 1945 gedenken kann, so sei dieser Schule doch im Hinblick auf ihre Gründung vor nunmehr 150 Jahren ein kurzer geschichtlicher Überblick gewidmet als Dank an alle, die an der Entwicklung dieser höheren Mädchenschule gearbeitet haben, und als Erinnerung für alle ehemaligen Lehrkräfte und Schülerinnen unserer Elisabethschule.

Aufrichtigen Dank schulde ich Herrn Studienrat i. R. Dr. Arthur Motzki, meinem verehrten Geschichtslehrer, für den Anstoß zu dieser Arbeit, Herrn Berufsschuldirektor B. M. Rosenberg für mancherlei Hinweise und sonstige Hilfe, vielen noch lebenden, besonders älteren Ehemaligen für Mitteilungen, Bilder u. a. m. sowie nicht zuletzt dem Historischen Verein für Ermland (gegr. 1856) für die Betreuung dieser Arbeit und ihre Aufnahme in seine Veröffentlichungen.

Celle, im August 1965

Maria Hinz, Oberstudienrätin i. R.



Wenn man heute zurückblickt auf die Geschichte der höhe­ren Mädchenbildung in Deutschland, ist es kaum zu begreifen, in wie kurzer Zeit sich darin ein völliger Wandel vollzogen hat. Noch um die Jahrhundertwende rechnete man die „Töchterschulen" amt­lich zu den „gehobenen Volks- oder Mittelschulen", die dem Kreis­schulinspektor unterstanden. Heute stehen sie gleichberechtigt neben den höheren Knabenschulen verschiedener Art unter dem Provinzialschulkollegium (seit 1908). Dabei schaut die höhere Knabenbildung auf Jahrhunderte zurück, während die höhere Mädchenbildung sehr jung ist. Der Pädagoge Campe sagte noch 1786: „Was das weibliche Geschlecht betrifft, so scheint es... gleichviel zu sein, ob Menschen oder Meerkatzen daraus würden. So wenig kümmert man sich darum." Und Giese erklärt in den „Quellen zur deutschen Schulgeschichte"(G. Giese, Quellen zur deutschen Schulgeschichte seit 1800 - Göttingen 1961) summarisch: „Die Frau war bis ins 19. Jahrhundert von der höheren Bildung der Zeit ausgeschlossen. Nur auf der Stufe der Volksschule wurden die Mädchen erfaßt." Besser sah es in jenen Gegenden vor­wiegend in Westdeutschland aus, wo sich Klostergründungen noch über die Reformation erhalten hatten oder neue Klöster eingerichtet wurden; gemeint sind da von allem die Schulen der Ursulinen (Gegründet durch Angela Merici 1535 in Brescia (Italien)) und der Englischen Fräulein (Gegründet 1609 durch die Engländerin Mary Ward., die ihre Konvente von Anfang an mit Mädchenschulen verbunden hatten.

In unserem Ermland wurde das erste deutsche Frauen­kloster ohne Klausur von der Braunsberger Patriziertochter Regina Prothmann 1571 ins Dasein gerufen, die ihre Gründung schon bald mit Elementarunterricht für Mädchen verband (H. Hummel er, Regina Prothmann und die Schwestern von der hl. Katha­rina - Siegburg 1955; derselbe, Die Glocken von Braunsberg. Leben und Werk der Ehrw. Mater Regina Protmann, Stifterin der Schwesternschaft von der hl. Katha­rina - Siegburg 1964. Vgl. auch Gertrud Bellgardt, Die Bedeutung der Kon­gregation der hl. Katharina für die Erziehung der Mädchen - Berlin-Steglitz 1931.). In § 22 ihrer 1602 erneuerten Regel heißt es: „Auch sollen die Schwestern sich bestreben, auf jede mögliche Weise, das ist mit Wort und Beispiel, ihren Mitmenschen den Weg des Heiles zu zeigen. Darum sollen sie auch die kleinen Mädchen gern in ihre Schulen aufnehmen, um sie in der Frömmigkeit und Wissenschaft oder in anderen Kunst­fertigkeiten zu unterweisen." So wurden die Katharinenschwestern die Schulschwestern des Ermlandes (Zum erstenmal ist uns eine Mädchenschule der Katharinerinnen fürs Jahr 1606 in Rößel bezeugt; vgl. Bellgardt a. a. O. S. 11.) bis ins 19. Jahr­hundert hinein.

Fürstbischof Josef von Hohenzollern, der Reorganisator des ermländischen Schulwesens nach dem furchtbaren ersten Kriegs-Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, hatte eine hohe Auffassung von der Mädchenbildung. In seinen sog. Tagebüchern heißt es z.B.: „Noch zeigt sich hie und da Mangel an Sinn für Mädchenbildung, und doch ist das Weib die erste Bildnerin der Nachwelt, die Regentin des inneren Hauswesens, die Gefährtin des Mannes auf den oft dornigen Lebenswegen, und sie sollte ungebildet bleiben dürfen (vgl. Fr. Hipler, Briefe und Tagebücher des Fürstbischofs von Ermland Joseph von Hohenzollern - Braunsberg 1883 - S. 604 Nr. 692..)?" Der Bischof war es auch, der schon 1827 eine Anordnung zur Er­richtung von Präparandinnenanstaltenan allen vier Kon­venten der Katharinerinnen erließ (Das waren die schon seit Ende des 16. Jahrhunderts bestehenden Katharinen-klöster in Braunsberg, Wormditt, Heilsberg und Rößel. Der Erlaß an den Brauns-berger Erzpriester vom 19. Oktober 1827 bei Hipler a. a. O. S. 391 f. Nr. 161. Vgl. Bellgardt a. a. O. S. 20 f.)
An deren Stelle trat 1859 ein gemeinsames Lehrerinnenseminar am Mutterhaus zu Braunsberg, das zunächst zweijährig, seit 1862 dreijährig war (Vgl. Bellgardt S. 22.). Diese Anstalt war anfangs also die einzige Schule im Ermland, die Lehrerinnen ausbildete (Zum Vergleich sei erwähnt, daß in Deutschland das erste staatliche Lehrerin-nenseminar mit zwei Jahreskursen 1852 in Droyßig (zwischen Zeitz und Naumburg/ Saale gelegen) eingerichtet wurde.) . Obwohl für die Ausbildung männlicher Lehrer im Ermland seit 1811 durch Einrichtung des Normalinstituts in Braunsberg (seit 1827 Lehrerseminar genannt) gesorgt war, hielt der Fürstbischof es für besser, wenn Mädchen von Frauen unterrichtet würden. Er sei überzeugt, schrieb er 1835 an den Seminardirektor Arendt in Braunsberg (Hipler a. a. O. S. 20 f)., „daß eine tüchtige, liebevolle Lehrerin an einer Mädchenschule unendlich mehr für die Herzens­bildung der weiblichen Jugend wirken kann als ein noch so geschick­ter Lehrer; die Gründe liegen zutage".

BisaufRößel, wo im Jahre 1870 eine höhere Mädchen­schule entstand ( Bellgardt S. 23.), beschränkten sich die übrigen Katharinen-klosterschulen auf Elementarunterricht. Freilich erteilten in Brauns­berg die Schwestern auf Wunsch wöchentlich zwei Stunden Franzö­sisch (Für diesen „Privatunterricht" war monatlich eine besondere Vergütung von einer Mark zu zahlen. Diese Angaben sind dem Bericht von Frau Maria Radau ent­nommen, die in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts die Braunsberger Kloster­schule ganz durchlaufen hatte; abgedruckt in Pohls Ermlandkalender für 1930; vgl. Bellgardt S. 25 f.).

Das war zu einer Zeit, wo neben der Klosterschule schon die „Töchterschule" bestand. Und zu den Klositerschulabschlußprüfungen erschienen, wie der Bericht vermerkt, auch Lehrerinnen der Töchter­schule.

1. Vorstufe: Industrieschule 1809

Unsere Elisabethschule - auf diesen Namen ist sie erst über 100 Jahre nach ihrer Geburt (am 18. Juli 1917) amtlich getauft worden - hat einen ganz anderen Anfang genommen als die meisten höheren Töchterschulen Deutschlands. In der Regel sind diese als ausgesprochene „Standesschulen" privat für die Töchter der höheren Bürgerschicht von Geistlichen oder besonders interessierten Frauen eingerichtet worden. Unsere Schule entstand als eine Art Gewerbe-, Arbeits- oder Industrieschule für Töchter aller Bürger in einer Notzeit und wurde aus vaterländischen Gründen ins Leben gerufen.

Was taucht vor uns auf, wenn wir das Jahr 1809 hören? Der An­fang des 19. Jahrhunderts war für unsere ermländische Heimat eine so schwere Zeit (Vgl. B. Batzel, Notjahre im Ermland mit besonderer Berücksichtigung der Franzosennot - Bochum 1926.) wie wohl nur noch die Jahre 1944/45. Der unglückliche Krieg 1806/07 hatte zum Teil hier getobt, so daß 1807 die Bevölkerung (gegenüber 1805) auf vier Fünftel gesunken war; 1810 wurde ein königliches Edikt erlassen, das die Einziehung der Klöster und Domstifte für Zwecke des Staates anordnete. Nur mit Mühe konnten die Katharinenkonvente erhalten bleiben, weil sie nachwiesen, daß sie in größter Armut lebten. 1811 war ein Jahr der Mißernte. 1812 zog zuerst das siegreiche französische Heer durch das Ermland und im Winter die in Rußland geschlagene Große Armee. Man hatte das Letzte geben müssen, oder es war genommen worden. Doch rüttelt diese bedrängte Zeit auch alle Verantwortungsvollen zum Helfen auf. In Königsberg entsteht 1808 eine sittlich-wissen­schaftliche Vereinigung, der Tugendbund, der schon im gleichen Jahr eine ansehnliche Ortsgruppe in Braunsberg hat; sie nimmt alsbald unter dem Wahlspruch „Gott, König, Vaterland" ihre gemeinnützige Tätigkeit auf (vgl. E. Dombrowski, Der Tugendbund in Braunsberg - Zs. für Geschichte Ermlands (abgekürzt: E. Z.) Bd. 11 (1897) S. 1-55.). Dazu gehört vor allem der Aufbau des Bildungswesens. Die erste Tat ist die Einrichtung einer Indu­strieschule für Mädchen, die mit 42 Schülerinnen am 1. Mai 1809 beginnt und am Monatsende bereits 106 Schülerinnen von 8 bis 14 Jahren zählt. Sie werden in Spinnen, Stricken, Nähen, Klöppeln, Bandwirken und Verfertigen von Frauenkleidern, in Kunstzeichnen, Bordieren und Sticken unterrichtet. Schon im Herbst wird eine Reorganisation beschlossen, die feierlich im Rathaus geschehen soll. Darüber wird dem Stammverein in Königsberg folgende Be­schreibung geschickt:

An dem bestimmten Tage (25. September 1809) nachmittags l Uhr versammelten sich die Vorsteher der Industrieschule mit den Lehre­rinnen und Schülerinnen in dem Lokale der Schule, das wir jetzt schon auf vier geräumige Stuben zu erweitern das Glück gehabt haben, und gingen in Form eines feierlichen Aufzuges, der Bürger­meister der Stadt und die Vorsteherinnen an der Spitze, nach dem Rathause, wo sie von den Deputierten des Magistrats und den Stadt­verordneten empfangen wurden. Alles war in der vorgeschriebenen schwarzen Kleidung erschienen. Das Publikum erfüllte den ziemlich geräumigen Saal vollkommen, und die zahlreiche Versammlung war uns ein neuer Beweis, welchen Anteil die meisten an dieser Anstalt nehmen." Nachdem die Mitglieder des Magistrats und der Stadt­verordneten auf der ersten Reihe der Stühle, die Lehrerinnen in der zweiten Reihe Platz genommen hatten, wurde unter der Leitung des Herrn Friedrich Oestreich und in Begleitung von Instrumentalmusik gesungen. Darauf sprach Herr Professor Burgund seine Rede, und nach dieser las der Landrat die neuen Schulgesetze öffentlich vor.

Diese Rede des Gymnasialprofessors Burgund, die dem Druck überlassen wird zum Besten der Industrieschule, umfaßt vier QuartblätterGedruckt bei Heinrich Degen - Königsberg. und ist dem Herrn Johann Oestreich, Vorsteher der Stadtverordneten von Braunsberg, gewidmet. Sie spricht über den Zweck der Schule: Lust und Liebe zur Arbeit in den jugendlichen Gemütern zu erregen und der Neigung zu fadem Geschwätz entgegenzuwirken. Sie dankt der ersten Leiterin, der Frau Kriegsrätin Haag, und den mitarbeitenden Damen öffentlich für ihre Hin­gabe an das begonnene Werk. Sie ermahnt die Schülerinnen zu Achtung, Fleiß und Gehorsam und zum Dank an die Obrigkeit. „Dank, ewigen, heiligen Dank für das, was ihr für uns und die Nachkommen tatet durch zweckmäßige Bildung unserer Seelen, durch eine glückliche Vorbereitung zur rechten Tätigkeit in unserem künf­tigen Leben." Der Schluß drückt den Wunsch aus, daß aus „kleinen, schwachen Anfängen ein herrliches Werk für die Zukunft" hervor­gehen, daß „die Kunde davon das Ohr des gütigen Monarchen er­reichen möge als Zeichen des Gemeinsinns der Braunsberger".

Schon am 11. Oktober 1809 drückt der Stammverein seine hohe Freude über das Entstehen der Industrieschule aus und will in einem besonderen Schreiben „dem Könige diesen Beweis uneigen­nützigen Patriotismus zu Füßen legen". Die Mitteilung an den König hat den gewünschten Erfolg. Am 1. November 1809 trifft in Brauns­berg ein Schreiben des Königs ein, das an den Kurator des gesamten ermländischen Bildungswesens, den Fürstbischof Josef von Hohenzollern, gerichtet ist; es lautet: „Mein Herr Prinz! Ich habe aus der mir geschickten Anzeige die Stiftung der weiblichen Industrie­schule ersehen, finde solche sehr löblich und gebe darüber den näch­sten Teilnehmern und der sittlich-wissenschaftlichen Gesellschaft, deren Vorsteher Sie sind, durch Sie meine Zufriedenheit zu erkerinen. Ich verbleibe Ihr wohlaffektionierter Friedrich Wilhelm."

Die Braunsberger Mitglieder des Tugendbundes dürfen mit etlichen Erzeugnissen dieser Industrieschule ihren „wohlaffektionierten" König Friedrich Wilhelm und die Königin Luise er­freuen, als diese - nach dreijähriger Zuflucht in Ostpreußen - nach Berlin zurückkehren. „Sie erreichten am 16. 12. 1809 Braunsberg um 9 Uhr unter dem Geläute aller Glocken. Die Garnison war in Parade auf dem Altstädtischen Markt aufmarschiert. Sie ließen sich die Abordnung des Bistums und der Stadt. Körperschaften vorstellen und wurden durch Handarbeiten der Industrieschule erfreut. Die Königin erhielt auf weißem Kissen einige Ridiculs (Arbeitstäschchen), 2 Kindermützen, l Paar seidene Kinderschuhe, l Paar wollene Schuhe und 3 Tock Garn. Sie erkundigte sich nach den Verfertigerin­nen dieser Gegenstände, lobte sie und versprach, die Dinge als dauerndes Angedenken gebrauchen zu wollen. ... Dem König wurde von einer Schülerin eine seidene Börse überreicht mit eingesticktem Eichenlaub und der Inschrift: ,Die Töchter Braunsbergs dem Vater des Vaterlandes.' Der König sprach mit Dank die Anerkennung über die Begründung solcher gemeinnütziger Anstalten aus (vgl. Fr. Buchholz, Braunsberg im Wandel der Jahrhunderte. Festschrift zum 650jährigen Stadtjubiläum - Braunsberg 1934.)"

Überschauen wir noch einmal die Rede von Professor Burgund, die die Industrieschule als die Vorstufe unserer Schule illustriert, so muß man mehrere Feststellungen treffen: zunächst den hohen Idealismus, der aus den Worten und Bemühungen um die Existenz dieser Anstalt spricht. Sie mußte ja anfangs immer auf Subskriptionen und Schen­kungen, auf unentgeltlicher Arbeit vieler Lehrkräfte aufbauen. Sie wird aber als sozial notwendig erkannt und im Hinblick auf vaterländische Verantwortung gegründet. Daß dabei in Braunsberg zunächst an die Bildung der Mädchen gedacht wird, lag wohl daran, daß diese noch tiefer stand als die Knabenbildung. Auch da wurde ja kurz darauf eine Umgestaltung durchgeführt. Im Jahre 1811 entsteht aus den Trümmern der alten Jesuitenschule das König!. Gymnasium und im selben Jahre im ehemals Bischöflichen Schloß das „Normalinstitut" für die Ausbildung ermländischer Lehrer (1827 als Lehrerseminar anerkannt) sowie schließlich als Krönung des Gan-x.en die 1818 durch Kabinettsordre errichtete Hochschule, das Lyzeum Hosianum, die Bildungsstätte für den ermländischen Klerus (vgl. A. Motzki, Geschichte des Gymnasiums - in Braunsberg. Höhere Schulen).

Immer waren bei diesen Bestrebungen damals die gleichen Männer führend, vor allem der „Kaufmann Braunsbergs", der Königliche Kommerzienrat Johann August Oestreich (Vgl. Altpr. Biographie S. 479.), der „als Curator localis" für Braunsbergs Schulen damals Großes geleistet hat. Seine Bildung (er hatte in Königsberg Jura und bei Kant Philosophie studiert und bei ihm verkehrt), sein edler Charakter und seine finan­zielle Großzügigkeit hatten ihn weit über Ermlands Grenzen bis zum König bekannt gemacht. Der Garnhandel, den der Unternehmungs­geist seiner Mutter, Magdalena von Kärpen, mit geringem Kapital begann, als sie den Ratssekretär Franz Oestreich heiratete, den späteren Bürgermeister, hatte sich gut entwickelt. In der zweiten Generation schon liefen eigene Schiffe - fast wie zur Hansazeit - die bedeutenden Handelsstädte Nordeuropas mit ihren Garnladungen an. Auch im Winter beschäftigte Oestreich in Braunsberg 250 Leute mit dem Sortieren und Packen des Garns. Der mächtige Löwenspeicher an der Passarge zeugte bis zur Flucht 1945 von seinem kaufmännischen Wirken. Es gab kaum etwas, was damals in Braunsberg und im Ermland an Wichtigem geschah, wobei sein Name nicht -auftauchte. Daneben brachten allen schulischen Bestrebungen Braunsbergs in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts große Hilfe auch die ersten Magi­ster (Oberlehrer oder Gymnasialprofessoren, später oft Direktoren) Burgund, Dr. Gerlach, Dr. Kabath, später Dr. Lilienthal und der Seminardirektor Dr. Arendt.

2. Über die höhere Mädchenbildung im 19. Jahrhundert

Daß in der Rede von Prof. Burgund zur Begründung der besseren Mädchenbildung der Gedanke eine Rolle spielt, eine klügere und geschicktere Frau sei von Vorteil für den späteren Gatten, ist bei den von Männern ausgehenden Bestrebungen um höhere Mädchen­bildung natürlich. Dieser Gedanke hat in der Entwicklung des höheren Mädchenschulwesens eine große Rolle gespielt. Die Er­ziehung des Mädchens im Hinblick auf den Mann war im 18. Jahrhundert zuerst klar durch Rousseau so formuliert worden: „La femme est specialement faite pour plaire ä rhomme." Danach habe sich naturgemäß ihre ganze Erziehung zu richten. „Man benutze ihre weibliche Eitelkeit, ihre Lust zum Schwatzen und erzähle ihr, worauf die Männer den größten Wert legen." Der deutsche Pädagoge Johann Bernhard Basedow (1723—90) gibt in fast wörtlicher An­lehnung an Rousseau die Zielsetzung der Mädchenbildung an, die in Deutschland für mehr als ein Jahrhundert maßgebend blieb: „Die ganze Erziehung der Töchter muß ihre Atasicht auf das .. . männliche Geschlecht haben. Den Männern gefallen und nützen, sich ihre Liebe und Hochachtung erhalten, sie verpflegen, ihnen raten, sie trösten, ihnen das Leben annehmlich und süß machen, das sind zu allen Zeiten die Pflichten des weiblichen Geschlechts; diese muß man das­selbe von Jugend auf lehren (vgl. dazu Maria Hinz, Unsere Schule im Spiegel der Entwicklung des höhe­ren Mädchenschulwesens - in: Festschrift zum 150jährigen Bestehen der Kaiserin-Auguste-Viktoria-Schule Celle - Celle 1955 - S. 32 f..)"

Wenn diese Worte auch aus dem 18. Jahrhundert stammen, so sieht man doch ihre Wirkung in der Mädchenerziehung durch das ganze 19. Jahrhundert. Sie scheinen wie ein fernes Echo nach­zuklingen in j ener „Denkschrift der 1. deutschen Hauptversammlung von Dirigenten und Lehrern in den höheren Mädchenschulen, Wei­mar, September 1872", in der es heißt: „Es gilt, dem Weibe eine der Geistesbildung des Mannes ... ebenbürtige Bildung zu ermöglichen, damit der deutsche Mann nicht durch die geistige Kurzsichtigkeit und Engherzigkeit seiner Frau am häuslichen Herde gelangweilt und in seiner Hingabe an höhere Interessen gelahmt werde, daß ihm viel­mehr das Weib mit Verständnis dieser Interessen und der Wärme des Gefühls für dieselben zur Seite stehe." - Durch das ganze christ­liche Mittelalter bis über die Reformation hinaus war die Erziehung und Bildung von Knaben und Mädchen als gleich notwendig an­gesehen worden. Es war nur die selbstverständliche Auswirkung des Genesiswortes: Gott schuf den Menschen als sein Bild, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn. Mann und Frau schuf er sie (Gen. l, 27). Gleichwertig, doch andersartig, jeder eine Spiegelung göttlichen Wesens. „Mann und Frau schuf er sie." Je stärker, je tiefer alles Angelegte, auch Artangelegte, im einzelnen zur Entfaltung kommt, um so klarer erscheint das Gottesbild in ihm. In der Praxis aller vom christlichen Geist durchdrungenen höheren Mädchenschulen hat die pädagogische Zielsetzung von Rousseau-Basedow kaum eine Rolle gespielt, selbst bei überwiegend männlicher Leitung und Mitarbeit. Aber die Methode und Stoffauswahl, also Unterrichtsgestaltung, sind in der höheren Mädchenbildung stark davon be­einflußt worden, wie das zweite Dokument unserer Schule vom Jahre 1824 zeigen wird.

3. Die Industrieschule wird zur Töchterschule 1815

Der Anfang der Industrieschule war vielversprechend ge­wesen, 1810 hatte sie bereits 165 Schülerinnen und 21 Lehrerinnen. In den Magistratsakten von 1811 heißt es: Da die Schule städtisch wird, sollen ein Magistratsmitglied und der Abgeordnetenvorsteher (Johann Oestreich) zum Vorstand der Schule gehören. Für die Wis­senschaften - man hat also auch damit angefangen - werden die Stunden von 8—9 und 3—5 bestimmt, für Religion die Stunden 8—9 und l—2. Die Lehrer des Normalinstituts werden den Unterricht übernehmen. (Burgund ist mittlerweile dort Direktor geworden.) In den Klassen A und B lehrt man Lesen, Schreiben, Rechnen u. a. für l'Yauen brauchbare Disziplinen; außerdem in A Geographie und Naturbeschreibung (zur Förderung der Gottesfurcht und Aufklärung), Choral- und Glaubenslehre. Auch wünscht der Magistrat Zwang für die Zeichenschule, die inzwischen eingerichtet worden ist. In den Kolgejahren aber sinkt der Schulbesuch - durch die Einwirkung des Befreiungskrieges 1813/14 - so stark, daß es 1814 heißt: „Die Exi­stenz der Schule ist so gut wie vernichtet."

Am 1. Mai 1815 wird beschlossen, die Töchterschule noch ein­mal ins Leben zu rufen. Von 8—11 soll Industrie-, von 11—12 und nachmittags wissenschaftlicher Unterricht in zwei Klassen erteilt werden. Dr. Kabath (Oberlehrer am Gymnasium) soll Leiter der Schule werden. Die Lehrer des Gymnasiums will man für den Unter­richt gewinnen, Frau Justizrat Drews übernimmt das Amt einer Oberlehrerin. Am 13. Dezember 1815 wird die Schule eröffnet. Von diesem Termin an, der den Unterricht in die Hände von ausgebildeten Lehrern legt, muß man den Beginn unserer Schule zählen. Mit mehr als zwei Klassen hat wohl keine höhere Mädchenschule ihren Anfang genommen. Sie wird von jetzt an immer nur als „Töchterschule" bezeichnet.

Wie schon erwähnt, galten die Töchterschulen im 19. Jahrhundert überall als Standesschulen der höheren Kreise. Auch in Braunsberg wünschten die Kaufleute, Ratsherren, akademischen Lehrer des Gymnasiums u. a. für ihre Töchter eine besondere Bil­dungsstätte zu haben. Zwar galt die Klosterschule als sehr gut, aber sie versammelte in ihrer blühenden Zeit über 200 Kinder in zwei Klassenräumen, die in je zwei Abteilungen unterrichtet wurden. Es war begreiflich, daß Eltern, die es sich leisten konnten, schon aus diesem Grunde ihre Mädchen der Töchterschule anvertrauten. Da hier das Schulgeld höher lag - Mitte des Jahrhunderts wird es für die erste Klasse mit 20 Sgr., für die zweite mit 15 Sgr. monatlich angegeben, während in der Klosterschule für die gleiche Zeit nur 4 Sgr. bei sehr viel Freistellen erhoben wurden - war die Schüle­rinnenzahl anfangs immer nur klein. Der Standesunterschied wirkte sich überdies im 19. Jahrhundert viel stärker bei der Mädchen­erziehung aus als bei der Knafcenerziehung. Selbst in der Kloster­schule gab es noch a- und b-Klassen: die a-Klassen für die Kinder der Kaufleute und Handwerker, die b-Klassen für die Kinder der Arbeiter.

Um das Herumziehen der Töchterschule aus einem ins andere Mietlokal zu vermeiden, wurde im Jahre 1824 für sie ein eigenes Haus in der Nähe des Wassertores, das frühere „Bischöf­liche Badehaus", erworben. Daß es Eigentum des Bischofs von Erm-land gewesen war, zeigte das ermländische Wappen mit dem Lamm und Kreuz (Es wurde leider abgebrochen, als es 1846 allein im Besitz der evange­lischen Töchterschule blieb. Dieser Schule schenkte Kommerzienrat Kuckein ein paar Jahre später (1853) ein Grundstück an der Holzstraße, wo sie bis zur Wie­dervereinigung (1922) ihre Unterkunft hatte.).

Der Umzug in das eigene Haus wurde von der Städtischen Schuldeputation in einem Heftchen von acht Oktavblättern angezeigt (Der Titel lautete : Nachricht über die Städtische Mädchenschule in Braunsberg, womit die Verlegung der Schule in ein eigenes Gebäude anzeigt die Städtische Schuldeputation - 1924 gedruckt bei D. Feyerabend.). Die Nachricht will die Teilnahme der Mitbürger auf eine Anstalt hinlenken, die von großer Wichtigkeit für die Stadt ist, und die Grundsätze mitteilen, nach denen sie geleitet wird. Es wird darin gesagt: Das Christentum erkennt die eigene Würde des weib­lichen Geschlechtes voll an und betrachtet seine Ausbildung und Veredelung als heilige Pflicht. Vier Dinge sind bei der weiblichen Ausbildung zu erstreben: frommer Sinn, richtiges Gefühl, gehörige Einsicht und Gewandtheit in den für das Leben notwendi­gen Fertigkeiten. - Religion, das Leben des kindlichen Gemütes in Gott, ist die Hauptquelle aller weiblichen Tugend. Sie wird auch das Gefühl am sichersten leiten, denn dieses bedarf der Leitung. Der weibliche Beruf macht Einsicht notwendig: die Mutter bedarf ihrer zur Erziehung des jungen Geschlechts, die Gattin, um mit dem Gegenstand ihrer Liebe in Gedankenaustausch zu treten, die Haus­frau, um alles in ihrem Gebiet passend zu ordnen. Die Einsicht muß sich auf drei Gegenstände beziehen: Gott, Natur und Mensch. Darauf richten sich die notwendigen Fächer: Religion, der Mittelpunkt des Unterrichts; mit ihm in Verbindung Naturkunde, Erdbeschreibung und Geschichte. Sprachunterricht ist notwendig, dazu Denkübungen zur Entwicklung der geistigen Kraft; Gesang als Ausdruck des Ge­fühls; dazu Zeichnen in der besonderen Zeichenschule; als besonderer Unterrichtszweig der Unterricht in weiblichen Arbeiten. Es bestehen drei Klassen, von denen die zwei unteren Elementarklassen sind, die Oberklasse eine Stufe höher führt, so daß auch den Forderungen der gebildeten Stände entsprochen wird. Der Unterricht der weiblichen Jugend muß von dem der männlichen wesentlich verschieden sein. Es muß auf die Eigenart des Geschlechts Rücksicht genommen werden. Alle Lehrgegenstände müssen anders behandelt werden als in Knabenschulen. Die Auswahl des Lehrstoffes und die Lehrform werden ihre Besonderheit haben müssen.

Wenn das Dokument aus der Vorzeit unserer Schule von 1809 hohen Idealismus verrät, so zeichnet sich das der Frühzeit von 1824 nicht nur durch kluge pädagogische Grundsätze aus, sondern weist hin auf die besonderen Anforderungen der Mädchenerziehung. Vor allem aber zeigt diese Nachricht ganz klar die tiefreligiöse Grundhaltung der Schuldeputation, eine klare christ­liche- Einstellung. Sie atmet den Geist, aus dem unsere Schule bis zum Ende leben konnte und für den und um den in einigen Zeitlagen sehr gekämpft worden ist. Noch heute und für alle Zeit gilt das Wort des Schreibers: „Der Wert einer Schule kann nur nach einem inneren Maßstab gemessen werden. Die Schule ist die beste und kommt ihrer wahren Bestimmung am nächsten, die eine Werkstätte des gött­lichen Geistes ist." - Leider nennt diese Schrift keinen Verfassernamen. Sie galt als „Ausdruck der Schuldeputation".

Hinsichtlich der Bildungsziele für eine höhere Mädchenschule ist das an sich lobenswerte Programm von 1824 doch ein Kind seiner Zeit. Es heißt darin: „Echte Bildung muß ebenso weit entfernt sein von Ungebildetsein wie von Überbildung. Letztere über­schreitet die Grenzen und vernichtet den schönen Charakter der Weiblichkeit. Es soll keine Gelehrsamkeit erstrebt werden. Alles, was den Anstrich einer einseitigen Kennerschaft in einem Fach er­geben kann, ist bei der weiblichen Bildung sorgsam zu vermeiden. Gelehrsamkeit ist Sache des Mannes. Frauen, die ihr nachstreben, verfehlen ihre Bestimmung und beglücken weder sich noch andere. Bescheidene, ihre Grenzen kennende Einsicht gehört zur weiblichen Liebenswürdigkeit. Bei der weiblichen Bildung muß auf die Eigen­tümlichkeit des Geschlechts Rücksicht genommen werden."

Wieviel Fehlwege sind in der höheren Mädchenbildung des 19. Jahrhunderts eingeschlagen worden und wie langsam ist die Ent­wicklung gegangen, weil man der „Eigentümlichkeit der Mädchennatur" so weit nachgab, daß „Gehirnerweichung" hätte die Folge sein können. Es entschied sich dadurch jener Zug in der höheren Mädchenbildung, den Besonderheiten der weiblichen Naturanlage bis zur Schwäche nachzugeben, statt sie in gesunde Kräfte zu wan­deln. „Da das Weib alles mehr durch Sinn und Gefühl als durch den reflektierenden Verstand auffaßt, muß man aus dem Gebiet des Wissens nur dasjenige auswählen, was geeignet ist, den Sinn zu ver­edeln und das Gefühl zu reinigen", urteilte der Töchterschuldirektor Dr. Spilleke in der Mitte des 19. Jahrhunderts, also zu einer Zeit, wo einzelne Frauen schon dringend eine andere Bildung für ihr Ge­schlecht forderten. So erklärte Luise Büchner (L. Büchner, Die Frau und ihr Beruf - Darmstadt 1855; vgl. Hinz a. a. O. S. 32 f.) bereits 1855: „Es ist wahr, daß der weibliche Geist von sich selbst zu einer gewissen Oberflächlichkeit hinneigt; statt nun diese um so entschiedener durch Ernst und Gründlichkeit zu bekämpfen, geht man im Gegenteil meist noch darauf ein und sucht den Mädchen so viel wie möglich jedes eigene Nachdenken und tiefe Überlegen zu ersparen. Das nennt man „auf weibliche Natur eingehen" und die Mädchen „weiblich" er­ziehen. Die Erziehung von Kopf und Herz muß miteinander gehen - erst dann ist es erlaubt, von unserer Bildung zu reden." Gegen die „weibliche Erziehung" vom Manne her setzte sich immer bewußter seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die Frauenbewegung durch, die die Erziehung und Leitung der Mädchen als ihre besondere Auf­gabe betrachtet.

4. Spaltung der Schule 1846 in katholische und evangelische Töchterschule

Unsere Töchterschule von 1815 wie auch ihre Vorstufe, die Indu­strieschule, ist eine Simultanschule gewesen, in der die angestell­ten Hilfslehrer zur Hälfte katholisch, zur Hälfte evangelisch waren. Den katholischen Religionsunterricht erteilte in den Anfangsjahren der damalige Kaplan Thiel, später Regens Prof. Dr. Scheill und nach dessen Tod Prof. Dr. Eichhorn. Den evangelischen Religionsunterricht gab der jeweilige Pfarrer der evangelischen Kirche. - Die Schüle­rinnenzahl war, wie schon erwähnt, in den ersten Jahrzehnten immer klein, hat 80 nie erreicht. Da aber die Stadtverwaltung aus ihren Mitteln immer zum Unterhalt der Schule beisteuern mußte, meinten mit der Zeit viele Bürger, sie sei nicht notwendig; wer seine Töchter mehr lernen lassen wolle, als die Klosterschule biete, möge selbst dafür aufkommen. Man möge sie in eine Privatschule umwandeln, wie das auch in anderen Städten der Fall sei. Man erörterte die Frage in den eben erst aufkommenden Bürgerversamm­lungen - es sind die vierziger Jahre des erwachenden Bürgerbewußt­seins. Die städtische Behörde machte daraufhin der Stadtverordneten­versammlung den Vorschlag, sie als öffentliche höhere städtische Töchterschule anzuerkennen. Diese erklärte sich aber dagegen, weil in den meisten großen Städten die höheren Töchterschulen Privat­institute seien und die Schülerzahl zu klein sei.

Es kam daraufhin zu einer Spaltung in eine katholische und eine evangelische Töchterschule im Jahre 1846, wobei beide nur auf die Mittel und die Unterstützung, die ihre (ilaubensgenossen ihnen boten, angewiesen waren. Es hatten bei dieser Entscheidung auch konfessionelle Gründe mitgesprochen (Vgl. A. Thiel (d. i. der spätere erml. Bischof), Leben des Direktors Prof. Dr. Lilienthal (+ 8. Nov. 1875) - in E. Z. Bd. 6 (1877) S. 230 f.) Der religiöse Indifferentismus gerade der besseren Kreise hatte zu einem neuen Direktor der Töchterschule einen Mann wählen wollen, der im Rufe stand, offen die Gottheit Christi zu leugnen. Dagegen hatte sich der damalige Erzpriester Thiel (der katholische Religionslehrer der Anfangsjahre) zusammen mit Prof. Dr. Lilienthal und Prof. Dr. Eichhorn „mit vollster Energie" gewehrt.

5. Entwicklung der katholischen Töchterschule, deren Leitung, Kuratorium und Schulbauten

Am 10. September 1846 las man im Braunsberger Kreisblatt fol­gende Anzeige: „Nach Beseitigung aller bisherigen Behinderungen wird die von mir eingerichtete über den Elementarunterricht hinausgehende katholische Privat-Töchterschule Dienstag, den 15. des Mts., eröffnet werden. 6—7 Literaten, ein Elementarlehrer und zwei Damen werden sich bei dem Unterricht in derselben beteiligen. Außer dem Holzgeld ist das monatliche Schulgeld für Kinder der ersten Klasse auf 20 Sgr., der zweiten Klasse auf 15 Sgr. festgesetzt. Ich bitte daher die geehrten Eltern, welche ihre Kinder dieser Schule anzuvertrauen gedenken, ganz ergebenst, dieselben ehestens zur Aufnahme bei mir anzumelden. - Erzpriester Thiel."

Welche Schwierigkeiten Erzpriester Thiel vor dieser Anzeige zu überwinden hatte, das zeigt der Briefverkehr dieses verantwortungsvollen Mannes mit dem damaligen Bischof von Ermland, dem Kultusminister und der Braunsberger Stadtschuldeputation. Er ließ sich aber in seinen Plänen von keinem irremachen und erwirkte, daß der Bischof für eine Reihe von Jahren die Miete von 50 Mark für die katholische höhere Töchterschule bezahlte. Er übernahm auch die Leitung der Anstalt, die im Herbst mit 26 Schülerinnen in zwei Klassen (später drei) begann. Es wirkten in diesen Anfangsjahren außer mehreren Literaten und zwei Lehrerinnen noch Lehrer Rohn (später Seminarlehrer, Vater unserer späteren Lehrerin Agnes Rohn) und Lehrer Lühr mit (Vater des späteren Gymnasialprofessors Dr. Georg Lühr und Großvater von Studienrätin Kriegs).

Vom Jahre 1856—62 hatte Fräulein Koller die Leitung, die ein Pensionat für auswärtige Schülerinnen einrichtete, um Eltern­wünschen entgegenzukommen. Im Jahre 1862 trat an ihre Stelle Fräulein von Bö r ell bis 1865. Ihr wurde ein Direktorium von drei Herren zur Seite gestellt: Erzpriester Thiel, Gymnasialdirektor J. J. Braun und Professor Dr. Thiel. Als sie ihre Leitung aufgab, geriet das Fortbestehen der Schule ernstlich in Frage. Nur einer Versammlung katholischer Familienväter war es diesmal zu ver­danken, daß der Beschluß gefaßt wurde, die Anstalt unter allen Umständen zu halten. Zur Ausführung dieses Beschlusses wurde ein Kuratorium gebildet, das aus den Herren Kaufmann Angrick, Dr. Steffen und Prof. Dr. Saage bestand. Dieses Kuratorium berief im Jahre 1865 als Leiterin Fräulein Luise Redmann, die unter Fräulein Koller die Schule besucht und später als Lehrerin an ihr gewirkt hatte.

Da das K u r a t o r i u m bei einer Privattöchterschule von größter Bedeutung für die Schule ist, muß näher auf seine Zusammen­setzung eingegangen werden. Es regelte ja die ganze finanzielle Seite: die Unterhaltung der Schulgebäude, die Bauten, die Gehälter der Lehrkräfte. Anfangs gab es drei, ab 1909 sieben, zum Schluß neun Kuratoriumsmitglieder. Ihre Namen erzählen ein Stück Stadt­geschichte. Sie zeigen die Bereitschaft und Verantwortung von Fami­lienvätern unserer Elisabethschülerinnen und die selbstlose Mitarbeit von Geistlichen des Pfarrklerus wie des Lyceum Hosianum bis zur Kurie in Frauenburg. Die ersten drei Mitglieder waren, wie schon erwähnt, Kaufmann Franz Angrick, Dr. Steffen und Dr. Saage. Nach dem Tode der beiden letztgenannten traten Professor Dr. Dittrich und Gutsbesitzer Werner ein, für diesen später Stadtrat Braunfisch. Als im Jahre 1901 Kaufmann Angrick, der 36 Jahre lang die Schulkässe verwaltet hatte, sein Amt niederlegte, übernahm seine Stelle Gymnasialprofessor Switalski, der sie über 20 Jahre verwaltete. Um die Rechte einer juristischen Person zu erhalten, wandelte sich 1909 das Kuratorium in einen Verein von sieben, später neun Personen. Es traten hinzu: Erz­priester Reichelt, Subregens Dr. Hennig, Sanitätsrat Dr. Flack und Stadtrat Kutschkow. Im Herbst 1913 trat für Stadtrat Braunfisch der Universitätsprofessor Dr. Alfons Schulz ein. Als der langjährige Vorsitzende Dompropst Dr. Dittrich 1915 zu Frauenburg starb, übernahmen bis 1920 nacheinander Domherr Mattern, Dom­propst Sander und Prof. Dr. Schulz den Vorsitz. In den letzten Jahren gehörten zu diesem Kuratoriumsverein noch Stadtrat Wiehert, Erz­priester Alois Schulz, Rechtsanwalt Ziegler und die Leiterin der Anstalt, Direktorin Elisabeth Schröter. Alle Beteiligten opferten jahrelang Zeit, Kraft und auch Mittel für die höhere Mädchenbildung. Wie groß die Not der Schule am Anfang war, zeigt ein Auf­ruf, mit dem das zweite Kuratorium sich an den so oft bewährten Woh1tätigkeitssinn der Bewohner Ermlands wandte und nach kurzer Zeit 400 Taler sammelte. So reich flössen die Gaben später nicht mehr, aber viele Klafter Klobenholz für die Heizung sind immer wieder von Wohltätern gespendet worden. Vom Schulgeld - monatlich für die erste Klasse zwei Taler, für die zweite eineinhalb Taler, für die dritte einen Taler - konnte die Schule unmöglich bestehen.

Eine große Sorge des Kuratoriums waren die Bauten, die durch die stärkere Entwicklung der Schule im letzten Jahrzehnt des 19. und ersten des 20. Jahrhunderts notwendig wurden. Als sich die Schule In einen katholischen und einen evangelischen Zweig gespalten hatte, war die evangelische Töchterschule im Besitz des Hauses Wasser­straße 5 geblieben. Um der katholischen Töchterschule ein eigenes Heim zu geben, erwarb man das Haus Wasserstraße 60. Es enthielt drei Schulräume und im Dachgeschoß die Wohnung der Vorsteherin. Aber es entsprach nur kurze Zeit den Bedürfnissen, und man mußte sich zu einem Neubau entschließen. Geld besaß man nicht. Man hatte nur die auf dem alten Haus ruhende Schuldenlast abtragen können. Als das Haus abgebrochen war, nannte das Kura-lorium nur den Bauplatz sein eigen, aber im Vertrauen auf Gott und in der Hoffnung, daß die Zukunft nicht schlimmer sein konnte als die Vergangenheit, ging man an den Bau, der für 18000 Mark im Sommer 1880 vollendet wurde. Er enthielt sechs geräumige Zimmer und dazu die Wohnung der Vorsteherin, Aber auch dieses Gebäude reichte nur 18 Jahre.

Schon 1898 machte man an den unteren Stock nach der Passargeseite hin einen Anbau mit einer Turn- und Singhalle im Erdgeschoß und darüber der Wohnung der Vorsteherin und führte schon nach drei Jahren (1901) im Schulgarten ein kleines Wohn­haus auf. Beide Male mußte der Schulhof bedeutend vergrößert werden, wozu die Stadtverwaltung entgegenkommend durch Abtreten von Grund und Boden an der Passarge beitrug. Aber auch dieser Gebäudekomplex genügte der wachsenden Schülerinnenzahl und den Forderungen der Unterrichtsverwaltung des 20. Jahrhunderts immer noch nicht. Man setzte also 1907 auf das alte Schulhaus ein drittes Stockwerk mit weiteren sechs Schulräumen und errichtete als letzten Bau 1911 an Stelle des kleinen Nebenhauses im Schulhof das stattliche zweite Schulgebäude mit der großen Turnhalle, neun schönen Klassenräumen und einem Zeichen- und Physiksaal. Der Blick von diesem Hause über die lebendig-strömende Passarge hinweg auf die hohen Bäume des Seifensiedereigartens ist sicher den meisten älteren noch lebenden Schülerinnen noch gegen­wärtig.






Oberstudienrat Paul Semrau 1925 - 1942




6. Schulvorsteherin Luise Redmann Jahre des Kulturkampfes

Die erste langjährige Schulleiterin, Luise Redmann, die ihr silbernes Jubiläum im Jahre 1890 feiern konnte, stammte aus Frauenburg. Fräulein Maria Hane (die jüngere Schwester unserer langjährigen Lehrerin Gertrud Hane - 1880 bis 1956 -, die die Töchterschule damals von 1889—1902 ganz durchlaufen und nach Ostern 1902 in Königsberg das Examen für Volks-, mittlere und höhere Mädchenschulen bestanden hat) berichtet von ihr folgendes: „Fräulein Luise Redmann hatte als Kind sehr früh beide Eltern verloren. Ein mit ihr verwandtes Ehepaar nahm die kleine Luise auf und erzog sie mit ihren eigenen Kindern. Gott fügte es, daß zwei Enkelkinder des Paares, das Luise aufgezogen hatte, auch früh ihre Eltern verloren. Da nahm Fräulein Redmann diese beiden Kinder, Josef und Annchen, bei sich auf und erzog sie. Josef machte Abitur, und Annchen wurde Lehrerin." Dieses kleine Mädchen Annchen wurde später unsere Lehrerin Anna Harwardt, die zu Sprach­studien in Frankreich und mehrere Jahre in England gewesen ist und in ihrer ersten Tätigkeit an unserer Schule noch mit Fräulein Redmann zusammen lebte. Sie hat von 1894—1921 an unserer Schule gearbeitet, und dankbar erinnern sich sicher viele an ihren aus­gezeichneten Sprachunterricht.

Fräulein Redmann wird von allen ihren ehemaligen Schülerinnen als eine sehr liebenswerte, mütterliche Frau geschildert, die allen freundlich, ja herzlich entgegenkam und ihre Nöte zu den eigenen machte. „Ich hatte bei ihr immer den Eindruck, daß es ihr mehr auf unser Sein als auf unser Wissen ankam", sagte die eine ihrer Schüle­rinnen. Die Tochter einer andern erzählt, daß ihre Mutter sie schon als Kind zum Grabe dieser ihrer verehrten Lehrerin mitgenommen und ihr dabei gesagt habe, Fräulein Redmann habe gewünscht, an dem Hauptwege des Johannisfriedhofes nahe dem großen Kreuz begraben zu werden, weil viele ihrer früheren Schülerinnen auf ihrem Schulwege über den Friedhof kämen und dann vielleicht an ihrem Grabe beten würden.

Es war sicher keine leichte Aufgabe, in den Jahren des Kultur­kampfes (bald nach der Reichsgründung von 1871) an einer katho­lischen Privattöchterschule im Ermland leitend tätig zu sein. Die liberalen Bestrebungen, die gegen manche Unterdrückung der auf Freiheit und Einheit gerichteten Bewegungen um 1848 aufgekommen waren, wirkten sich in der Schulpolitik aus. Es hieß Emanzipation der Schule von der Kirche. Man kleidete den Gedanken ein als „Gemeindeschule", „kommunale Schule", die aus nationalen Gründen zu fordern sei. Die Schule müsse befreit werden von dem Einfluß der Kirche, wie das durch das Wort „konfessionelle Schule" und durch die Stellung des Religionsunterrichts zum Ausdruck komme. Also: „Fort mit der geistlichen Schulaufsicht, dem Unterricht von Geist­lichen und Ordenspersonen!" Am 11. März 1872 erschien als erste Folge dieser Haltung das „Schulaufsichtsgesetz", das dem Staat das alleinige Aufsichtsrecht einräumte; bald darauf folgte die Bestimmung, daß Mitglieder eines geistlichen Ordens oder einer Kongregation nicht mehr als Lehrer und Lehrerinnen zugelassen würden, sondern durch weltliche zu ersetzen seien. Den Geistlichen wurde dadurch der Religionsunterricht in den Schulen untersagt.

Wie einschneidend diese Bestimmungen auf den Elementarunter­richt der weiblichen Jugend im Ermland einwirken mußten, ist offen­sichtlich. Er lag ja fast ganz in den Händen der Katharinenschwestern. 68 Schwestern waren damals als Lehrerinnen im Ermland tätig; sie mußten nun ihre Arbeit einstellen. Aber dieser Kulturkampf betraf auch die beiden konfessionellen höheren Mädchenschulen in Brauns­berg, und dieser Kampf zog sich jahrelang hin (Vgl. auch zum Folgenden (z. T. wörtliche Zitate) Fr. Dittrich, Der Kultur­kampf im Ermland (Berlin 1913) S. 312-321.). Es lag nahe, den beiden konfessionellen Töchterschulen Braunsbergs vorzuschlagen, sie den unsicheren Verhältnissen des Privatschul­wesens zu entziehen und sie in eine kommunale höhere Mäd­chenschule zu wandeln. (Die katholische Schule hatte damals 69, die evangelische 84 Schülerinnen.) Der Kreisschulinspektor eröffnete also der Schulvorsteherin Fräulein Redmann im April 1876, daß die von ihr geleitete Schule demnächst eingehen werde, weil die Königs­berger Regierung beschlossen habe, beide Schulen zu vereinigen. Das Kuratorium richtete sofort ein Gesuch an die Regierung und bat um das Weiterbestehen der Anstalt wegen ihrer Bedeutung für das katholische Ermland, wegen ihres guten Rufes in weitesten Kreisen und ihrer durch die Königl. Revisoren anerkannten Leistungen. Die Eltern der Kinder unterstützten das Gesuch durch eine Petition.

Der Magistrat war anfangs nicht gegen die Simultanschule. Die Aussicht war verlockend, daß der Staat fast alle Kosten tragen würde. Als der Kommissar der Regierung erschien, stellte dieser das Interesse der Stadt an einer gut organisierten höheren Mädchen­schule stark in den Vordergrund. Er sagte etwa: Die beiden vor­handenen Schulen erstrebten für ihre Organisation Enormes, leisteten auch nach Lage der Verhältnisse Enormes, aber doch nicht so viel, als man von einer höheren Mädchenschule verlangen könne und die Berliner Konferenz von Fachleuten 1872 tatsächlich gefordert habe. Begreiflicherweise könnten Schulen mit drei oder vier aufsteigenden Klassen trotz tüchtiger Arbeit nicht das leisten, was eine sechsstufige Schule mit Leichtigkeit erreiche. Das bedinge eine Vereinigung der beiden Schulen. So führte er vor Magistrat und Schuldeputation aus. Die katholischen Mitglieder sprachen sich aus pädago­gischen Gründen und mit Rücksicht auf die guten Leistungen der katholischen Schule gegen eine Vereinigung aus, die evange­lischen dafür im Vertrauen auf die Verheißungen des Regierungs­kommissars, daß der Staat alles Fehlende hergeben würde.

Als man nach Verlauf von siebzehn Monaten bei einer neuen Sitzung mit dem Staatskommissar am 29. November 1877 hörte, daß der Minister für den ganzen Etat nur 3500 Mark Zuschuß für die Simultanschule in Aussicht gestellt habe, schlug die Stimmung um.

Inzwischen hatte aber auch der evangelische Pfarrer ener­gisch gegen die Simultanschule Stellung bezogen. Um den Hauptanstoß, den man an der unvollkommenen Schuleinrichtung nahm, zu beseitigen, hatte er die evangelische Töchter­schule zu einer sechsklassigen umgestaltet. In einem Vortrag am 10. Dezember 1877 führte er vor einer zahlreichen Zu­hörerschaft aus, die Notlage sei behoben, die Simultanschule gegen­standslos, da ja die katholische Schule Anerkennung und Erfolg für sich habe. Er bezeichnete es als heilige Gewissenspflicht, wenn er jedes erlaubte Mittel versuche, um das Unglück der Simultanschule von seiner Gemeinde abzuwenden. Die Simultanschule verweise die Religion aus ihrer zentralen Stellung in die Peripherie. Diese Stellung könne weder die Religion noch der Staat vertragen. Der Geist der Zeit habe freilich den Staat oder die Bildung statt der Religion ins Zentrum gestellt, deshalb sei die Simultanschule sein Schoßkind. Allein die Geschichte zeige, daß eine solche Lage auf die Dauer weder der einzelnen Persönlichkeit noch dem Volksleben bekömmlich sei. Erst falle die Religion, dann der Staat. Man nenne es eine Forde­rung des Patriotismus, durch die Simultanschule die Kinder des einen Volkes von Jugend auf gemeinsam zu erziehen, wenn es nur ginge! Aber es gehe nicht. Mit Recht sage ein Spruch: Gezwungenheit ist Gott leid! Nicht Zwang und Uniformität, sondern Freiheit und Individualismus! Es mögen die warmen Protestanten und die warmen Katholiken nebeneinander fröhlich sich entfalten. Das Abzapfen des Blutes, welches die Politiker im Sinne hätten, sei auch in der Medizin außer Brauch gekommen. Es schwäche den Menschen und beraube ihn seiner kostbaren Lebensquelle. Der Staat habe die heiße Liebe der Protestanten und Katholiken je länger je mehr nötig.

Der Kampf ging noch zwei Jahre weiter. Regierung und Magistrat auf der einen Seite, die Stadtverordneten (Schulen und Kuratorium) auf der anderen, bis vom Kultusministerium die Anweisung kam, die Angelegenheit fallenzulassen. In der Besorgnis, es könnte da­hinter der Untergang der katholischen Schule stehen, wandte sich das Kuratorium am 20. Juni 1879 an Seine Majestät den Kaiser und König mit der Bitte, die Entscheidung endlich herbeizuführen und die Konzession für die Schule endgültig auf Fräu­lein Red mann zu übertragen. Eine Antwort ging nicht ein, aber die Konzession erfolgte 1880. So war der Streit um die Simultanschule beendet.

Die ermländischen Kathar inenschwestern hatten seit langem auch in Braunsberg (wie in ihren anderen drei Haupthäu­sern) kleine Pensionate für Mädchen, meist aus besseren länd­lichen Familien unterhalten (Vgl. Bellgardt S. 24 f.), die die höhere Schule in der Stadt besuchten. Aus einem Briefwechsel des späteren Bischofs Andreas Thiel mit seinem Freund, dem rechtskundigen Prof. Dr. Laemmer, geht hervor, daß das Braunsberger Kloster schon im Jahre 1865 ein Pensionat für weltliche Präparandinnen eröffnen wollte. „Das Pensionat wird manche Vorurteile in der vornehmtuenden gebildeten Damen­welt Braunsbergs beseitigen", heißt es in einem Brief vom 17. April 1865. Das Klosterpensionat in Braunsberg, das damals 15 Schülerinnen bewohnten, wurde wohl schon im Jahre 1877 ( Ebenda S. 30 u. 35 ff.), sicher aber im Jahre 1889 von der Königsberger Regierung verboten. Wieder trat das Kuratorium für die Belange der Schule an den Minister heran. Es wies auf den Mangel an geeigneten Pensionen für auswärtige Mädcehn besserer Stände, auf die Gefahren für Schülerinnen in mangelhaft beaufsichtigten Pensionaten und schloß mit der Bitte um Erhaltung (bezw. Wiedereröffnung) des Klosterpensionates, damit die weibliche Jugend Ermlands in den Bildungsanstalten der engeren Heimat die nötige höhere Bildung nebst Erziehung erhalten könne und nicht gezwungen sei, auswärtige oder gar ausländische Pensionate aufzusuchen. Obwohl die Angelegenheit aus Anlaß der Petitionen von Familienvätern im Herrenhaus wie im Abgeordnetenhaus erörtert wurde und warme Fürsprecher fand, wurde abschlägiger Bescheid erteilt. Doch in dieser Richtung sah die Regierung nach ein paar Jahren anders. 1894 konnten die Katharinenschwestern ihr Pensionat wieder eröffnen, das in seiner Blütezeit bis zu 80 Pensionärinnen hatte.

Wir weit hinter all diesen Bestrebungen des Kuratoriums führend und wegweisend die Persönlichkeit des Prof. Dr. Franz Dittrich, des späteren Dompropstes, steht, der auch jahre-lang Landtagsabgeordneter war (Vgl. Altpreuß. Biographie S. 135.), kann man nur ahnen. Von 1866 bis 1902 erteilte er an der höheren Töchterschule Unterricht in Religion, Deutsch und Pädagogik. Lange Jahre bis zu seinem Tode war er Vorsitzender des Kuratoriums und hat fast ein halbes Jahrhundert hindurch die Geschicke der Elisabethschule nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Herzen miterlebt und mitgestaltet. Frau Direktorin Schröter schreibt zu seinem Tode 1915 im Nachruf der Schule: „Er betrachtete die höhere Bildung der weib­lichen Jugend des Ermlandes als eine der Hauptaufgaben seines Lebens. Er war Lehrer, Freund und Berater der Schule. Welche Opfer er gebracht, um die Schule aus kleinen Anfängen in die Höhe zu bringen, das kann nur angedeutet werden. Wie er sein reiches Wissen und seinen Sinn für das Ideale angewandt hat zur Bildung des weiblichen Charakters, davon können Zeugnis ablegen zahlreiche Schülerinnen, die ihm über das Grab hinaus dankbare Erinnerungen bewahren (E. Schröter, Geschichte der Elisabeth-Schule zu Braunsberg - Beiblatt der „Ermländischen Zeitung" vom l. Februar 1922)."

Prof. Dittrich gehörte übrigens auch zu den 44 Mitarbeitern bei der „Konferenz für das höhere Mädchenschulwesen 1906", die das Preuß. Kultusministerium einberief, um die so entscheidende Mädchen­schulreform 1908 vorzubereiten. In diesem Gremium wirkten schon 24 Frauen mit, darunter von den damals führenden Persönlich­keiten Helene Lange und Gertrud Bäumer, vom Verband Kath. Leh­rerinnen Pauline Herber-Boppard und Marie Landmann-Danzig.

7. Entwicklung des höheren Mädchenschulwesens durch die Reformen von 1894 und 1908

Was hatte sich in der Entwicklung des höheren Mädchenschulwesens in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts im deutschen Raum abgespielt? Es hatte schwere Kämpfe gegeben, um aus einem Pri­vatinstitut für die Töchter höherer Kreise eine Bildungsstätte zu entwickeln, die mit Recht zu den höheren Schulen - wie sie für die männliche Jugend lange bestanden - zu zählen ist. Es hatte sowohl der Öffentlichkeit wie den amtlichen Stellen bewiesen werden müs­sen, daß 1. Mädchen ebenso bildungsfähig sind wie Jungen, wenn sie von entsprechend vorgebildeten Lehrkräften unterrichtet werden;

2. daß weder die angeborene Frauennatur noch ihre Gemütswerte durch rechtes Wissen und ernste Geistesarbeit zerstört werden; und

3. daß sich Frauen bei entsprechender Vorbildung durchaus zum Unterricht an höheren Mädchenschulen eignen. Später wurden ihnen dann auch andere Berufswege geöffnet (L. Voss, Geschichte der höheren Mädchenschule - Allgemeine Schulentwick­lung in Deutschland und Geschichte der höheren Mädchenschulen Kölns (Opladen 1952); vgl. auch Else Schmücker, Gedanken zur Frauenbewegung - in Zs. für Katholische Frauenbildung - Jhg. 1964 H. 4, 5 u. 7/8 (Paderborn).).

Es hat viel gekostet und ist anfangs nicht nur dem Mißtrauen, son­dern auch manchem Spott und Hohn begegnet. Es haben auch ein­sichtige Männer mitgeholfen, aber führend war vor allem die Frauenbewegung. Erst durch Helene Lange wurde das Pro­blem in seiner ganzen Breite, aufgerollt und seiner Lösung zuge­führt. In ihrer Begleitschrift zu einer Petition an das Preuß. Unter­richtministerium und das Preuß. Abgeordnetenhaus über „Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung" 1887 (be­kannt als „gelbe Broschüre") beleuchtet sie die Mängel in der dama­ligen höheren Mädchenbildung. Sie führt sie darauf zurück, daß die Erziehung der Mädchen an städtischen und öffentlichen Anstalten ausschließlich in den Händen männlicher Pädagogen liege. Nach de­ren Auffassung von weiblicher Eigenart müßten sie die geistig un­selbständige Frau konsequenterweise als die beste ansehen, da sie am ersten die Garantie biete, den Interessen ihres zukünftigen Man­nes „Wärme des Gefühls" entgegenzubringen (wie das schon auf der Weimarer Pädagogentagung 1872 erklärt worden war).

Mehrere Frauenverbände hatten sich bereits seit Jahren um eine grundlegende Änderung der Mädchenerziehung bemüht. Schon 1865 war der allgemeine deutsche Frauenverein gegründet worden, dessen § l der Statuten lautete: „Der Verein hat die Aufgabe, für die er­höhte Bildung des weiblichen Geschlechtes und die Befreiung der weiblichen Arbeit zu wirken." Dazu kamen der Verein kath. deut­scher Lehrerinnen als erste Lehrerinnenorganisation 1885 und der Allgemeine deutsche Lehrerinnenverein 1890. Alle diese Verbände kämpften um das gleiche Ziel: Reform der höheren Mädchenschule. Über die staatlicherseits verfügte Reform von 1894 hatte das Urteil der Frauenbewegung gelautet: halbe Arbeit. Erst die Reform von 1908 befriedigte. „Es ist die umwälzendste, die wir je erlebt haben", sagt ein Bericht der Allg. deutschen Lehrerzeitung von ihr. Sie galt amtlicherseits als eine Folge und Forderung der Frauenbewegung. Sie öffnete den deutschen Frauen die Universität. Wer vor­her hatte studieren wollen, mußte ins Ausland gehen, z. B. in die Schweiz, die schon in den siebziger Jahren, oder nach England, das 1880 die Frauen zum Studium an der Universität zugelassen hatte.

8. Schülerinnenzahl und Lehrerinnenvorhildung an der kath. Töchterschule in Braunsberg

Die Schülerinnenzahl der Braunsberger Töchterschule war, wie schon erwähnt, anfangs klein. Die Zahl stieg an, seitdem auch die Ausbildung von Lehrerinnen angeschlossen war, was im Beginn der sechziger Jahre geschehen sein muß. Natürlich war dieser Anfang noch kein regelrechtes Seminar. Das Durchlaufen der Schule und eine daran anschließende Prüfung scheint genügt zu haben. In einem Ministerialerlaß von 1845 wird festgestellt, daß „nicht im Semi­nar vorgebildete Schülerinnen erst mit dem 18. Lebensjahr zur Prüfung zugelassen werden. Nicht-Seminarvorbildung aber war noch die all­gemeine Regel" (zitiert nach Voss a. a. O.). Noch im Jahre 1873 heißt es bei der Konferenz, die das Preuß. Unterrichtsministerium zur Behandlung der Mädchen­schulfrage einberufen hat: „Es ist Pflicht des Staates, für die Aus­bildung von Lehrerinnen in eigenen Seminaren Sorge zu tragen... Jede Provinz soll mindestens ein Seminar besitzen als richtungwei­send für alle Privatanstalten."

Anfänglich wurde die Prüfung der Lehramtsbewerberin­nen der kath. höheren Mädchenschule im Braunsberger Lehrerse­minar abgelegt. Das geschah schon unter Direktor Dr. Arendt, der 1868 in den Ruhestand trat. Vom Jahre 1875 an fuhren die Prüflinge nach Königsberg, um dort vor einer Kommission geprüft zu werden. Erst im Jahre 1904 wurde für die Prüfung von der Behörde eine eigene Kommission in Braunsberg zusammengestellt.

In den ersten fünfzig Jahren (bis 1896) hatten 896 Schülerinnen die Anstalt besucht, von denen 242 als Lehrerinnen und Erzieherin­nen ausgebildet waren. In den nächsten 25 Jahren bis 1921 waren es aber 612 Lehrerinnen (334 für Volksschulen, 278 für höhere Schulen). So kam es, daß im Ermland die Schulerziehung der Mäd­chenjugend in Stadt und Dorf bis zur Flucht vorzugsweise in den Händen von Lehrerinnen lag, die in Braunsberg ausgebildet waren. Nicht wenige gingen später auch in andere Provinzen, nach Posen, Oberschlesien und in die Industriegebiete des Westens. Auch die Postulantinnen des Klosters, die nach dem Kulturkampf ebenfalls an unserer Schule ihre Lehrerinnenausbildung erhielten, wirkten später als Lehr- und Krankenschwestern nicht nur in Preu­ßen, sondern auch in England, Italien und Brasilien. Da die Zahl der Schülerinnen gegen Ende des 19. Jahrhunderts ständig wuchs, wurde die Schule 1894 zu einer neunklassigen höheren Mädchen­schule erweitert gemäß den ministeriellen Bestimmungen vom 31. Mai 1894. Daneben bestanden bereits ein dreistufiges Lehre­rinnenseminar mit zwei Abteilungen (a und b) für Volks­und höhere Schulen und eine Präparandie.

9. Schulentwicklung unter der Leitung von Direktorin Elisabeth Schröter

So stand die Schule da, als die erste langjährige Leiterin Luise Redmann sie im ersten Jahr des 20. Jahrhunderts ihrer Nachfolgerin Elisabeth Schröter übergab. Mit dem Tode dieser Direktorin endete 1937 ein Frauenleben, das ein Stück Kulturgeschichte unserer Heimat nicht nur miterlebt, sondern auch mitgestaltet hatte.

Über ihrer Kindheit hatte ein schweres Schicksal gewaltet. Sie war am 27. September 1858 in Schönlanke (Provinz Posen) geboren, hatte aber früh beide Eltern in einer Typhusepidemie verloren. Sie kam zur Erziehung ins Waisenhaus nach Braunsberg, weil sie dort Verwandte hatte, die sich ihrer fördernd annahmen. Da ihre Begabung früh auffiel, bekam sie eine Freistelle in der höheren Mädchenschule, die sie so schnell durchlief, daß sie ihr Ziel schon mit 15—16 Jahren erreicht hatte. Da man erst mit 18 Jahren zur Lehrerinnenprüfung zugelassen werden konnte, arbeitete sie zunächst als Erzieherin. Nachdem sie Ostern 1877 in Königs­berg ihre Lehrerinnenprüfung für höhere Schulen be­standen hatte, wirkte sie als Hauslehrerin in Böhmen und Österreich-Schlesien. 1886 folgte sie einem Ruf an die von Marie Landmann neu gegründete Marienschule in Danzig, wo sie zehn Jahre arbeitete und trotz ihrer Jugend schon an der Ausbildung von Lehrerinnen mit­wirkte. Professor Dittrich, dessen Schülerin sie gewesen war, bewog sie, nach Braunsberg zurückzukehren, zunächst als Lehrerin. Da sie inzwischen auch ihr Schulvorsteherinnenexamen abgelegt hatte, wurde ihr, zuerst vorläufig, bei dem Abgang von Luise Red­mann, im Jahre 1901 endgültig vom Kuratorium die Leitung der Schule übertragen. Was an Sorgen, Arbeiten und Mühen in den nächsten 24 Jahren, in denen die Schule ständig wuchs, an sie herantrat, kann man nur ermessen, wenn man sich vorstellt, daß mehrere tausend Schülerinnen während ihrer Leitung durch diese höhere Schule gelaufen sind.

Von den äußeren Leistungen wurden schon vorher die immer wieder notwendigen Schulbauten erwähnt. Die drei letzten von 1901, 1907 und 1911 liegen in ihrer Amtszeit. Wochen- und monatelang waren manche Klassen umzuquartieren, damit der Unter­richt keine Störung erlitt. Auch fiel der erste Weltkrieg in ihre Zeit. Ab September 1914 war die große Turnhalle über zwei Jahre von der Militärverwaltung als Rekrutendepot belegt, was wieder Um­stellungen erforderte. Nicht ohne Grund rühmte bei ihrem Abschied das Kuratorium durch Stadtrat Wiehert „die Tüchtigkeit, Energie, Umsicht, den Fleiß und die Sparsamkeit der Frau Schröter in An­betracht der Verhältnisse, aus denen die Anstalt hervorgegangen sei".

Die innere Umgestaltung in der damaligen Entwicklung des höheren Mädchenschulwesens erforderte aber noch stärkere Leistungs­kraft als die äußere der Schule, die ja das Kuratorium mittrug. Die Bestimmungen von 1894 hatten schon einen stärker wissen­schaftlich ausgerichteten Unterricht verlangt durch die vorgeschriebenen Stunden für Akademiker (Frauen waren dafür ja noch kaum vorgebildet). Die Neuordnung des höheren Mädchenschulwesens von 1908 ging entschieden weiter. Man hatte endlich eingesehen, daß eine Bildung für die „künftigen Lebensaufgaben der deutschen Frau" eine Weiterführung über zehn Jahresklassen der höheren Mädchen­schulen notwendig mache. Man hatte einen doppelzügigen Auf­bau auf die zehn Schuljahre gestattet: eine Frauenschule und einen dreijährigen wissenschaftlichen Aufbau mit einem weiteren vierten Jahr praktischer Ausbildung zur Prüfung als wissenschaftliche Lehrerin an Volks- und höheren Mädchenschulen - praktisches oder Seminarjahr (P- oder später S-Jahr) genannt. Unsere Schule wählte den zweiten Weg, der ja durch ihre Entwicklung nahelag. Diese zehnjährigen Anstalten wurden durch Ministerialerlaß 1911 Lyzeum, die Oberstufe Ober­lyzeum benannt.

Da nach den ministeriellen Bestimmungen mindestens die Hälfte der Stunden in Mittel- und Oberklassen (später noch mehr) in den Händen von Akademikern zu liegen hatte, war es stets eine der wichtigsten Aufgaben bei der Unterrichtsverteilung, diese Forde­rungen zu erfüllen. Gleichzeitig war es eine große finanzielle Sorge für die Privatschule, aber es ist geglückt. Von Anfang an widmeten die Professoren des Lyceum Hosianum, das übrigens da­mals in Staatliche Akademie umbenannt wurde, ein gut Teil ihrer Arbeitskraft der Schule, jahrelang oft ohne jedes Entgelt. Es könnten sicher zwanzig Namen genannt werden. Daneben arbeite­ten viele Oberlehrer des Gymnasiums an der Bildung der Mädchen mit. Dieser Ausnutzung der Braunsberger Möglichkeiten, diesem uneigennützigen und opfervollen Zusammenwirken von Kura­torium, Lehrkräften, kirchlichen und städtischen Behörden verdankte unser Oberlyzeum seine äußere Existenz, aber auch - was noch be­deutungsvoller ist - seine unterrichtliche Höhe.

Wodurch war es möglich gewesen, daß diese Schule ein be­sonderes Gepräge bekam, das die meisten Schülerinnen spürten, ohne sich davon Rechenschaft abzulegen? Sicher wirkte ein Stück Tradition mit, die sich gebildet hatte durch die mannigfachen verwandtschaftlichen Verbindungen innerhalb des Lehrkörpers. Fräulein Luise Redmanns Mitarbeiterin war ihre (schon erwähnte) Pflegetochter Anna Harwardt gewesen. Dazu kamen Marie und Rosa Braun, die Töchter des Gymnasialdirektors J. J. Braun, der von 1856—1874 das Braunsberger Gymnasium leitete und zum ersten Direktorium der höheren Töchterschule gehörte (t 1883). Er stammte aus Heilsberg und hatte eine Braunsbergerin (Wihelmine Dorothea Reitz) zur Frau. Seine Schwägerin Luise Reit z gab an der Töchterschule den Handarbeitsunterricht als Vor­gängerin von Fräulein Lydia Sadrinna. Seine drei Töchter (acht Kin­der entstammten der Ehe) haben alle an der Schule unterrichtet. Die ältesten, Frl. Marie und Rosa Braun, haben fast ein. halbes Jahr­hundert an unserer Schule gearbeitet: Frl. Rosa Braun nachweislich von 1870—1914, ihre fünf Jahre ältere Schwester von etwa 1865 bis 1909. Fräulein Marie Braun gab besonders in der Unterstufe Unter­richt in Deutsch, Rechnen und Erdkunde in der ganzen Schule. Fräu­lein Rosa Braun unterrichtete in den höheren Klassen in Deutsch, Französisch, Rechnen und übte die Theatervorstellungen ein, die zu allen festlichen Veranstaltungen einer Mädchenschule gehörten. Die jüngste Tochter, Elisabeth, unterrichtete nur bis zu ihrer Heirat mit dem Gymnasialoberlehrer Dr. Hane, der schon früh (1888) in Posen starb. Sie zog mit ihren fünf Kindern in ihre Heimat Braunsberg zurück, und jede ihrer vier Töchter besuchte die Schule und wurde Lehrerin. Von ihnen haben zwei wieder an unserer Schule gewirkt: die ältere, Hedwig v. Petzinger, bis zu ihrer Heirat 1902; Fräulein Gertrud Hane (geb. 19. 1. 80) bis zur Flucht aus der Heimat. Die „Sippe Braun" hat also unserer Schule von 1862 (erstes Direktorium) bis 1945 gedient. Ehre ihrem Andenken!

Mit dieser Sippe ist verwoben die Arbeit der „Sippe Schröter". Unter Frau Schröter haben ihre Braunsberger Nichten Gausowsky, die Töchter ihrer ältesten Schwester (sechs an der Zahl), unsere Schule besucht und ihr Lehrerinnenexamen abgelegt. Vier von ihnen waren dann an der Schule tätig. Fräulein Hildegard Gausowsky, eine der ersten Oberlehrerinnen, nur vorübergehend. Sie war später lange in Bonn tätig. Fräulein Helene Gausowsky arbeitete einige Jahre an unserer Schule, trat dann ins Kloster ein und starb als Mutter Hildegard in Rom am 2. 2. 64. Fräulein Eise Gausowsky, die sehr temperamentvolle und gründliche Oberschullehrerin der Mittelstufe in Religion, Deutsch und Sprachen, hat von 1905 bis zur Flucht an unserer Schule gearbeitet. Die jüngste der Schwestern, Studienrätin Maria Gausowsky, hat in Königsberg mit ihrer Freundin Helene Switalski, der Tochter des Gymnasialprofessors Switalski - oben als Mitglied des Kuratoriums genannt - Mathematik, Erdkunde und Physik studiert und ist auch bis zur Flucht an unserer Schule tätig gewesen.

Alle diese Damen brachten nicht nur die feste religiöse Über­zeugung aus ihren gebildeten Familien mit, sondern auch das preußi­sche Pflichtgefühl und eine angeborene Liebe zur Heimatstadt und Heimatschule. (Wer nicht mindestens aus dem Ermland stammte, wie konnte der Braunsberger Verhältnisse verstehen!) Mit sicherem Ge­fühl wählte sich Frau Direktorin Schröter ihre Mitarbeiterinnen größtenteils aus der Schar ihrer eigenen Schülerinnen, wobei sie gleichen Wert auf Charakter wie Begabung legte.

Außer der starken Verbundenheit mit der ermländischen Heimat und dem daraus entspringenden Verantwortungsgefühl für die höhere Mädchenbildung der Heimat war das zweite große Anliegen von Frau Direktorin Schröter die Durchdringung ihrer Schule mit dem Geiste lebendigen katholischen Christentums. Daß der Religionsunterricht immer in den besten Händen lag, war bei der Wahl der Lehrer selbstverständlich. Welche höhere Mädchen­schule hat damals wohl wie die unsrige den Vorzug gehabt, in diesem Fach fast ausschließlich von Universitätsprofessoren unterrichtet zu werden! Immer fühlten sich auch die Religionslehrer für die Seel­sorge der Schülerinnen verantwortlich; besonderer Beicht- und Kommunionunterricht war stets in der Schule selbst erteilt worden. In den Anfangs Jahren ihrer Leitung begann einmal im Vierteljahr der Unterricht für die ganze Schule eine Stunde später, weil um 8 Uhr in der Pfarrkirche eine Meßfeier mit gemeinsamem Empfang der hl. Eucharistie stattfand. Es war auch Sitte geworden, daß im Schuljahr vor der Abschlußprüfung für die betreffende Klasse geistliche Übungen (Exerzitien) fast immer in den Herbst­ferien eingerichtet wurden.

Aber das Streben der Leiterin ging dahin, einen eigenen Got­tesdienst, einen eigenen Seelsorger für die große Schule zu gewinnen. Dank dem Entgegenkommen des damaligen Bischofs Dr. Bludau und des Gymnasialdirektors Dr. Preuß wurde mit Beginn des Jahres 1911 ein besonderer Sonntagsgottesdienst für die Schülerinnen in der Gymnasialkirche gestaltet. Das wurde von allen Seiten begrüßt, weil die Pfarrkirche am Sonntag überfüllt und für 400 bis 500 Schülerinnen kaum Raum war. Zum Seelsorger der Schule wurde vom Bischof Subregens Dr. Hennig ernannt, der durch seine natürliche Güte segensreich zehn Jahre lang bis zu seinem Tode den Geist der Schule beeinflußte. In Zusammenarbeit mit Direktorin Schröter rief er 1913 den „Ermländischen Hildegardisverein" ins Leben zur Unterstützung katholischer Studentinnen aus der Heimat. Wieder einmal hatte bei seiner großangelegten Sam­melaktion das Ermland sein Verständnis für höhere Mädchenbildung zu beweisen. Nie versäumte Frau Schröter es, ihren abgehenden jungen Lehrerinnen zur verantwortlichen Weiterbildung den Beitritt zum Verein katholischer Deutscher Lehrerinnen warm zu empfehlen. Sie selbst arbeitete in der Ortsgruppe Braunsberg mit.

Seitdem die Anstalt dem Provinzialschulkollegium in Königsberg unterstellt war, hatte Frau Schröter - nicht nur bei den Prüfungen, sondern auch - in manchen Schulfragen mit den verschiedenen Pro-vinzialschulräten zu tun wie Dr. Bode, Dr. Gerschmann, Prof. Dr. Freericks, Oberregierungsrat Dr. Hoffmann und Präsident Dr. Latrille. Bei diesem Verkehr war sie äußerst gewandt, erwies sich als imponierende Persönlichkeit; es gelang ihr manches, was andere nicht fertiggebracht hätten. In ihrem Bericht für die Zeitung an­läßlich des 75jährigen Bestehens der katholischen Elisabethschule im Jahre 1921 schrieb sie: „Diesen Schulmännern ist die Anstalt zu Dank verpflichtet. Sie waren der Leiterin mehr als Vorgesetzte, waren ihr Freunde und Berater in allen schwierigen Lagen, die bei einer nur auf sich gestellten Schule unvermeidlich sind."

Im Jahresbericht 1912/13, der die Schülerinnenzahl mit 504 angibt (in den folgenden Jahren stieg die Zahl bis etwa 600), heißt es unter „Charakter der Anstalt": Die Anstalt ist die einzige katholische höhere Lehranstalt für die weibliche Jugend in Ost­preußen, mit allen Berechtigungen ausgestattet, die für die ein­zelnen Zweige der Frauenberufe gefordert werden. Sie ist am 27. Juli 1909 vom Herrn Minister anerkannt worden und dem Königl. Provinzialschulkollegium unmittelbar unterstellt. Die Anstalt umfaßt:

1. ein in getrennten Jahreskursen unterrichtendes zehnklassiges Lyzeum,

2. ein Oberlyzeum mit drei wissenschaftlichen und einer Seminarklasse,

3. ein Volksschullehrerinnenseminar mit Seminar­übungsschule,

4. eine Präparandinnenanstalt.

Die Schülerinnen des Lyzeums können nach Klasse IV und III ohne Prüfung in eine Studienanstalt, nach erfolgreichem Besuch der Klasse I in ein Oberlyzeum übertreten. Die Schülerinnen des Ober­lyzeums erwerben nach dreijährigem Besuch durch die Reifeprüfung die Berechtigung zum Eintritt in die S-Klasse des Oberlyzeums, die mit der Lehramtsprüfung abschließt. Beide Prüfungen, Reifeprüfung und Lehramtsprüfung, berechtigen nach dem Min.-Erlaß vom 11. Ok­tober 1913 zum sofortigen Besuch der Universität für das Studium der Philologie. Mit dem Seminar ist eine dreiklassige achtstufige Übungsschule verbunden, die nach dem Lehrplan für Volksschulen arbeitet. Die Prüfungen am Oberlyzeum und am Volksschul­seminar sind Kommissionsprüfungen und finden jährlich zu Ostern in den Räumen der Anstalt statt.

Welches Ansehen das Oberlyzeum in Braunsberg genoß, einer Kreisstadt von rd. 13 000 Einwohnern, zeigt ein Vergleich mit dem Oberlyzeum in Allenstein, der größten Stadt des Ermlandes (seit 1910 eigener Stadtkreis) mit etwa 35 000—40 000 Einwohnern, aus den gleichen Jahren. Die Zahlen stammen aus den Jahresberichten beider Schulen und zeigen folgendes Bild:

Ostern 1913                                                            Allenstein                               Braunsberg

Reifeprüfung                                                                   7                                              23

Lehramtsprüfung                                                             8                                               22

Ostern 1914

Reifeprüfung                                                                   6                                               14

Lehramtsprüfung                                                            9                                                24

Ostern 1915

Reifeprüfung                                                                  4                                                17

Lehramtsprüfung                                                            6                                                14


Charakteristisch für die Persönlichkeit der Frau Direktorin Schröter sind die Worte, die sie beim Abschluß ihrer Wirksamkeit in der öffentlichen Abschlußfeier am 26. März 1925 sprach. Die Ermländische Zeitung widmete dieser Feier fast eine Blattseite unter dem Titel „Eine würdige Abschiedsfeier krönte ihr Lebenswerk". Aus ihrer Rede wurde zitiert: Den heutigen Festtag nehme sie nicht für ihre Person in Anspruch; sie habe ihn an­genommen für die Idee, für die Schule, der sie ein Menschenalter vorgestanden, als Beweis der Hochachtung vor dem Schaffen und Wirken der Frau... Nur durch die Gnade Gottes sei sie, was sie sei. Sie beuge sich in dankbarer Liebe vor dem Andenken ihrer verstor­benen Vorgänger, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Mit der Gnade Gottes habe sie auch bewährte Kräfte gefunden, die die Tradition der Schule kennen und erfüllt sind von tiefer Religiosität und tiefem Pflichtgefühl... So habe sie eine Schule aufbauen können in einer Stadt mit teils städtischem, teils ländlichem Gepräge, wo die gegen­seitige Erziehung, die Mischung von Weltgeist und Ordensgeist - sie erinnere nur an die zahlreichen Postulantinnen, die die Schule be­suchten und besuchen - einen so heilsamen Einfluß ausüben konnte. Tüchtige Menschen - zum Teil weit draußen in der Welt - seien aus ihrer Anstalt hervorgegangen. Möge auch fernerhin diese Anstalt, die unsere Hoffnung und Zukunft ist, fruchtbringend sein! Alle die zukünftigen Frauen und Lehrerinnen, von denen sie scheide, seien ihr lieb und wert; und sie hoffe von ihnen, daß sie ebenfalls ihrer früheren Direktorin ein treues Gedenken bewahren. Möge Gott ihr noch die Gnade geben, daß sie einst von den Tausenden ihrer Schüle­rinnen sagen könne: „Herr, nimm sie, in Deinem Schutz ist keine von ihnen verlorengegangen!"

10. Wiedervereinigung der katholischen und evangelischen Töchterschule 1922 und Übernahme durch die Stadt 1925

Nach dem unglücklichen Ausgang des ersten Weltkrieges und der darauf folgenden Zeit der Arbeitslosigkeit und Inflation war der Fort­bestand einer Privatschule fast unmöglich geworden. Überall kam es zu Zusammenlegungen und Übernahmen durch die Städte. Im Oktober 1922 kam die evangelische Töchterschule zur Elisabethschule, bewegen durch die finanzielle Lage. So waren die Schulen, die 76 Jahre nebeneinander bestanden hatten, wieder vereint, hoffend auf die gemeinsame Übernahme durch die Vaterstadt, die Ostern 1925 erfolgte.

Sicher war es schwerer für die etwa 80 evangelischen Schü­lerinnen, die zu uns kamen, als für die alten Bewohnerinnen der Elisabethschule; aber der Übergang vollzog sich ohne jede Reibung. Die hochgehende Welle des Liberalismus im 19. Jahr­hundert hatte sich gelegt. Man sah auf beiden Seiten stärker das Verbindend-Christliche und fand sich bald in neuen Freundschaften zusammen. Es bewirkte sogar eine Auflockerung im Unterricht mancher Klasse, da viele katholische Schülerinnen aus ländlichen Familien kamen, während die neuen Kameradinnen fast alle aus städtischen Kreisen stammten. Jedenfalls war nach verhältnismäßig kurzer Zeit eine Gemeinschaft daraus geworden, und es beglückte immer wieder, zu sehen, wie wohl sich alle dabei fühlten. Stark trug zu diesem Geiste der Una Sancta die Persönlichkeit unseres seit 1920 angestellten geistlichen Studienrates Johannes Kühn bei, dem es schon von Natur aus nicht gegeben war, jemanden auch nur durch einen Blick zu verletzen, und auf dessen Hilfe jede Sexta­nerin wie Primanerin ohne weiteres rechnen konnte.

Praktisch gesehen war die Zusammenlegung für die Elisabeth­schule sogar günstig, weil bei der Durchführung des R eich s Schul­gesetze s über die Grundschule 1921 die Unterstufe der höheren Mädchenschulen (10. bis einschl. 7. Klasse) abgebaut werden mußte. In der Elisabethschule konnte der dadurch frei wer­dende Klassenraum für die jetzt oft zweizügige Unter- und Mittelstufe benutzt werden. Durch diese Reform glich sich die höhere Mädchen­bildung im äußeren Aufbau völlig an die höhere Knabenbildung an. Von der Reichsschulkonferenz von 1920 stammte nicht nur .die Grundschule. Von hier nahm auch die neue Lehrerbildung ihren Ausgang. 1924 wurde das alte Lehrerseminar auf­gehoben, die Vorbildung der künftigen Pädagogen sollte fortan in der Regel über das Abitur und die Pädagogische Akademie erfolgen.

In diesem Zusammenhang mußte auch unser S-Jahr verschwin­den, das Oberlyzeum verlor seine Eigenschaft als Lehre­rinnenvorbild ungsanstalt. Es erhielt volle Reifeprüfungs­berechtigung. Die Reichsschulkonferenz wünschte auch einen verant­wortlichen Einfluß des Elternhauses auf die Schule, der sich in der Bildung von Elternbeiräten ausdrücken sollte, und gab der Schülerschaft durch das Vertrauensschülersystem und die Schüler­ausschüsse eine Art Mitbestimmungsrecht, da sich „die Jugend in der Jugendbewegung ihrer von innen her bedrohten Lage in unserer Kulturkrisis bewußt geworden ist und . . . ihre Forderungen an die Schule stellt" (so Hans Richert in seiner Denkschrift des Preußischen Ministeriums für Volksbildung).

11. Das Oberlyzeum unter Oberstudiendirektor Paul Semrau

Manches davon hatte sich schon angebahnt, als Frau Direktorin Schröter 1925 die Leitung der Elisabethschule an Herrn Paul Semrau abgab, den ersten Leiter, den die Stadt gewählt hatte. Er hatte vorher am Gymnasium in Deutsch-Eylau und am Gymna­sium in Braunsberg als Studienrat in den Fächern Mathe­matik und Naturwissenschaft unterrichtet. Für seine Tätigkeit an unserer Schule brachte er nicht nur Pädagogik aus Büchern mit, sondern aus einem lebendigen Leben als Familienvater von sieben Kindern. Er hatte von daher nicht nur viel Verständnis für die Jugend, sondern auch viel Anpassungsvermögen für sein Kollegium. Er war ein Leiter, der nicht seine Ideen verwirklichen wollte, sondern dem es in erster Linie darauf ankam, alles Gute, was organisch gewachsen war, zu erhalten und zu fördern. Sein zweites ernstes Anliegen war, den von der Behörde gestellten Forderungen zu ge­nügen und dabei alle berechtigten Wünsche von Kollegium und Schülerschaft zu erfüllen. In seine Anfangszeit fiel die Durchführung der Richertschen Richtlinien, was Anlaß zu endlosen Konferenzen gab, in denen Meinungsverschiedenheiten aufeinanderprallen konn­ten. Daß es in dieser Zeit pädagogischen Umbruchs in einem Kollegium von Älteren und Jüngeren doch ein fast reibungsloses, geradezu beruhigendes Zusammenleben gab, war weitgehend das Verdienst von Direktor Semrau.

In seiner Amtszeit vollzog sich fast unbemerkt in den zwanziger Jahren an unserer Schule der Übergang von der alten, mehr auto­ritativen Schulform zu einer neuen, die mehr auf kameradschaftliche Gemeinschaftsarbeit eingestellt war. Man könnte manche Beispiele dafür anführen. Im Jahresbericht der Schule von 1920/21 hatte es noch geheißen: „Eine Schulgemeinde wurde von den Schülerin­nen vorläufig abgelehnt. Ebenso wurde die Bildung eines Eltern­rates abgelehnt. Das Verhältnis zwischen Lehrkräften, Schülerin­nen und Eltern ist bei unseren einfachen natürlichen Verhältnissen stets auf Vertrauen aufgebaut gewesen. Billige Wünsche fanden stets Berücksichtigung." Und weiter: „Der Ministerialerlaß vom 29. März 1920 veranlaßte uns, monatliche Wandertage einzurichten und die aufgabenfreien Nachmittage. In einer Elternversamm­lung wurde die Leiterin gebeten, diese Wanderungen für die Mäd­chen aus wirtschaftlichen Gründen nicht zu weit auszudehnen."

Ein paar Jahre später dagegen waren „Vertrauensschülerin­nen und -lehrerinnen", Elternbeirat und Schülermit­verwaltung (SMV) eine Selbstverständlichkeit. Das erste erregende Projekt der SMV betraf die E i n f ü h r u n g vonKlassenmützen für die Elisabethschülerinnen, möglichst nach dem Muster der blauen Gymnasiastenmützen, die fast alle Brüder getragen hatten. Der Herr Direktor war dafür. Die Vertrauenslehrerin rief sogar die Mütter um Mithilfe an. Sie gaben ihre Ansicht auf Zetteln kund. Frau Höpfner (Gut Böhmenhöfen) schrieb kategorisch: „Un­schön, unhygienisch, unweiblich. Im Sommer braucht man keine Mütze, im Winter ist eine Strickmütze weit praktischer." Die Mehr­zahl war dafür: schwarzer Samt mit silbernen Streifen, dazu der lederne Mützenschirm der Jungen. Mit Begeisterung wurden diese Mützen mehrere Jahre über langen Zöpfen und Bubiköpfen ge­tragen, bis sie von selbst - verschwanden. Mittlerweile hatte ganz Braunsberg begriffen, daß sich die ehemalige Töchterschule auf gymnasialer Ebene bewegte. Daß zur gleichen Zeit die rote Ab­iturmütze die frühere „rote Examensschleife" ersetzte, war natür­lich. Sogar das „Herkules, Hurra" erklang in der Wasserstraße (nur verhaltener als bei den Gymnasiasten), wenn sich das Schultor für die „Rotbemützten" öffnete und die „Adalberten" auf Män­teln und Kostümjacken erglänzten als Zeichen der Zugehörigkeit zur Alma Mater Albertina in Königsberg.

Auch für andere Wünsche trat die Schülerschaft ein: Klassen­wandergruppen wurden ins Leben gerufen. Man begehrte den aufgabenfreien Nachmittag in Verbindung mit dem monatlichen Wandertag, damit man anderthalb Tage für Wanderungen und Rad­fahrten benutzen könnte. Wenn der Wandertag gar auf einen Sams­tag fiel (es ging nach der Reihe der Wochentage), dann waren sogar 2 1/2 Tage verfügbar: alles gute Gelegenheiten, um die Welt der Heimat und die Klassengemeinschaft außerhalb der Schulmauern zu erleben. Es war wohl entscheidend für diese Jahre, daß einige der jüngeren Lehrkräfte aus der katholischen Jugendbewegung des Quickborn kamen und unsere Schule allmählich die Führung der katholischen Jugendbewegung an den höheren Mädchenschulen stellte, nicht nur des Ermlandes; auch Königs­berg, Danzig und Tilsit gehörten dazu.

Was bei diesen Bestrebungen wieder einmal einem ermländischen Geistlichen, der auch Religionsunterricht an der Schule gab, zu ver­danken war, darf nicht vergessen werden. Subregens, später Regens Eugen Brachvogel war immer zur Hilfe bereit. Er ver­schaffte den Jugendbewegten den ersten eigenen Raum im Konvikt, führte die Jüngeren in die Liturgie ein, begleitete auf seiner Fiedel so manches Volkslied und beherbergte stets die geistlichen Führer, die zur Mitgestaltung von Gautagen und Freizeiten (meist aus Schle­sien) herbeigebeten wurden.

Diese außerschulische Welle, die getragen wurde von Leh­renden und Lernenden der gleichen Art, mußte sich in der inneren Schularbeit auswirken. Das alles geschah ja nicht, weil es „von oben befohlen war" (obwohl die Richertschen Richtlinien manches davon nahelegten), sondern „von unten" ersehnt wurde. Quickborn trat im Jahresbericht als ein „von der Schule erlaubter Verein" auf. Daß in diesem Zusammenhang Wanderfahrten, Schullandheimaufent­halte und Bestrebungen ähnlicher Art „blühten", war selbstver­ständlich.

12. Die Elisabethschule im Zeitalter des Nationalsozialismus

Diese natürlich gewachsene Verbindung von Schule und Elternhaus (wozu auch Wohnung und Haus der Lehrerinnen zu rechnen sind) riß nicht ab, sondern setzte sich fort in den Jahren der politischen Schulerziehung durch den Nationalsozialismus. Man konnte zunächst Leseabende, Feier- und Dichterstunden noch in seinen Privaträumen gestalten. Wir können von Glück sagen, daß unsere Schule damals, also 1933 bereits seit acht Jahren, eine öffentliche städtische Anstalt war. Als Privatschule konfessionellen Charakters wäre sie wie viele solcher Einrichtungen im Westen in der Zeit des Nationalsozialismus von der Bildfläche verschwunden. Man traute ihr auch jetzt nicht, war vielmehr überzeugt, daß Umerziehung unmöglich war. Die Lehr­pläne von 1925 wurden durch die nationalsozialistischen Lehr plane von 1938 ersetzt. Die Klassenbezeichnungen von Sexta bis Oberprima fielen fort, die Klassen wurden durch die Ziffern von l bis 8 gekennzeichnet. Die Elisabethschule wurde Oberschule für Mädchen. Die außerschulische Beanspru­chung von Lehrkräften und Schülerinnen, die ständig den ruhigen Ablauf und die Konzentration geistiger Arbeit störte, war schwer zu umgehen. Dennoch blieb das innere Schulleben erträg­lich, weil fast das ganze Kollegium in wesentlichen Fragen einer Meinung war und in äußeren Dingen nachgab, um innere Über­zeugungen weitertragen zu können. Wie bitter das im einzelnen und für den einzelnen war, bleibe dahingestellt.

Ostern 1939 mußte die Schule aus wirtschaftlichen Gründen die alten liebgewordenen Gebäude an der Passarge, die sie fast ein Jahrhundert bewohnt hatte, aufgeben und in die „Schloßschule" (das alte Lehrerseminar und die spätere Aufbauschule) nach deren Zusammenlegung mit dem Gymnasium übersiedeln. Schmerzlicher wurde empfunden, daß bewährte Lehrkräfte, wie Studienrätin Dr. Switalski und Studienrat Kühn, wegen der Kriegslage an das Gymnasium versetzt wurden. Das Einschneidendste aber war das völlig unerwartete Ende von Oberstudiendirektor Sem-rau, der nach einem normalen Schultag in der Nacht vom 13. De­zember 1942 von einem Herzschlag ereilt wurde.

13. Unter Oberstudiendirektor Dr. Roßmann bis zum Ende anfangs 1945

Nach eineinvierteljähriger Leitung der Schule durch Frau Oberstudienrätin Austen wurde Ostern 1944 von der Be­hörde in Königsberg Dr. Kurt Roßmann, der Leiter des dortigen Bezirksseminars, als Oberstudiendirektor an unsere Schule ge­schickt. Wir haben damals gebangt um alles, was unsere Schule noch an Substanz besaß. Daß er aber schon nach wenigen Monaten der Schulgemeinschaft mit aufrichtigem Wohlwollen gegen­überstand, stellt seinem Geist wie dem Geist der Schule ein gutes Zeugnis aus. Er wollte das Gute, glaubte aber auch an unser gutes Wollen und zerstörte nichts. Nach der Flucht gehörte er dem Athenaeum in Stade bis zu seinem Tode am 7. August 1954 an. Diese Anstalt widmete ihm in der Trauerfeier folgende Worte, die seine Persönlichkeit treffend kennzeichnen: „Dem Athenaeum war er bald einer seiner besten Mitarbeiter. Seine gründliche wissen­schaftliche Ausbildung, sein philosophischer Sinn, sein Interesse für die Kunst, seine gesamte geistige Regsamkeit gaben seinem Unter­richt Weite und Tiefe ... Mit all dem verbanden sich vorbildliche Erzieherqualitäten: Schlichtheit, Menschlichkeit und tiefe Liebe zum jungen Menschen."

Ende 1944 wurde unser Schulgebäude von der Wehr­macht belegt. Einige Klassen wurden noch ein paar Monate in dem Gebäude der Staatlichen Akademie unterrichtet, andere im Evan­gelischen Gemeindehaus in der Logenstraße, und schließlich wurde uns noch das Eßzimmer im Hause der Familie von Geheimrat Profes­sor Dr. Niedenzu als Unterrichtsstätte überlassen. Am 22. Januar 1945 versammelte sich das Kollegium noch einmal im Amtszimmer des Direktors, um zu hören, daß kein Unterricht mehr mög­lich sei. Alle größeren Gebäude lagen schon voll von Flüchtlingen. Den auswärtigen Schülerinnen wurde geraten, zu den Eltern zurück­zukehren. Die Elisabethschule hatte ihr Ende erreicht.

Zwanzig Jahre sind vergangen seit dem unvorstellbaren Elend der ersten Monate des Jahres 1945. In Sibirien starb Frau Studienrätin Dr. Switalski, in der Danziger Gegend ist Frau Studien-rätin Dannowski umgekommen. Wer zählt und benennt die Ehemali­gen unserer Schule, die beim Russeneinfall getötet, nach Sibirien verschleppt wurden, mit der Gustloff versanken und auf der Flucht ums Leben kamen! Ein Elendszug von Ungezählten wanderte über das zugefrorene Frische Haff in die Zerstreuung einer Ungewissen Zukunft entgegen. Wem konnten da nicht die Anfangsverse des Gedichtes von Agnes Miegel einfallen, das unsere Oberstufe den Herren Staatssekretär Lammers und Ministerialrat Metzner vom Preuß. Kultusministerium bei ihrem Besuch im Sommer 1928 im Sprechchor zugerufen hatte:

Über der Weichsel drüben, Vaterland, höre uns an!

Wir sinken, wie Pferd und Wagen versinken im mahlenden Sand.

Recke aus deine Hand, die allein uns halten kann!"

Wie jede Familie und andere echte Gemeinschaft, so lebt auch jede Schule aus der Hingabe, Einsatzfähigkeit und Opferbereitschaft, die ihre Glieder für ihre Aufgabe darin aufzubringen imstande sind. Nur dadurch, aus diesem Sein heraus, kann sich neben der gründ­lichen Geistesarbeit die besondere Atmosphäre einer Schule entwickeln. Nur dadurch ist sie fähig, schwächere Glieder (und wo gäbe es in einer Gemeinschaft solche nicht!) mitzutragen, schwierige Lagen wirtschaftlicher oder weltanschaulicher Art zu meistern und so ihre Daseinsberechtigung zu beweisen.

Das haben manche höheren Mädchenschulen (besonders als Privat­schulen) auf ihrem nicht leichten Wege durch das 19. und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts fertiggebracht. Sie bewiesen dadurch praktisch das Guardini-Wort:

Das erste Wirkende ist das Sein des Erziehers,

das zweite, was er tut,

das dritte erst, was er redet."

Dankbarkeit muß jeden erfüllen, wenn er an die opfervolle Arbeit der ersten Wegbereiter der höheren Mädchenbildung denkt, tiefe Dankbarkeit, die sich in Verpflichtung für die Gegenwart umsetzt. Die höhere Mädchenschule ist sicher nicht am Ende ihres Weges. Mögen ihr auch fernerhin die begnadeten Führerinnen und Führer geschenkt werden, die den Schulen der Zukunft das geben, was uns die Vergangenheit gab!


Inhaltsverzeichnis (die Seitenzahlen beziehen sich auf das Büchlein, das 1965 in Osnabrück erschienen ist)

1. Vorstufe: Industrieschule 1809 ............ 6

2. Über die höhere Mädchenbildung im 19. Jahrhundert ... 10

3. Die Industrieschule wird zur Töchterschule 1815 ..... 11

    1. Spaltung der Schule 1846 in katholische und evangelische Töchterschule 14

5. Entwicklung der katholischen Töchterschule, deren Leitung, Kuratorium und Schulbauten 15

6. Schulvorsteherin Luise Redmann / Jahre des Kulturkampfes 17

7. Entwicklung des höheren Mädchenschulwesens in Deutsch­land durch die Reformen von 1894 und 1908 ....... 22

8. Schülerinnenzahl und Lehrerinnenvorbildung an der katho­lischen Töchterschule in Braunsberg ........... 23

9. Schulentwicklung unter der Leitung von Direktorin Elisabeth Schröter 24

10. Wiedervereinigung der katholischen und evangelischen Töch­terschule 1922 und Übernahme durch die Stadt 1925 . ... 30

11. Das Oberlyzeum unter Oberstudiendirektor Paul Semrau . . 31

    1. Die Elisabethschule im Zeitalter des Nationalsozialismus . . 33

    2. Unter Oberstudiendirektor Dr. Roßmann bis zum Ende an­fangs 1945 .. 34

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