KREISGEMEINSCHAFT BRAUNSBERG (OSTPREUSSEN) e.V.

 

Zur Suspension der Braunsberger

Professoren Carl Eschweiler und Hans Barion

im Jahre 1934

 

Von Hans Preuschoff (1905 - 1989)

 

aus Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands Band 45 1989

(Historischer Verein für Ermland e.V.)

 

Am 10. November 1934 erschien in der Frankfurter Zeitung (Vgl. hierzu G. Gillessen, Auf verlorenem Posten. Die Frankfurter Zeitung im Dritten Reich. Berlin o.J.) unter der Überschrift „Katholische Kirche und Sterilisation“ folgende Meldung:

 

Berlin, 9. Nov. Die beiden Mitglieder der katholisch-theologischen Fakultät in Braunsberg (Über die Zustände an der Staatlichen Akademie Braunsberg während des Dritten Reiches vgl. G. REIFFERSCHEID, Das Bistum Ermland und das Dritte Reich  (BONNER BEITRÄGE ZUR KIRCHENGESCHICHTE, Bd. 7 = ZGAE, Beiehft 1). Köln-Wien 1975, S. 34-78, und H. PREUSCHOFF, Bischof Kaller, die Braunsberger Akademie und der Nationalsozialismus. In: ZGAE 40 (1980), S. 105-133), Prof. Dr. Eschweiler und Prof. Dr. Barion, haben vor einigen Monaten ein Gutachten zur Frage der Sterilisation abgefaßt, in dem sie zu dem Ergebnis kommen, daß sich die Sterilisation mit den Anschauungen des Katholizismus vereinbaren lasse. Zur Begründung dieser These haben die beiden Professoren eine der katholischen  Lehre bisher nicht geläufige Trennung von Weltanschauung und Religion vorgenommen. Der heilige Stuhl hat dieses Gutachten abgelehnt. Die beiden Professoren sind daraufhin ihrer Ämter enthoben worden. (Bundesarchiv Koblenz. R 58/1014. – Herrn Prof. Dr. Günther Gillessen (Mainz) ist dafür zu danken, daß er dem Verfasser das Material aus dem Bundesarchiv zugänglich gemacht hat, das im Folgenden mit freundlicher Genehmigung des Bundesarchivs aus gewertet wird.)

 

Zu dieser Meldung sei zunächst vermerkt, daß sie insofern unrichtig Ist, als Carl Eschweiler und Hans Barion nicht ihres Amtes enthoben wurden ‑ das hätte nur der Staat tun können ‑, sie wurden vielmehr kirchlicherseits a divinis suspendiert, wovon noch die Rede sein wird. Es erhebt sich auch die Frage, ob für diese Maßnahme allein das Sterilisationsgutachten der beiden Professoren ausschlaggebend war.

 

Nationalsozialistische Reaktionen

 

Die Notiz der Frankfurter Zeitung löste bei staatlichen Behörden und Parteistellen der NSDAP hektische Aktivitäten aus, die ein bezeichnendes Licht auf die Pressepolitik des NS‑Regimes werfen.

 

Zwei Tage nach Erscheinen der Meldung richtete das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung am 12. November 1934 das folgende Schreiben an das Geheime Staatspolizeiamt in der Berliner Prinz-Albrecht‑Straße:

 

Unter Bezugnahme auf die Meldung der „Frankfurter Zeitung". Samstag, den 10. November, Nr. 573/74, der zufolge die beiden Professoren Barion und Eschweiler ihrer Ämter enthoben worden sein sollen, teile ich ergebenst mit, daß diese Meldung den Tatsachen nicht entspricht. Beide Professoren sind nach wie vor im Amt.

 

Die Meldung der „Frankfurter Zeitung" verfolgt einen doppelten Zweck:

 

1) die Frage der Sterilisation dem In‑ und vor allem dem Ausland gegenüber öffentlich aufzurühren, und

 

2) die beiden einzigen katholischen Wissenschaftler von Rang, die sich für die Sterilisation ausgesprochen haben, zu diskreditieren.

 

Auf diesen Tatbestand habe ich bereits das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda hingewiesen und ein Pressedementi veranlaßt. Für unser Ministerium und den Staat überhaupt ist aber die Frage, von welcher Quelle die „Frankfurter Zeitung" die Meldung hat und welche Hintermänner sie verfaßt haben, von Wert. Ich wäre dem Geheimen Staatspolizeiamt für baldmögliche Nachricht hierüber dankbar.

 

Mit der Einschaltung des berüchtigten Geheimen Staatspolizeiamtes in der Berliner Prinz‑Albrecht‑Straße wird sogleich schwerstes Geschütz aufgefahren. Das Reichspropagandaministerium ("Promi") reagierte prompt auf das Ersuchen des Reichserziehungsministeriums. Am 13. November erschien in der FrankfurterZeitung, wieder aus Berlin datiert, die vom "Promi" veranlaßte Meldung des amtlichen Deutschen Nachrichtenbüros (DNB) unter der Überschrift „Barion und Eschweiler im Amt":

 

In einem Teil der deutschen Presse ist eine Meldung verbreitet worden, derzufolge die beiden Mitglieder der katholischen theologischen Fakultät in Braunsberg, Prof. Dr. Barion und Prof. Dr. E s c h w e i l e r ihrer Ämter enthoben worden seien. Wie wir von unterrichteter Seite erfahren, entspricht diese Meldung nicht den Tatsachen. Beide Professoren sind nach wie vor im A m t.

 

Die Frankfurter Zeitung erwähnte hier verständlicherweise nicht ihre eigene Meldung, sondern hielt sich an den vorgeschriebenen DNB‑Text. Wenn von einem Teil der deutschen Presse die Rede ist, könnte damit auch die Ermländische Zeitung in Braunsberg gemeint sein. Sie hatte sich ebenfalls mit dem Eintreten der beiden Professoren für die Sterilisation beschäftigt. Wir kommen darauf zurück.

 

Es ist bezeichnend für den Instanzenwirrwarr im Dritten Reich, daß sich alsbald noch eine andere Stelle in die Sache einschaltete. Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, Abteilung für den kulturellen Frieden [!], schrieb am 13. November 1934 an die Staatspolizeistelle Polizeipräsidium Frankfurt/Main:

 

Ich bitte, in geeigneter Weise festzustellen, aus welcher Quelle der Artikel: „Katholische Kirche und Sterilisation", der scheinbar [!] in bewußter Weise den Tatbestand zuungunsten des Staates falsch darstellt, herrührt.

 

Fast schon amüsant ist das P. S.:

 

Aller Wahrscheinlichkeit nach stecken hinter dieser Veröffentlichung auch die Jesuiten in Frankfurt, die dort ein geistliches Institut (Seminar) leiten.

 

Dazu ist nur zu sagen, daß es „aller Wahrscheinlichkeit nach" nicht die Jesuiten von St. Georgen waren.

 

Auch das Geheime Staatspolizeiamt in Berlin schaltete die Stapo in Frankfurt ein und forderte sie zur „beschleunigten Feststellung im Sinne des Erlasses" vom 12. November auf. Handschriftlich wurde dem Schreiben vom 16. November hinzugefügt:

 

1) Gruppenführer (Heydrich  <Reinhard Heydrich, geb. 1904, baute den Sicherheitsdienst des Reichsführers‑SS auf (SD). 1934 wurde er Leiter des Geheimen Staatspolizeiamtes in Berlin. Als stellv. Reichsprotektor von Böhmen und Mähren wurde er bei einem von Exiltschechen organisierten Attentat getötet (+ 4. 6. 1942 in Prag)>)  ist Vortrag gehalten. Vom Ergebnis soll auch SD unterrichtet werden.

 

2) Wegen des gleichen Vorfalles (Braunsberg) vgl. auch Vorgang „Ermländische Zeitung" (112/55 89/34).

 

Hier wird also die Ermländische Zeitung erstmals namentlich genannt.

 

Wenige Tage später trat im Zuge der vom Geheimen Staatspolizeiamt in Berlin geförderten „Quellenforschung" die Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Wiesbaden in Frankfurt/Main in Aktion. Unterm 22. November 1934 ließ sie das Geheime Staatspolizeiamt wissen:

 

Nach den hier getroffenen Feststellungen ist der fragliche Artikel dem Verlag der Frankfurter Zeitung durch die Generalvertretung in Berlin, W. 9., Potsdamer Straße 133, zugeleitet worden. Verantwortlich für diesen Artikel ist der Hauptschriftleiter Dr. Rudolf K i r ch er (Über Kirchers berufliche Tätigkeit und Persönlichkeit berichtet ausführlich GILLESSEN. Wörtlich schreibt er über ihn: „Der Berliner Korrespondent Rudolf Kircher war wohl die schillerndste Figur der Zeitung. Wie kein anderer in der Redaktion verstand er sich darauf, die Nationalsozialisten anzugreifen und ihnen mit artistischer Geschicklichkeit zweideutig zu schmeicheln. Den Kollegen war nicht immer wohl dabei(S.145).) der Generalvertretung in Berlin. Die Quelle, aus der der Artikel stammt, kann nach Angabe des Schriftleiters Benno Reiffenberg (Auch über ihn handelt GiLLESSEN ausführlich. R. ist auch als Schriftsteller hervorgetreten. Nach dem Kriege war er u. a. Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.) der Frankfurter Zeitung nur Dr. Kircher angeben. Eine diesbezgl. Nachprüfung hat von Frankfurt/Main aus nicht stattgefunden.

 

Eine Berichtigung ist bereits vorgenommen und im Ausschnitt beigefügt.

 

Mit einem inhaltsgleichen Schreiben vom selben Tag beruhigte die Staatspolizeistelle in Frankfurt/Main die bewußte Abteilung für den kulturellen Frieden in der Reichsleitung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei in Berlin. Diese Abteilung berichtete aber in einem Schreiben an das Geheime Staatspolizeiamt vom 27. November 1934, daß hiesigen zuverlässigen Nachrichten zufolge von seiten des Bischofs von Berlin die Anregung zu der Veröffentlichung in der Frankfurter Zeitung: Katholisch(e) Kirche und Sterilisation vom 9. [ ! ] Nov. gekommen sei.

 

Am 30. November hielt das Geheime Staatspolizeiamt Berlin in einem „Vermerk" fest:

 

O. R. R. Weber vom Kultusministerium teilt anläßlich eines Gesprächs über die „Ermländische Zeitung" mit, daß einer privaten Information nach die Meldung der „Frankfurter Zeitung" vom 10.11. tatsächlich von Dr. Kircher stamme. Dieser hat in privaten Kreisen erzählt, er habe sich auf Grund von Meldungen der Auslandspresse beim Bischöflichen Ordinariat in Berlin erkundigt und dabei die fragliche Auskunft erhalten.

 

Am selben Tag folgte Kircher einer Vorladung durch das Geheime Staatspolizeiamt, wie aus einem Vermerk der Unterabteilung II 2 hervorgeht. Darin heißt es, daß Kircher

 

selbst die Meldung seinerzeit gar nicht gesehen habe, weil er verreist gewesen sei. Es sei auch nicht richtig, daß die Meldung vom hiesigen Büro stamme, sondern sie sei s. W. der Frankfurter Hauptredaktion aus privater Quelle zugegangen. Diese habe darauf das Berliner Büro angewiesen, sich zu erkundigen. Darauf habe sein [handschriftlich hinzugefügt: Dr. Kirchers]Vertreter sich an „maßgebender Stelle" erkundigt. Von dieser sei die Meldung bestätigt worden. Darauf habe der Frankfurter verantwortliche Schriftleiter die Meldung in die Zeitung gegeben. Die Verantwortung müsse daher presserechtlich wohl der Frankfurter Ressortschriftleiter tragen, den Dr. Kircher noch namentlich mitteilen, will.

 

Im übrigen bat er von weiteren Fragen an ihn abzusehen, da er durch das Redaktionsgeheimnis verpflichtet sei, über [geändert aus: hierüber] die Quellen der Nachricht [handschriftlich hinzugefügt] Stillschweigen zu bewahren.

 

Dr. Kircher deutete dabei, wenn er auch Näheres nicht ausdrücklich sagte, ziemlich bestimmt an, daß die „maßgebendeStelle", die die Meldung bestätigt habe [handschriftlich geändert aus: für die Auskunft in kirchlichen Sachen], das hiesige Bischöfliche Ordinariat gewesen sei.

 

Sollte dies zutreffen, dürfte das Ordinariat unter „amtlich" „kirchenamtlich" verstanden haben. Aus der Zeit meiner Tätigkeit bei der Ermländischen Zeitung in Braunsberg (1933 ‑ 1939) erinnere ich mich, daß uns vom Generalvikar in Frauenburg kirchliche Nachrichten mit dem Vermerk „amtlich" zugesandt wurden. Aus der Tatsache, daß Barion und Eschweiler ihre Vorlesungen eingestellt hatten, konnte sehr leicht der Eindruck entstehen, daß sie „enthoben" waren. Es wird davon noch zu reden sein.

 

Am 3. Dezember 1934 richtete Kirchen der, wie wir sahen, vor der Gestapo recht selbstbewußt aufgetreten ist, ein zusammenfassendes Schreiben an die Gestapo in der Prinz‑Albrecht‑Straße z. Hd. Dr. Gotthard, mit dem er das Gespräch geführt hatte. In diesem Schreiben, das etwas von der „artistischen Geschicklichkeit" erkennen läßt, die Gillessen Kircher zubilligt, heißt es nämlich, daß die Notiz der ausländischen Zeitung, die der Meldung der Frankfurter Zeitung zugrunde lag, „sehr übel" gewesen sei, und die Sache „in einem für das deutsche Interesse sehr ungünstigen Sinne" dargestellt habe. Also, dürfen wir aus Kirchers Bemerkung schließen, habe sich die Frankfurter Zeitung geradezu „im deutschen Interesse" bemüßigt gefühlt, die Meldung in angemessener Form zu bringen! Ein Mitarbeiter des Berliner Büros der Zeitung, fährt Kircher fort, habe Informationen bei einer Stelle eingezogen, die er für unterrichtet halten mußte, also beim Berliner Ordinariat. Er habe diese Information nach Frankfurt übermittelt, woraus der für dieses Gebiet verantwortliche Schriftleiter Herriegel (Über Hermann Herriegel vgl. GILLESSEN, S. 147, 151, 156, 330. Von ihm, der mit den den Nationalsozialisten nahestehenden Deutschen Christen sympathisierte, bemerkt er: „Im Frühjahr 1934 verschwand sein Autorenzeichen aus den Spalten der Zeitung. Die Kollegen und er waren wegen der Beurteilung des evangelischen Kirchenkampfes einander fremd geworden. Es war Kircher gewesen, der auf die Entlassung Herriegels gedrängt hatte. Kircher gab seinen Kollegen immer neue Rätsel auf“ (S. 151). Nach dem, was wir soeben gelesen haben, muß es auffallen, daß ausgerechnet Kircher Herriegel noch im Dezember 1934 als Ressortleiter der Frankfurter Zeitung benannte!) die bewußte Meldung machte. Aus den Ermittlungen, die er inzwischen angestellt habe, sei zu ersehen, daß es keine besondere deutsche Stelle oder Persönlichkeit gewesen sei, die die „Frankfurter Zeitung" auf den Fall hinlenkte, sondern sie lediglich durch eine ausländische Veröffentlichung auf sie aufmerksam gemacht worden sei. Kurz gesagt: Das Bischöfliche Ordinariat war nicht ‑ was die Gestapo gewiß gern gesehen hätte ‑ die Quelle der Meldung, um die es hier ging.

 

Den Schlußpunkt unter die ganze Angelegenheit setzte am 17. Dezember 1934 ein von Heydrich unterzeichnetes Schreiben des Geheimen Staatspolizeiamtes an den Chef des Ministeramts im Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Ministerialdirektor Dr. Sunkel. Wörtlich heißt es darin:

 

Ich habe mich bemüht, in Erfahrung zu bringen, woher die „Frankfurter Zeitung" die Unterlagen für ihren Artikel in der Nr. 573/ 74 vom 10. 11. 34 „Katholische Kirche und Sterilisation" erhalten hat. Die Schriftleitung der „Frankfurter Zeitung" beruft sich verständlicherweise auf die Pflicht des Redaktionsgeheimnisses, die ja bekanntlich auch weiterhin durch § 20 des Schriftleitergesetzes aufrecht erhalten ist.

 

Ein bemerkenswertes Eingeständnis Heydrichs, wenn auch leicht verklausuliert. Immerhin befinden wir uns erst im zweiten Jahr nach Hitlers Machtergreifung. Allerdings lag zu dem Zeitpunkt die ohne Wahrung aller Rechtsvorschriften und ‑anschauungen erfolgte Ermordung von Röhm, Schleicher, Klausener und vielen anderen zurück. Aber vielleicht wollte man gerade darum den Anschein erwecken, daß man sich peinlich an die Gesetze halte.

 

Heydrich faßt dann noch einmal die uns bekannten Tatsachen zusammen. Was in seinem Bericht auffällt: daß der Name der ausländischen Zeitung, von der die Frankfurter Zeitung die Meldung übernommen hat, nicht genannt wird. Wir erinnern daran, daß in der NS-Zeit wie das Abhören von Auslandssendern auch das Lesen von ausländischen Zeitungen generell verboten war. Aber die Frankfurter Zeitung hatte die Meldung ja nicht direkt von einer ausländischen Zeitung übernommen, sie war ihr von dritter Seite zugespielt worden. Es ist schon anzunehmen, daß in dem Gespräch zwischen Kircher und Gotthardt der Name der ausländischen Zeitung genannt worden ist, daß sie aber übereinkamen, ihn nicht aktenkundig zu machen, schon um sie nicht unnötig aufzuwerten.

 

Im zweiten Teil seines Berichts kommt Heydrich auf den Fall Ermländische Zeitung zu sprechen:

 

Was die Herkunft der Veröffentlichung der „Ermländischen Zeitung" vom 12. November anlangt, habe ich durch die Staatspolizeistelle Königsberg den Schriftleiter der „Ermländischen Zeitung", Dr. Max Faller, zu dieser Frage vernehmen lassen. Dr. Faller erklärte zu der Veröffentlichung folgendes:

 

„Die Notiz ,Zwei Braunsberger Professorenfür Sterilisation´ habe ich in die ,Ermländische Zeitung´ gebracht, nachdem ich vorher die Landespropagandastelle [gemeint ist das Gaupropagandaamt, d. Verf.] in Königsberg telefonisch angefragt hatte, ob es mir erlaubt wäre, eine Notiz zu bringen, und ob ich auch der Geheimen Staatspolizei gegenüber gedeckt sei. Beides wurde mir bejaht. Am Fernsprecher in Königsberg war ein Herr Sommer. Die ,Richtigstellung´ habe ich selbst formuliert, nachdem ich vorher mit dem Verlagsleiter, dem Bonefiziaten Msgr. Skowronski, gesprochen hatte und mich bei ihm vergewissert hatte, daß die Richtigstellung sachlich zutreffend war. Der Sachverhalt war mir aber auch schon vor der Rücksprache mit Msgr. Skowronski bekannt."

 

Es ist natürlich sehr zu bedauern, daß uns die beiden Artikel Fallers, der übrigens Hauptschriftleiter der Ermländischen Zeitung war, im Augenblick nicht zugänglich sind. Sein Bericht ist durch die Meldung der Frankfurter Zeitung ausgelöst worden, und er dürfte sich inhaltlich mit dieser decken, sonst hätte er sich nicht zu einer „Richtigstellung" veranlaßt gesehen. Was Faller an der Meldung der Frankfurter Zeitung besonders interessiert haben dürfte, war der Hinweis, daß die beiden Professoren eine Trennung von Weltanschauung und Religion vorgenommen hätten. Eben darum war es zwischen ihm und Eschweiler schon früher zu einer heftigen Kontroverse gekommen (Vgl. H. REUSCHOFF, .Journalist im Dritten Reich (ZGAE, Beiheft 6). Münster 1987. S. 19.). Es war geschickt, daß Faller sich seine Meldung vom Gaupropagandaamt auch gegenüber der Gestapo absichern ließ. Den fälligen Anpfiff bekam dann nicht er, sondern sein Gesprächspartner beim Gaupropagandaamt Sommer. Die „Richtigstellung" dürfte er im Sinne der DNB‑Meldung nach seinem Artikel formuliert haben.

 

Damit war die Affäre für das ungleiche Paar Frankfurter Zeitung und Ermländische Zeitung noch gut ausgegangen. Einige Jahre später, als das NS‑Regime sich stärker etabliert hatte und seine Methoden brutaler geworden waren, wären die beiden Zeitungen mit ihren Redakteuren sicherlich nicht so glimpflich davongekommen. Auch hatte der 28jährige Heydrich, an sich einer der schlimmsten Bluthunde des Systems, soeben erst die Leitung der Gestapo übernommen.

 

Das Gutachten zum Sterilisationsgesetz

 

Bemühungen des Verfassers, an den Wortlaut des Gutachtens zum Sterilisationsgesetz heranzukommen, das nach der Meldung der Frankfurter Zeitung vom 10. November 1934 der Grund für die Amtsenthebung bzw. die Suspension der Professoren Eschweiler und Barion war, blieben zunächst ergebnislos. (Sowohl vom Bundesarchiv Koblenz als auch vom Zentralen Staatsarchiv Potsdam erhielt er Absagen.) Allerdings fand sich in der Zeitschrift des Nationalsozialistischen Deutschen Ärzte‑Bundes Ziel und Weg ein Beitrag mit dem Titel „Katholische Deutsche zur Durchführung des Sterilisationsgesetzes", und zwar in dem Heft, das am 1. Februar 1935 erschienen ist (Katholische Deutsche zur Durchführung des Sterilisationsgesetzes. In: ZIEL UND WEG. Zeitschrift des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes, 5. Jg., Heft 3, München 1. Hornung [Februar] 1935, S. 75 ‑ 77. Nachdruck im Anhang unten S. 134‑ 138.), also bereits nach der Suspension der Professoren. Wenn in der Überschrift von einer Mehrzahl von katholischen Deutschen die Rede ist und die Überschrift des dritten Abschnitts nahelegt, daß es sich um eine Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Deutscher handelt, so fällt doch auf, daß der Artikel in der Ich-Form argumentiert.

 

Dafür, daß es sich bei diesem „Ich" mit größter Sicherheit um Carl Eschweiler handelt, spricht die für ihn eigentümliche Wortprägung „Barockscholastik". Hierzu ist Reifferscheids Feststellung zu erwähnen: „Sein Fachgebiet war nach von ihm verfaßten Angaben die Jesuitenphilosophie der Barockscholastik als Grundlage des liberalen Wissenschaftsbegriffs der Neuzeit.“ (REIFFERSCHEID, a. a. O.. S. 35, Anm. 6). Damit ist eigentlich schon Entscheidendes über die Tendenz des Aufsatzes in Ziel und Weg gesagt, denn der Antiliberalismus zieht sich durch ihn wie ein roter Faden. Wenn von der „Barockscholastik" gesagt wird, daß sie das „abstrakt private Gewissen zum öffentlichen Gesetz" mache, wobei nicht einmal ein Schlag gegen Kant fehlt, so ist auf die wirkliche katholische Auffassung vom Gewissen hinzuweisen, wie sie Kardinal Joachim Meisner eindeutig klar formuliert hat: Das Gewissen, das für den Christen die letzte Instanz ist, „ist eine Norma normata, das Gewissen ist nicht autonom, sondern hat sich zu orientieren und zu normieren an der Offenbarung Gottes. Die wichtigste Übung für einen Christen ist die Frage nach dem Willen Gottes. Das ist die Frage, die das Gewissen stellen muß. (Interview mit der Bonner Zeitung Die Welt vom 16.5.1989.) Ein solches Gewissen hat natürlich keine Beziehung zum „objektiv-politischen Handeln", wie sie Eschweiler verlangt.

 

Die Verfasserschaft Eschweilers ist nun aber zweifelsfrei erwiesen durch einen Brief des Theologen an den Reichsgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Deutscher, Dr. Roderich Graf' Thun, vom 23. Dezember 1933, der eine Antwort auf dessen Schreiben an Eschweiler vom 9. Dezember darstellt. (Eschweiler an Thun. Braunsberg, 23. 12. 1933. Schreibmaschinendurchschrift, 7 Seiten. ‑ Verf. dankt Herrn Prälaten Dr. Gerhard Fittkau (Essen), daß er ihm das Schreiben zugänglich gemacht hat.) Es heißt darin einleitend:

 

Daß der eilige Vorschlag, den ich auf Ihre Anregung im Oktober d. J. auf meiner Durchreise durch Berlin gemacht habe, in den Ausführungsbestimmungen zum Sterilisationsgesetz, wie Sie schreiben, ..vollinhaltlich" berücksichtigt worden ist, gereicht mir natürlich zur Genugtuung. Das durch Adolf Hitler ermöglichte Werk der natio7talen Einigung und Erneuerung ist so groß und für das zeitliche wie für das ewige Heil jedes Deutschen so wichtig, daß auch der geringste Beitrag dazu Freude und Befriedigung in sich selber bringt. (14 Ebd. S. 1.)

 

Am Ende seines Briefes nennt Eschweiler als genaues Datum der Überreichung des „flüchtigen Gutachtens" an Graf Thun den 15. Oktober. (Siehe weiter unten.) Der Brief selbst beantwortet zwei Fragen des Grafen und fügt „noch ein paar Anregungen" hinzu. Die drei Teile des Briefes sind nun dem Wortlaut nach völlig identisch mit den drei Abschnitten des erwähnten Beitrages in der Zeitschrift des Nationalsozialistischen Deutschen Ärzte‑Bundes. Dem dortigen Text sind lediglich eine Anmerkung der Schriftleitung und drei Leitsätze vorangestellt, und die einzelnen Abschnitte werden jeweils mit einer Frage eingeleitet, die im Original an der entsprechenden Stelle fehlt.

 

Die am 1. Februar 1935 veröffentlichte Stellungnahme „Katholische Deutsche zur Durchführung des Sterilisationsgesetzes" ist also nach dem 9. Dezember 1933 wortwörtlich von Carl Eschweiler verfaßt worden und stellt eine Erläuterung und Ergänzung zu seinem „flüchtigen Gutachten" vom 15. Oktober dar. Das Gesetz selbst, offiziell „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" genannt, war am 14. Juli 1933 von der Reichsregierung erlassen worden, die „Verordnung zur Ausführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" folgte erst am 5. Dezember 1933. (REICHSGESETZBLATT. Jahrgang 1933. Teil I. Nr. 86, 25. Juli 1933, S. 529-531 und Nr. 138. 7. Dezember 1933, S. 1021-1036.) In ihnen ist, wenn die Mitteilung Thuns an Eschweiler zutrifft, allenfalls dessen „flüchtiges Gutachten" vom 15. Oktober berücksichtigt worden.

 

Diese erste Stellungnahme Eschweilers gelangte nach derselben Mitteilung über die Arbeitsgemeinschaft Katholischer Deutscher an die zuständigen Stellen. Bei der Organisation handelt es sich um den von Vizekanzler Franz von Papen am 3. April 1933 gegründeten, reichsideologisch orientierten Bund Kreuz und Adler, der im Herbst 1933 zur Arbeitsgemeinschaft Katholischer Deutscher umgebildet wurde. (Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933 ‑ 1945. I. 1933 1934 (VERÖFFENTLICHUNGEN DER KOMMISSION FÜR ZEITGESCHICHTE. Reihe A: Quellen, Bd. 5). Bearb. von B. STASIEWSKI. Mainz 1968, S. 306, Anm. 6. Vgl. auch L. VOLK, Nationalsozialismus. In: Ders., Katholische Kirche und Nationalsozialismus. Ausgewählte Aufsätze (VERÖFFENTLICHUNGEN DER KOMMISSION FÜR ZEITGESCHICHTE. Reihe B: Forschungen, Bd. 46). Mainz 1987, S. 119.) Ihr Ziel war die Förderung der Verständigung zwischen den deutschen Katholiken und dem neuen, von der NS‑Bewegung getragenen Staat. Nach dem Urteil Ludwig Volks vermochte sie als Produkt eines verspäteten Optimismus", „vom Kirchenvolk und den Bischöfen bestenfalls abwartend betrachtet, von den Parteigewaltigen belächelt", „den Geburtsfehler der Isolierung nie abzuwerfen“ (L. VOLK, Die Fuldaer Bischofskonferenz 1933 ‑ 1937, a. a. O. (wie Anm. 17), S. 16 f.) .

 

Der Brief Eschweilers an Graf Thun vom 23. Dezember 1933 gibt noch einige weitere Aufschlüsse über die Gründe und Motive des Theologen, das Sterilisationsgesetz nicht nur zu billigen, sondern auch seine Durchführung noch moraltheologisch zu untermauern. So heißt es nach den Ausführungen des ersten Abschnitts über die von Eschweiler negativ eingeschätzte Rolle der Barockscholastik:

 

Doch das hört [!) nicht hierher. Ich fürchte überhaupt, daß ich mich etwas ungeniert habe gehen lassen, bzw. daß Sie mich nicht ganz verstehen werden, sehr geehrter Herr Graf. Ich bin jedoch der sicheren Hoffnung, daß in nicht langer Zeit diese Gedanken oder Einsichten bei den katholischen Deutschen „auf der Hand" liegen werden. Das Schönste an dem Stlerilisations)-Gesetz sehe ich darin, daß es als einzelner, und nicht einmal entscheidend wichtiger „Casus" sehr geeignet ist, die katholischen Moralisten zu schockieren und zum Staunen zu bringen. Doch nun zu Ihrer zweiten Frage.( Eschweiler an Thun (wie Anm. 13), S. 4.)

 

Am Ende des zweiten Abschnitts kommt Eschweiler noch einmal auf die im ersten Abschnitt behandelten Fragen zurück:

 

Das mag genügen. Bei der ersten Frage mußte ich länger verweilen, weil meine Antwort Ihre Überzeugung zu überwinden hatte, s(ehr) g(eehrter) H[err) Graf, daß die Sterilisation „in der Enzyklika mit absoluter Logik ganz eindeutig ausgeführt sei und in direktem Gegensatze zum Sinn des Gesetzes stehe." Ihre Redewendung vom „Sinn des Gesetzes" veranlaßt mich, noch eine Bemerkung und eine Anregung beizufügen, selbst auf die Gefahr hin, daß dieser Brief gar zu gewichtig auftreten möchte. (Ebd. S. 5)

 

Die Ausführung des dritten Abschnitts beschließt Eschweiler mit einem Hinweis auf seine erste Stellungnahme, die, wie ihm Thun geschrieben hatte, angeblich „vollinhaltlich berücksichtigt worden" war: (Siehe oben S. 122, mit Anm. 14).

Ich wiederhole darum eindringlich die Mahnung meines flüchtigen Gutachtens vom 15. Oktober: „Eine prinzipielle Abschließung dieser Propaganda auf die Ebene rein eugenischer Maximen wäre . . . geeignet, den positiven Zweck des Gesetzes, d. i. den staatlichen Schutz des artgesunden Familienlebens, empfindlich zu gefährden. Die religiösen Kräfte im katholischen Volksteil sind zur glücklichen Durchführung des Gesetzes unentbehrlich.“ (Eschweiler an Thun, S. 6 f.)

 

Es folgen zum Schluß einige persönliche Bemerkungen, die ein bezeichnendes Licht auf Eschweilers theologische und politische Anschauungen werfen:

 

Nun aber Schluß mit dem Räsonnieren zum Ster(ilisations)‑Gesetz; es wäre zu dumm, damit noch Zeit zu verlieren.

 

Ich weiß noch nicht, ob ich nach Neujahr in Berlin sein werde, um den auf den B. Jan(uar) angesetzten Vortrag im Kath(olischen) Akadem(iker] Verband zu halten. Ein Zufall brachte mir nämlich die Kunde, daß P. Muckermann in einer Ortsgruppe des Westens einen Vortrag, als er ihm polizeilich verboten wurde, gleich in einer kath(olischen] Kirche (vor dem euchar[istischen) HERRN!) „in der Form einer Andacht" abgehalten habe. Ich habe vor acht Tagen den H. Prälaten Münch um Auskunft gebeten; er bestreitet in seiner Antwort nur den Ort (Essen), wo sich nach meiner durchaus glaubwürdigen Nachrichtenstelle dieser geradezu gotteslästerliche Vorgang abgespielt hat, ohne sich zu dem Vorgang selbst zu äußern. Wenn ich auf meine wiederholte Anfrage keine befriedigendere Antwort erhalte, muß ich natürlich den Vortrag absagen. Vielleicht vermögen Sie mir beruhigende Sicherheit zu geben, daß so etwas im Kath(olischen] Akademiker‑Verband nicht mehr passieren kann und daß er sich von solchen Machenschaften schlimmster Art öffentlich distanziert.

 

Nun, sehr geehrter Herr Graf, wünsche ich Ihnen heilige Weihnachten und frohen Mut zum neuen Jahr in dem endlich wieder gesundeten Pulsschlag des Herzens von Europa und der Christenheit.

 

Heil Hitler! ( Ebd. S. 7.)

 

In seiner Stellungnahme zum Sterilisationsgesetz glaubt Eschweiler, die Enzyklika Pius' XI. Casti conubii von 1930 über die christliche Ehe für sich in Anspruch nehmen zu können. Dies ist, gelinde gesagt, allzu durchsichtig. Wenn ihn an der deutschen Übersetzung der Stelle der Enzyklika „familiam sanctiorem esse statu" ärgert, daß „sanctiorem" mit „steht höher" anstatt „heiliger" oder „unantastbarer" übersetzt wird, so kann man dies nur als Haarspalterei bezeichnen. Vor allem mißfällt ihm, daß der Sterilisationsabschnitt in der deutschen Übersetzung mit dem Satz überschrieben wird: „Die Familie steht höher als der Staat". Entlarvend ist Eschweilers Zusatz: „Das war im Frühjahr 1933!"

 

Wenn die Enzyklika betont, daß die Obrigkeit über die körperlichen Glieder ihrer Untertanen keine direkte Gewalt habe, so folgert Eschweiler daraus, daß dem Staat eine indirekte Gewalt uneingeschränkt zugestanden ist, die ihm gestattet, den einzelnen verstümmeln zu lassen, soweit es das Gemeinwohl erfordert. Das ist fürwahr ein atemberaubender Gedankengang! Man vermag ihn überhaupt nur zu fassen, wenn man den Staat als einen totalen, über allem stehenden erkennt, wie ihn der bekannte Staatsrechtslehrer Carl Schmitt und mit ihm seine gelehrigen Schüler Carl Eschweiler und Hans Barion sehen.(Hierzu REIFFERSCHEID, S. 36, 45 und 53, Anm. 89.) So steht nach dieser Auffassung nicht mehr die Familie im Mittelpunkt des menschlichen Lebens, sondern eben der „natürlich wirksame Staat", um die Formulierung Eschweilers zu gebrauchen. So kommt er auch zu der Erkenntnis, daß jeder Deutschgeborene sein Heil nur durch das Heil seines Volkes erlangen kann und, so fügen wir in seinem Sinne hinzu, sich nötigenfalls für dieses sterilisieren lassen muß, was eben keine direkte Gewalt ist, sondern eine administrative. Dem Zynismus setzt Eschweiler die Krone auf, wenn er als Sache der Seelsorge bezeichnet, daß sich der Sterilisierte „dem Gesetze mit möglichst wertvoller Moralität fügt".

 

Nach dem Ersten Weltkrieg befaßte sich im katholischen Lager in Deutschland vor allem der auch von Eschweiler in seinem Brief vom 23. Dezember 1933 erwähnte Hermann Muckermann (erst Jesuit, dann Weltpriester) mit Fragen der Erblehre und Eugenik. Der Verfasser erinnert sich eines hinreißenden Vortrags, den Anfang der zwanziger Jahre Muckermann in Braunsberg über diese Themen hielt. Was die Sterilisierung betrifft, legten sich Muckermann und der deutsche Katholizismus nach dem Sterilisierungsgesetz größere Zurückhaltung auf. In seiner 1935 erschienenen „Eugenik" schrieb Muckermann: Die erfolgreichste Maßnahme sei aufs Ganze gesehen weder Bewahrung noch Sterilisierung, „sondern die eugenische Erziehung in den Familien der Erbgesunden". Das bemerkt Kurt Nowak in seiner Schrift über die Euthanasie. (K. Nowak, „Euthanasie" und Sterilisierung im „Dritten Reich". Die Konfrontation der evangelischen und katholischen Kirche mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" und der „Euthanasie"‑Aktion. Göttingen 1978, S. 111.)  Muckermann war 1927‑33 Leiter der Abteilung Eugenik im Kaiser‑Wilhelm‑Institut für Anthropologie in Berlin‑Dahlem.

 

Den Standpunkt der katholischen Kirche faßt Nowak, der Eschweiler und Barion als Befürworter des Sterilisationsgesetzes kurz erwähnt, noch ausführlicher wie folgt zusammen: „Die katholische Kirche verhielt sich gegenüber der Vernichtung ,lebensunwerten` Lebens strikt ablehnend und verwarf alle wie auch gearteten Argumente, die bemüht waren, die Vernichtung zu legitimieren. Im Mittelpunkt ihrer Ablehnung stand einmal der naturrechtliche Gesichtspunkt, daß jedem Menschen, auch dem Elendsten und Schwächsten, das unveräußerliche und unaufhebbare Recht auf die Integrität seines Leibes zugesprochen sei. Zum anderen vertrat sie die Auffassung, daß jeder Mensch, auch derjenige, der in den Augen der Welt nur noch eine massa carnis [Fleischmasse] darstellte, eine unmittelbar von Gott geschaffene unsterbliche Seele besitze, die die Hemmungen des Leibes überwinde und des ewigen Lebens zuteil werde. Der unendliche Wert der von Gott geschaffenen Seele dulde keine Lebensvernichtung. In der Enzyklika Mystici corporis von 1943 hat Pius XII. darüber hinaus noch dargetan, auch der Geisteskranke sei ein Teil des mystischen Leibes Christi." (Ebd. S. 129.) Wir dürfen sagen, daß sich an dem hier geschilderten Standpunkt der katholischen Kirche bis heute nichts geändert hat.

 

Gründe der Suspension und ihre Wirkung

 

Das Dekret der römischen Konzilskongregation vom 20. August 1934, mit dem die Professoren Barion und Eschweiler a divinis suspendiert wurden (D. ALBRECHT. Der Notenwechsel zwischen dem Heiligen Stuhl und der deutschen Reichsregierung. Teil II: 1937‑‑ 1945 (VERÖFFENTLICHUNGEN DER KOMMISSION FÜR ZEITGESCHICHTE. Reihe A: Quellen, Bd. 10). Mainz 1969, S. 82, Anm. 1.), nennt keine Gründe für diese Maßnahme. Den Grund für die Suspension erfuhren weder die beiden betroffenen Professoren noch der Bischof von Ermland Maximilian Kaller. Auch Generalvikar Aloys Marquardt wurde bei seinem Besuch in Rom im Mai 1935 lediglich gesagt, sie sei gemäß den geltenden Vorschriften des kanonischen Rechts erfolgt. (REIFFERSCHEID, S. 52. Vgl. auch S. SCHRÖCKER, Der Fall Barion. In: H. BARION, Kirche und Kirchenrecht. Gesammelte Aufsätze. Hrsg. von W. BÖCKENFÖRDE. Paderborn-München‑Wien‑Zürich 1984, S. 58 und 74.) Nach einer Mitteilung Kapers an den Münchener Erzbischof Kardinal von Faulhaber vom 3. Dezember 1937 war die Suspension über B a r i o n verhängt worden, „weil er schwer gegen die kirchliche Disziplin gefehlt habe.(SCHRÖCKER, S. 65.) So sind wir bei der Suche nach den möglichen Gründen auf Andeutungen und Kombinationen angewiesen. Wenn Ludwig Volk bemerkt, daß mit Barions vom kirchlichen Standpunkt abweichender Haltung in der Sterilisationsfrage das Einschreiten des Vatikans offenbar nur zum Teil erklärt ist (Akten Kardinal Michael von Faulhabers 1917 ‑ 1945. Il. 1935 ‑‑ 1945 (VERÖFFENTLICHUNGEN DER KOMMISSION FÜR ZEITGESCHICHTE. Reihe A: Quellen, Bd. 26). Bearb. Von L. VOLK. Mainz 1978, S. 588, Anm. 2)), hat er gewiß recht. Ähnliches hat schon Reifferscheid geäußert, der auf biblisch und dogmatisch zumindest unklare Formulierungen in einem Artikel Barions in der Europäischen Revue hinweist. (Vgl. REIFFERSCHEID, S. 52, Anm.89.)

 

Am meisten erfahren wir über die Gründe der Suspension Barions noch von Brigitte Poschmann. (In: ALTPREUSSISCHE BIOGRAPHIE. Hrsg. von E. BAHR und G. BRAUSCH, Bd. IV, 1. Lieferung, Marburg 1984, S. 1081.)  Unter ihren Quellen nennt sie Gerhard Fittkaus Vorarbeiten zu einer Biographie Maximilian Kallers. (Maschinenschriftl. Manuskript, 1982.) Nach dem 1980 entdeckten Nachlaß Eschweilers habe Barion „in Gutachten, Stellungnahmen und Empfehlungen die NS‑ und Reichsdienststellen bei den Konkordatsverhandlungen beraten sowie immer wieder Wege zur politischen Erziehung der katholischen Theologen im Geiste des Nationalsozialismus und zur ,geräuschlosen Entmachtung´der katholischen Organisationen aufgezeigt. Er sah darin ein ,Schachspiel, um die kleine und große Kurie (den ermländischen Bischof und den Papst) mattzusetzen`, und er führte dieses Spiel auch fort, nachdem er im Juli 1935 sich verpflichtet hatte, sich jeder parteipolitischen Betätigung zu enthalten, und die Suspension aufgehoben worden war." Soweit Frau Poschmann. Sie bestätigt damit die Gerüchte, die im Ermland über Gutachten Barions und Eschweilers für Staat und Partei umgingen.(Vgl. REIFFERSCHEID, S. 52.)

 

Was hier noch erwähnt sei: Dem Verfasser ist ein Schreiben zu Gesicht gekommen, das Barion und Eschweiler an eine bestimmte Stelle im Reichserziehungsministerium richteten. Darin ersuchen sie, den Professor für Geschichte und Literaturgeschichte an der Braunsberger Akademie Herman Hefele an eine größere Universität zu versetzen, weil er dort nach ihrer Meinung weniger Schaden anrichten könne als in Braunsberg. Hefele war der engagierteste Gegner des Nationalsozialismus an der Braunsberger Akademie. (Vgl. ebd. S. 50. ‑ Herman Hefele, ein Großneffe des bekannten Rottenburger Bischofs Karl Josefe. Hefele, ist vor allem durch Übersetzungen aus dem Lateinischen und Italienischen sowie durch Monographien wie über Dante, Petrarca, Casanova, Goethes Faust hervorgetreten. Der glänzende Essayist schrieb auch das vielbeachtete Buch Das Gesetz der Form".)

 

Ausführlich hat sich zum Fall Barion auch Sebastian Schröcker geäußert. (SCHRÖCKER (wie Anm. 27), S. 25 ‑ 75. Zu Schröcker verdient beachtet zu werden, daß er selbst ein „Fall" war. Wie gegen Barion erhob zur gleichen Zeit Kardinal Faulhaber Einspruch gegen die Berufung Schröckers zum Dozenten für Kirchenrecht in München, weil er „wesentliche Verpflichtungen, die er mit den Weihen übernommen hat, für sich nicht anerkennt mit der Begründung, er sei zu den Weihen gezwungen worden" (Akten Kardinal Michael von Faulhabers, Nr. 762, S. 635). Schröcker trat dann neben J. Roth als zweiter katholischer Priester in die Dienste des Reichskirchenministeriums in Berlin (ebd. S. 639, Anm. 1). Es ist nach dem eben Gesagten verständlich, daß Schröcker für Barion besondere Sympathien empfand. ‑ Schröcker dürfte irgendwann laisiert worden sein. 1952 wurde er Verwaltungsgerichtsrat. Er erklomm die Stufenleiter rasch bis zum Bundesrichter am Bundesverwaltungsgericht in Berlin (1955), Vgl. WHO is WHO 1973. ‑ Hier sei noch sogleich ein Irrtum Schröckers korrigiert: Wenn er von der Braunsberger Akademie schreibt: „Die Mitglieder des Lehrkörpers traten in die NSDAP ein" (S. 26), so trifft das in dieser Ausschließlichkeit nicht zu. Nach den Erinnerungen des Verfassers waren zumindest der Philosoph Switalski (der allerdings bald als Domkapitular nach Frauenburg berufen wurde), der Moralththeologe Jedzink und der Historiker und Germanist Hefele keine Parteigenossen.)  Er führt einen Bericht der Staatspolizei für den Regierungsbezirk Königsberg an das Geheime Staatspolizeiamt Berlin über die Suspension Eschweilers und Barions (Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. Rep. 90 P: Geheime Staatspolizei,  Lageberichte Provinz Ostpreußen. Bd. 6, H. 2, BI. 3, zitiert nach SCHRÖCKER, S. 30.)  an, in dem es heißt,

 

die Suspension Eschweilers sei erfolgt, weil er seinerzeit ein Gutachten erstattet habe, das sich auf das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses bezogen habe. In diesem Gutachten habe er unter Berufung auf eine päpstliche Enzyklika (Gemeint ist die Enzyklika Casti conubii) zum Ausdruck gebracht, das von der Reichsregierung erlassene Gesetz stehe nicht im Widerspruch mit den Grundsätzen der katholischen Kirche. Eschweiler selbst vermute, daß sein Gutachten durch eine Indiskretion zur Kenntnis der katholischen Kirche gelangt sei.

 

Der letzte Satz läßt auf Eschweiler als Informanten der Staatspolizeistelle schließen. Wenn in deren Bericht noch gesagt wird, der Antrag auf Suspension sei von dem ermländischen Bischof Kaller gestellt worden, so ist dies, wie wir schon wissen, unzutreffend.

 

Die Suspension Barions solle, heißt es in dem Bericht weiter, erfolgt sein, weil er in Berlin in einem größeren Kreis geäußert habe. (las Reichskonkordat sei „zu stark für die Kirche und zu schwach für den Staat".

 

Der Bericht gibt also eine unterschiedliche Begründung für die Suspension der beiden Professoren. Das neu gewonnene Material, das oben vorgestellt wurde (Siehe oben S. 115-121), scheint allerdings die Vermutung zu erhärten, daß die Stellungnahme Eschweilers und Barions zum Sterilisationsgesetz der eigentliche Grund für ihre Suspension gewesen ist. Ganz gleich, wer von beiden in einem bestimmten Fall die Feder geführt hat, sie waren,jedesmal "ein Herz und eine Seele", und man tut ihnen gewiß nicht unrecht, wenn man sie als geistige Zwillinge bezeichnet.

 

Bei der Suche nach den Gründen der Suspension stellt sich auch die Frage, wie Rom überhaupt zur Kenntnis der Machenschaften Barions und Eschweilers gekommen ist und welches Material der Anzeige zugrunde lag. Bisher gibt es darüber keine genauen Nachrichten. Allgemein wird die Ansicht vertreten, daß man im Reichskirchenministerium einem dort vorsprechenden evangelischen Geistlichen die Gutachten usw. Barions und Eschweilers vorgelegt habe, um zu zeigen, wie gut man mit der katholischen Kirche zusammenarbeite. Der evangelische Geistliche habe sich dann in seinem Gewissen verpflichtet gefühlt, den Vatikan davon in Kenntnis zu setzen. Daß ein evangelischer Geistlicher aus Berlin (Es könnte Pastor Dr. Janasch gewesen sein, der nach dem Kriege Professor an der Universität Mainz gewesen ist, vgl. SCHÖCKER, S. 62, Anm. 87) die Anzeige in Rom erstattete, ist auch Generalvikar Marquardt bei seinem schon erwähnten Besuch im päpstlichen Staatssekretariat gesagt worden.

 

Nun hält es Schröcker für möglich, daß der evangelische Geistliche nicht aus eigenem Antrieb, sondern im Auftrag des Bischofs von Berlin die Anzeige erstattete, wozu freilich kaum paßt, daß man Marquardt im Vatikan sagte, die Anzeige sei gemäß Can. 2186 CIC, also nach Wissen und Gewissen erfolgt. Doch hatte man in Rom in dem Fall gewiß gute Gründe, sich möglichst allgemein auszudrücken. Schröcker schließt nicht aus, daß Bischof Bares dem Geistlichen Schriftstücke wie Gutachten usw. mitgegeben habe. Das ging durchaus an: Diplomatengepäck wurde an der Reichsgrenze nicht geprüft, wenn es mit dem Siegel der diplomatischen Vertretung verschlossen war. Das galt auch für die Kurierdienste der Apostolischen Nuntiatur in Berlin. Bei einer Besprechung mit den deutschen Kardinälen in Rom am 9. März 1939 erklärte Pius XII.: „Wir haben den besten Beweis für die Sicherheit dieser Kurierverbindung aus der Zeit der Enzyklika Mit brennender Sorge. Kein Mensch hat davon etwas gewußt."(Ebd. S. 64.) Bischof Bares verfügte über ausgezeichnete Beziehungen zur Gegenseite, wobei ihm auch das Gutachten Barions zum Reichskonkordat zugespielt worden ist. (PREUSCHOFF (wie Anm. 2), S. 110 und 113.) Als mögliche Informanten des Berliner Bischofs nennt Schröcker die Ministerialräte Johannes Schlüter und Hans Globke. (Globke war nach dem Kriege ein enger Mitarbeiter des Bundeskanzlers Adenauer. Obwohl er wegen seiner Tätigkeit im Dritten Reich mehr oder weniger heftig kritisiert wurde, hielt Adenauer an ihm fest.)

 

Hinsichtlich der Wirkung der Suspension für die Betroffenen stellt sich die Frage, inwieweit mit der suspensio a divinis ein Lehrverbot verbunden war. Es liegt nahe, dies anzunehmen, wenn man davon ausgeht, daß abweichende Lehrmeinungen über die Erlaubtheit der Sterilisation der Grund für die Suspension waren. Schröcker meint, die suspensio a divinis hätte für sich allein die beiden Professoren nicht daran gehindert, ihre Vorlesungen fortzusetzen; sie hätten sie aber von sich aus eingestellt. Eschweiler habe sich krank gemeldet, Barion Urlaub beantragt. Hätten sie weiter ihre Vorlesungen gehalten, sollte nach einer Äußerung des Dompropstes Sander den Theologiestudenten verboten werden, ihre Vorlesungen zu hören. Dazu kam es aber nicht: Offensichtlich scheuten die beiden Professoren den offenen Konflikt mit der Kirche.

 

„Am 16. September 1935 bat Barion den Heiligen Stuhl um Lossprechung. Er wurde verpflichtet, eine Erklärung zu unterschreiben, in der er versprach, künftig in und außerhalb seiner Lehrtätigkeit vorbehaltlos dem kirchlichen Geist zu entsprechen. Daraufhin wurde die Suspension aufgehoben." (SCHROECKER, S. 33). Schwieriger gestaltete sich die Rekonziliation Eschweilers. Doch konnte Bischof Maximilian Kaller am 30. Oktober 1935 dem Reichserziehungsministerium mitteilen, daß die beiden Professoren an der Staatlichen Akademie zu Braunsberg Dr. Barion und Dr. Eschweiler von der über sie im vergangenen Jahre vom Heiligen Stuhl verhängten suspensio a divinis befreit worden seien und somit die Angelegenheit ihre Erledigung gefunden habe. (Ebd. S. 33 f. mit Anm. 25.)

 

Wie verhielten sich Barion und Eschweiler nach der Aufhebung der Suspension? Eschweiler an dessen wissenschaftlichem Rang keine Zweifel bestehen, was hier einmal ausdrücklich festgestellt sei blieb offensichtlich von der fixen Idee besessen, daß Religion und Weltanschauung zwei verschiedene Dinge seien und ein gläubiger Katholik die nationalsozialistische Weltanschauung bejahen könne. Der Erste Bürgermeister von Braunsberg, Ludwig Kayser, der im Frühjahr 1936 mit ihm in Berlin ein Gespräch führte, war wegen der Ansichten, die Eschweiler dabei vertrat, geradezu erleichtert, daß der bald darauf erfolgte Tod Eschweiler vor weiteren Konflikten mit der Kirche bewahrte.' (Wie Anm. 41) Eschweiler ist am 30. September 1936 im Berliner St.‑Hedwig‑Krankenhaus gestorben und in seiner Heimatstadt Euskirchen im Rheinland begraben worden. (Wie sehr der Fall Eschweiler die Gemüter bis auf den heutigen Tag bewegt, beweist eine Bemerkung des bekannten Publizisten Johannes Gross, der im FAZ‑Magazin vom 3. 3. 1989 die Behauptung wiederholt hat: „Der berühmte katholische Theologe Karl Eschweiler ließ sich in seiner SA‑Uniform zur Erde bestatten" (vgl. dazu PREUSCHOFF, a. a. O., S. 110, Anm. 9). Er weiß auch zu berichten: „Am Sterbebett waren die letzten Worte: Sorget dafür, daß der deutsche Gruß seine kultische Bedeutung behält." Die schriftliche Frage des Verfassers an Grass, woher ihm die Kunde• war. wurde nicht beantwortet.)  

 

Der Fall Barion

 

Wenn Brigitte Poschmann schreibt, Barion habe nach der Suspension sein Spiel fortgeführt (Wie Anm. 31) ‑ nach außen verhielt er sich völlig korrekt. Zum „Fall Barion" kam es erst in München, als der Reichserziehungsminister Rust im Einvernehmen mit dem Reichskirchenminister und dem Reichsdozentenführer trotz des Widerstandes anderer Instanzen, auch der Theologischen Fakultät, Barion für den mit dem Wintersemester 1936/37 vakant gewordenen Lehrstuhl für Kirchenrecht in München in Aussicht nahm.

 

Gemäß den Bestimmungen des Konkordats fragte der Reichserziehungsminister den Erzbischof von München, Kardinal Faulhaber, ob er gegen die von ihm in Aussicht genommene Berufung Barions wegen seines Lebenswandels und seiner Lehre Einwendungen zu erheben habe. Obwohl Bischof Kaller auf eine Anfrage Faulhabers wissen ließ, daß Barion nach der Freisprechung von der Suspension seine Lehrtätigkeit an der Braunsberger Akademie wieder aufgenommen und unbeanstandet ausgeübt habe, erhob der Kardinal am 5. Januar 1938 gegenüber dem Reichserziehungsminister „Erinnerung" gegen eine Berufung Barions; „wenn Barion auch weiter in Braunsberg gelehrt habe, so sei er doch zu sehr belastet, als daß man den Theologiestudenten in München gestatten könne, seine Vorlesungen und Übungen zu besuchen". (SCHRÖCKER, S. 36 mit Anm. 30.)

 

Der Reichserziehungsminister sah in dem Hinweis auf die „Erinnerung" keine Antwort auf die Frage nach Barions Lehre und Lebenswandel und beschloß, durch die Berufung Barions vollendete Tatsachen zu schaffen. Am 6. Mai 1938 schrieb ‑ eigentlich gar nicht ungeschickt ‑‑ Rust an Faulhaber, er könne sich den geäußerten Bedenken, daß die Berufung Barions ein Rückgang der in München studierenden Theologen aus anderen Diözesen zur Folge haben werde, nicht anschließen. „An der Akademie zu Braunsberg, an der Barion als Lehrer und Rektor wirke, studierten ebenfalls außer den dem Bischof von Ermland unterstehenden Theologen solche anderer Diözesen, insbesondere der Diözese Danzig und der Prälatur Schneidemühl. Die betreffenden Ordinarien hätten ihre Studenten aus Braunsberg weder zurückgezogen, noch hätten sie ihnen den Besuch der Vorlesungen Barions irgendwie verboten. Da die katholische Kirche einheitlich geführt sei und wohl in Bayern nicht nach anderen Grundsätzen handle als in Ostpreußen, könne die von Seiner Eminenz befürchtete Handlungsweise der anderen bayrischen Bischöfe nur als folgenschwere politische Aktion betrachtet und behandelt werden." (Ebd. S. 37 mit Anm. 31.)

 

Mit Wirkung vom 1. Juli 1938 ernannte der Reichserziehungsminister Barion zum Professor für Kirchenrecht an der Universität München. Der Erzbischof sah darin eine Verletzung des Konkordats und gab den Fall an den Konkordatspartner, also den Heiligen Stuhl, weiter. Am 12. September 1938 schrieb der Kardinalstaatssekretär Pacelli an Faulhaber, daß die Vorgänge an der Münchener Theologischen Fakultät den Heiligen Vater so sehr bewegten, daß er sich zur Absendung einer Note an die Reichsregierung entschlossen habe. Was Pacelli weiter schreibt, wird ermländische Gemüter nicht eben freuen:

 

Wenn die örtliche Erledigung des Braunsberger Falles damals mit einem Höchstmaß von Milde und Nachsicht erfolgt ist, so darf diese Tolerierung der Wiederaufnahme einer bereits begonnenen Lehrtätigkeit an einer zweitrangigen Akademie [!] in keiner Weise als rechtlicher Präzedenzfall für eine Beförderung an eine andere, höher qualifizierte und ungleich bedeutendere Fakultät gelten. (Akten Kardinal Michael von Faulhabers (wie Anm. 29). II, S. 596)

 

Die erwähnte päpstliche Note wurde der Botschaft des Deutschen Reiches beim Heiligen Stuhl übergeben. Sie ist nicht beantwortet worden. (Vgl. dazu SCHRÖCKER, S. 39 - 43.)

 

Am 12. Oktober 1938 verbot Kardinal Faulhaber den Theologen seiner Diözese den Besuch der Vorlesungen, die Barion für das Wintersemester 1938/39 angekündigt hatte. Die anderen Bischöfe und Orden, deren Theologen in München studierten, folgten seinem Beispiel. Faulhaber hatte damit eine Möglichkeit wahrgenommen, auf die der Kardinalstaatssekretär Pacelli am Ende seines Briefes vom 12. September hingewiesen hatte. (Zur Vorlesungssperre vgl. ebd. S. 43 - 46.) 

 

Am 16. Februar 1939 schloß das bayerische Kultusministerium auf Grund einer Ermächtigung des Reichserziehungsministers die Theologische Fakultät der Münchener Universität mit Wirkung vom Ende des Winterhalbjahres 1938/39 mit der Begründung, der Erzbischof habe ohne Rechtsgrund in die Freiheit der Wissenschaft und den staatlichen Wissenschaftsbereich eingegriffen und durch sein Verbot eine ersprießliche Tätigkeit der Fakultät boykottieren lassen. (Vgl. ebd. S. 46 - 49.)

 

Am 24. März 1939 schrieb der durch die Schließung der Theologischen Fakultät natürlich höchst betroffene Kardinal Faulhaber einen Briefanden Reichserziehungsminister Rust. Darin betonter zunächst noch einmal, daß seine „Erinnerung" gegen Barion ein Einspruch im Sinne des bayerischen Konkordats gewesen sei. Dann aber lenkt Faulhaber ein. Wesentlich sei die Tatsache, fährt er fort, daß Barion, der am Anfang vom Einspruch des Ortsbischofs nichts gewußt habe, während des ganzen Semesters in seiner Gesamthaltung der konkordatsmäßigen Lage Rechnung getragen habe. Einfach gesagt: Barion ließ sich für das Semester beurlauben. Der Diözesanbischof, bemerkt Faulhaber weiter, sei deshalb bereit, Herrn Professor Dr. Barion auf sein Ersuchen die kanonische Missio zu erteilen und damit das Verbot, Vorlesungen zu geben, aufzuheben, wenn auf diese Erklärung hin gleichzeitig die Wiedereröffnung der Theologischen Fakultät an der Universität München bekanntgegeben werde. Wörtlich schreibt Faulhaber: „Ich ersuche auch im Namen von Artikel 19 des RK [Reichskonkordats] die Reichsregierung um Wiedereröffnung der in der wissenschaftlichen Welt hochangesehenen Fakultät." (Akten Kardinal Michael von Faulhabers. II, S. 638.)

 

Die Reichsregierung gab dem Ersuchen Faulhabers nicht statt. Zu der Versteifung ihrer Haltung trug wesentlich bei, daß sich mit dem damaligen Stabsleiter des Stellvertreters des Führers, Martin Bormann, einer der ärgsten Kirchenfeinde einschaltete. (Martin Bormann (geb. 1900) wurde nach dem mysteriösen Flug von Rudolf Heß nach England 1941 Leiter der Parteikanzlei und hatte größten Einfluß auf Hitler. Er ist angeblich am 2.5.1945 in Berlin umgekommen.) Die Schließung der Münchener Theologischen Fakultät sollte den Auftakt zu einem Kahlschlag unter den theologischen Fakultäten überhaupt bilden. (Dazu verdient erwähnt zu werden, daß die noch vorhandenen sieben Lehrstühle in beispiellosem Zynismus als Grundlage für eine Hochschule des Nationalsozialismus übernommen wurden. Schon am 29. Januar 1940 ordnete Hitler an, daß diese „Hohe Schule" einst die zentrale Stätte der nationalsozialistischen Forschung. Lehre und Erziehung werden solle. Das „einst" ist durch den Ausgang des Krieges und Untergang des Dritten Reiches nicht eingetreten, vgl. SCHRÖCKER, S. 50-53.)

 

Daß dabei auch die Braunsberger Akademie auf die schwarze Liste kam, war nicht verwunderlich. Wenn ihr dann doch nicht das Lebenslicht ausgeblasen wurde, verdankte sie dies ihrem „guten" Ruf in Berlin und ihrer exponierten Lage im Nordosten Deutschlands. (Dazu die wesentlichen Ausführungen von REIFFERSCHEID, S. 54 ff.)

 

Noch einmal zu Barion. Durch die Emeritierung Albert M. Koenigers wurde in Bonn am 1. April 1939 der Lehrstuhl für Kirchenrecht frei. Die Bonner Theologische Fakultät war Barions, der wie Eschweiler Priester der Erzdiözese Köln war, geistige Heimat; er hatte an ihr studiert, promoviert und sich habilitiert. Die Fakultät setzte Barion auf ihrer Vorschlagsliste für die Neubesetzung des Lehrstuhls an die erste Stelle. Der Ortsbischof, Kardinalerzbischof von Köln Schulte, hatte sich schon in der Besprechung des Papstes Pius XII. mit den deutschen Kardinälen am 6. März 1939 für ihn eingesetzt; für ihn spreche, daß er nach seiner Suspension vier gute Dozenten nach Braunsberg gebracht habe.' (SCHRÖCKER, S. 53. ‑ Carl Eschweiler und Hans Barion waren Mitglieder der NSDAP. Von den unter ihren Rektoraten nach Braunsberg berufenen Theologieprofessoren  gehörte ihr keiner an. Sie waren durchweg hochqualifiziert und sind dann an deutsche Universitäten berufen worden, so der Kirchenhistoriker Karl Fink nach Tübingen, der Fundamentaltheologe und Dogmatiker Heinrich Kühle nach Münster, der Neutestamentler Karl Theodor Schäfer nach Bonn, der Fundamentaltheologe Gottieb Söhngen nach München, der Kirchenrechtler Johannes Vincke nach Freiburg, der Alttestamentler Joseph Ziegler nach Regensburg und Würzburg. ‑ Hier muß Reifferscheids Feststellung (S. 77) wiederholt werden: „Die nationalsozialistischen Dozenten Braunsbergs zeigten sich in einer eigenartigen Ambivalenz als die Kirche erheblich gefährdende, zugleich, soweit es die Existenz der Akademie und ihren unmittelbaren Wirkungskreis anging, als erhaltende Kräfte.") So wurde Barion zum Sommersemester 1939 nach Bonn berufen.

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg ist Barion wegen seiner NS‑Vergangenheit seines Lehrstuhls enthoben worden. In einem von ihm angestrengten Prozeß wurde ihm vom Oberverwaltungsgericht Münster in zweiter und letzter Instanz die Rückkehr auf den Bonner Lehrstuhl verweigert. Die Prozeßakten werden neben den einschlägigen vatikanischen Akten und dem Nachlaß Eschweilers die endgültige Darstellung des Falles Barion‑Eschweiler ermöglichen. Was nicht unerwähnt bleiben soll: Barion hat 1965 selbstkritisch einige seiner früheren Thesen, vor allem die Anerkennung des totalen Staates, wie er sich im nationalsozialistischen Regime zeigte, zurückgenommen. (REIFFERSCHEID, S. 46, Anm. 65.) Er ist am 15. Mai 1973 in Bonn gestorben. (Herrn Prof. Dr. Herbert Hömig (Köln) gilt der Dank des Verfassers für unermüdliche Hilfestellung bei der Beschaffung der einschlägigen Literatur.)

 

Was abschließend festgestellt werden muß: Die kirchlichen Maßnahmen gegen Barion und Eschweiler betrafen ihre die Kirche schädigenden Aktivitäten für das NS‑Regime; ihre eigentliche Lehrtätigkeit wurde nicht beanstandet. Der verstorbene angesehene ermländische Prälat Georg Grimme war bis zuletzt des Lobes voll für Eschweilers dogmatische Kollegs. Es trifft gewiß zu, wenn Johannes Gross in seiner süffisanten Bemerkung im FAZ‑Magazin vom 3. März 1989 Eschweiler einen berühmten Theologen nennt. So sahen sich ja die Oberhirten der Diözese Danzig und der Prälatur Schneidemühl keineswegs veranlaßt, Barions und Eschweilers wegen ihre Theologiestudenten aus Braunsberg abzuberufen.

 

Anhang

 

Katholische Deutsche zur Durchführung

des Sterilisationsgesetzes  (Nachdruck aus: ZIEL UND WEG. Zeitschrift des Nationalsozialistischen Deutschen Ärzte‑Bundes. 5. Jg., Heft 3, München, 1. Hornung [Februar] 1936, S. 75 - 77.)

 

Anmerkung der Schriftleitung: Die Sterilisierung als eine Methode der Heilkunde, die ihre Zielsetzung in die kommende Generation verlegt, hat, über Deutschland hinausgreifend, in das medizinische Denken und Handeln weiterer europäischer und außereuropäischer Länder Eingang gefunden.

 

Die nachfolgend auszugsweise wiedergegebenen Ausführungen zeigen, daß auch innerhalb katholischer Kreise positive Stimmen zur deutschen Sterilisationsgesetzgebung nicht fehlen.

 

Leitsätze:

 

I. Das Sterilisationsgesetz ist auch in theologisch-kirchlicher Hinsicht für ein gerechtes Gesetz zu halten. Die dagegen auftretenden Bedenken gründen in einer zwar bei den deutschen Katholiken noch vorherrschenden, aber trotzdem in einer falschen Vorstellung vom Wesen des Naturgesetzes und vom Sinn des betreffenden Abschnittes der Enzyklika „Cash connubii".

 

II. Das Sterilisationsgesetz ist nur ein einzelner, aber wegen seiner Dringlichkeit interessanter Fall für die Problematik des rationalistischen Naturrechtsbegriffes der Barockscholastik.

 

III. Das Sterilisationsgesetz wirkt unmittelbar in das religiöse und sittliche Leben hinein.

 

Erläuterungen zur Durchführung des Sterilisationsgesetzes.

 

I. Inwiefern kann das Sterilisationsgesetz auch mit der Encyklika „Casti connubii" in Einklang gebracht werden?

 

Die Encyklika spricht von der Sterilisation in einem Passus, der in 4 Abschnitte geteilt ist; in der offiziellen lateinisch‑deutschen Ausgabe bei Herder sind es die §§ 68 ‑ 71. Im ersten, zweiten und vierten Absatz, §§ 68, 69, 71, wird die Frage ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Gewissensbildung, d. i. der individuellen Moral, behandelt. Das Subjekt der moralischen Gewissensbildung ist der einzelne abstrakt für sich genommen. Unter diesem Gesichtspunkt wird es klar, daß die Kirche die künstliche Sterilisation niemals als moralisch gut hinstellen durfte, sondern sie als für den einzelnen unter allen Umständen unerlaubt erklären mußte. Um das einzusehen, braucht man sich bloß vorzustellen, welch mörderisches Chaos drohte, wenn die Sterilisation aus eugenischen Gründen der Willkür des einzelnen ausgeliefert würde. Man braucht übrigens nur aufmerksam zu lesen, um zu erkennen, daß die Encyklika auch dort, wo sie in den drei bezeichneten Paragraphen von Staat und Obrigkeit spricht, ausschließlich den Standpunkt der abstrakten, das private Gewissen regelnden Moral berücksichtigt. Hier wird nämlich von Staat und Obrigkeit nur insoferne geredet, als das moralische Individuum sein privates Gewissen zum öffentlichen Gesetz erheben möchte; also der spezifisch liberale, der zum Macht‑ und Schutzinstrument der absoluten Individualität gewordene Staat ist hier gemeint, nicht aber der natürlich wirksame Staat.

 

Ich darf hier auf einen für den „politischen Katholizismus" der verflossenen Zentrum‑Herrlichkeit kennzeichnenden Übersetzungsfehler hinweisen. Der zweite Absatz (§ 69) beginnt: „Die so handeln, vergessen zu Unrecht, daß die Familie h ö h e r  s t e h t als der Staat." Im Original heißt es: familiam sanctiorem esse statu. Die autorisierte (von wem?) Übersetzung trägt keinerlei philologische Gewissensbedenken, anstatt „heiliger" oder „unantastbarer" die falsche Bequemlichkeit des „steht höher" zu setzen, weil ihr Anfertiger den liberalen Staatsbegriff, den die Encyklika hier meint, unbesehen als selbstverständliche Wahrheit voraussetzt. Übrigens hat der Herausgeber der am weitesten verbreiteten „Volksausgabe der Encyklika", die mit eingeschobenen Überschriften die offizielle Übersetzung bringt, den Sterilisationsabschnitt einfach mit dem Satz überschrieben: Die Familie steht höher als der Staat. Das war im Frühjahr 1933!

 

Die politisch reale Bedeutung der Sterilisationsfrage wird von der Encyklika erst im dritten Abschnitt (im § 70) berührt, und zwar mit vorsichtiger und kluger Zurückhaltung. Sie behauptet nur, daß die Obrigkeit über die körperlichen Glieder ihrer Untertanen keine ,,direkte" Gewalt habe, es sei denn eigentliche Strafgewalt. Also indirekte Gewalt wird uneingeschränkt zugestanden. Das heißt aber: Jedes Staatsgesetz ist auch moralisch gerecht und erlaubt, wodurch der einzelne autoritativ in die Lage versetzt wird, sich körperlich verstümmeln zu lassen, wenn und soweit das Gemeinwohl das fordert: Die Güte und Gerechtigkeit dieser staatlichen Moral ist um so wertvoller, je wesentlicher ihr Beweggrund ist. Darum ist die Begründung des Sterilisationsgesetzes aus der nationalsozialistischen Weltanschauung viel würdiger als die ‑ ach, so einleuchtenden Rücksichten auf den Staatssäckel! Die Sterilisation des fraglichen Staatsgesetzes ist nun aber in keiner Weise unter den Begriff einer Körperstrafe zubringen. Sie ist genauso erzwungen und so freiwillig im sittlichen Sinne wie die unter Todesstrafe „erzwungene" Bereitschaft des Soldaten, sich für sein Volk verwunden oder töten zu lassen. Die sogenannte „Zwangssterilisation" ist, mit einem technischen Wort gesagt, keine coactio (direkte Gewalt), sondern administratio. Falls ein Patient nicht gerade tobsüchtig irrsinnig ist, wird er ohne jede direkte Gewaltanwendung sich dem Gesetze fügen. Es ist Sache der Seelsorge, daß er sich dem Gesetze mit möglichst wertvoller Moralität fügt.

 

Die weite Zurückhaltung, die von der Encyklika in diesem entscheidenden § 70 geübt wird, ist nicht von ohngefähr; sie ist ein Zeugnis jener bewundernswürdigen Zeitunabhängigkeit des Senso Romano, der auch in dieser Frage wie immer sich frei und unbestimmt zu halten weiß, um allen alles sein zu können.

 

Warum haben die deutschen katholischen Moralisten davon so bitter wenig gemerkt? Warum mußte dieser dumme Wirrwarr entstehen? Das debacle der deutschen Moraltheologen, das an diesem Casus erschütternd offenbar geworden ist, rührt daher, weil unsere Moralisten das Verhältnis von privater und öffentlicher Sittlichkeit vernachlässigt haben und bis über die Augen in dem neuzeitlichen Individualismus versunken waren. Seit der Barockscholastik hat sich die Moraltheologie von der allgemeinen Theologie selbständig gemacht; die Folge war, daß dem Moralisten sich alles Christliche und Kirchliche in Moral auflöste; wo aber nur moralisch gedacht wird, da entsteht keine wirkliche Moral, sondern ein abstrakter Moralismus, der die wesensmäßige Beziehung des subjektiven Gewissens zum objektiv‑politischen Handeln nicht mehr erkennen kann. Den Staat mißt die Barockscholastik an jener künstlichen Abstraktion, die sie Naturrecht nennt und die in Wahrheit nichts anderes ist als die Verabsolutierung des moralisch reflektierenden, d. h. privaten Gewissens. Will man dem vieldeutigen Schlagwort vom „Liberalismus" seinen historisch bestimmten oder, besser, seinen konkreten Ursprungssinn geben, so ist er geradezu zu definieren als die politische Praxis dieses barocken Moralismus, nämlich als der praktische Versuch, das abstrakt private Gewissen zum öffentlichen Gesetz zu machen. Kants bekanntes Wort „Handle so, daß die Maxime..." ist nur ein später und bereits Bedenklichkeiten verratender Ausdruck dieses die Neuzeit beherrschenden Geistes. Wie der rationalistisch moralistische Naturrechtsbegriff der Barockscholastik geradewegs zur Abkehr vom echten Naturrechtsgedanken und zur Auflösung jeder natürlichen Staatsordnung führen mußte, so ist sein Ergebnis auf dem engeren Gebiet der Moral selbst eine bequeme und ohnmächtige Illusionierung des Gewissens.

 

II. Inwiefern können im Augenblick Gewissenskonflikte durch das Sterilisierungsgesetz für einen Katholiken entstehen?

 

Ich halte es für eine ziemlich belanglose Frage, ob katholische Ordensschwestern der sterilisierenden Operation assistieren dürfen, sollen oder nicht dürfen und sollen. Es wird genug Kliniken geben, in denen solche Patienten oder unfreiwillige Volksschädlinge behandelt werden können. Diese Konkurrenz werden die katholischen Anstalten schon aushalten können; sie wird ja von Jahr zu Jahr nachlassen und nach zirka 30 Jahren überhaupt verschwinden. Wichtiger erscheint mir die Frage, daß mit allen Mitteln verhütet werden muß, die Beihilfe zur Sterilisation ein‑ bzw. abzuschätzen wie die Beihilfe zu Abortus oder ähnlichen Operationen. Es muß unter allen Umständen verhindert werden, solche Meinungen unter dem katholischen Volksteil aufkommen zu lassen. Diese Gefahr droht aber, wenn die Sterilisationsoperationen von allen katholischen Anstalten mit unvorsichtiger Begründung (moralisch echte Begründungen gibt es nicht, sondern höchstens Taktrücksichten) ausgeschlossen werden. Abortus und ähnliche Operationen sind nämlich ganz anders zu beurteilen als die Sterilisationen, die auf Anordnung der rechtmäßigen Obrigkeit und treu nach ihren Vorschriften ausgeführt werden. Letztere können nicht unmoralisch sein und unerlaubt, während das bei ersteren nur zu oft der Fall ist.

 

III. Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft katholischer Deutscher.

 

Die AdK. hat meiner Überzeugung nach bei der Durchführung des Sterilisationsgesetzes noch folgende wichtige Aufgabe zu erfüllen. Es handelt sich um die Propaganda für das Sterilisationsgesetz in der Presse und im Rundfunk. Die Presse­ und Rundfunkpropaganda für das Sterilisationsgesetz erfordert ganz besonderen Takt, und zwar auch religiösen und theologischen Takt. Er ist im großen und ganzen bisher innergehalten worden. Nur vereinzelte Unterorgane haben meines Wissens versucht, mit dem neuen Sterilisationsgesetz sozusagen „Staat zu machen". Das sollte unbedingt verhindert werden. Das politisch-sittliche wie das religiöse Interesse erfordert einmütig, daß im Gegenteil die entsetzliche Unsittlichkeit betont wird, die das deutsche Volk in diesen Zustand gebracht hat, daß der Staat zu solcher Notwehr greifen mußte. Die Propaganda für das Sterilisationsgesetz muß mit anderen Worten so geführt werden, daß sie nichts anderes ist als die negative Beweisführung für die höchste Verantwortung, die der einzelne bei der Eheschließung und in der Ehe für das Gemeinwohl der leib-seelischen Volksgesundheit zu tragen hat. Die durch unsittlichen Leichtsinn des „moralisch"-liberalistischen Zeitalters verursachte Todesgefahr der deutschen Nation hat das Sterilisationsgesetz notwendig gemacht, das noch so korrekt durchgeführte Gesetz bedeutet jedoch für sich allein noch keineswegs eine wirkliche positive Überwindung dieser Lebensgefahr des Volkes, und diese ist zu gefährlich und das Leben des deutschen Volkes zu heilig und unantastbar, als daß die natürliche Heiligkeit der Ehe durch ein lautes Sichbrüsten mit dem Sterilisationsgesetz beleidigt werden dürfte. Der Sinn des Gesetzes, das für sich rein abwehrend, also negativ ist, ist allein gerechtfertigt und erhält freilich eine bis ins tiefste reichende moralische Bedeutung dadurch, daß jeder Deutschgeborene sein individuelles Heil allein in und durch das Heil seines Volkes erlangen kann. Es leuchtet ein, daß die Propaganda, unter diesem Gesichtspunkt geführt, nicht nur mit dem religiösen und kirchlichen Interesse nicht kollidieren kann, sondern im Gegenteil auf sie hingeordnet ist.

 

Ich habe den Beitrag sorgfältig übertragen, kann aber nicht ausschließen, daß sich kleinere Übertragungsfehler eingeschlichen haben. M.P. Webmaster Braunsberg

 

Und hier die Inhaltsangabe auf polnisch - sie wie der Scanner das verarbeitet hat:

  

Suspensa profesoröw Akademii Braniewskiej

Eschweilera i Bariona w roku 1934

 

Streszczenie

 

Profesorowie Akademii Braniewskiej Carl Eschweiler i Hans Barion zostali zawieszeni w prawach wykonowania czynnosci na mocy dekretu Rzymskiej Kongregacji Soboru z dnia 20 sierpnia 1934. Frankfurter Zeitung z dnia 10 listopada podala jako usadnienie, ze profesorowie rzekomo wypowiedzieli sie w jednym z orzeczen, iz sterylizacja jest moAiwa do pogodzenia ze swiatopogl~idem katolickim. Urzg~dy panstwowe i partyjne ogniwa NSDAP zareagowaly gorz~Lczkowo na öw meldunek w Frankfurter Zeitung i rozpoczgly poszukiwania jego zrödel.

 

Odpowiednie materialy w Bundesarchiv w Koblencji podtrzymuj~L juz wczesniej wypowiadane przypuszczenia, ze oswiadczenie o sterylizacji bylo rzeczywistym powodem suspensy Eschweilera i Bariona. Za tym przemawia niezgodna z nauke kosciola tresc stanowiska, ktöre zajgtl Eschweiler w pi§mie z dnia 23 grudnia 1933 roku do Grupy Roboczej Katoliköw Niemieckich (Arbeitsgemeinschaft Katholischer Deutscher) w zwisizku z prawem o sterylizacji z dnia 14 lipca 1933 r. To stanowisko jest doslownie zgodne z anonimowym artykulem, ktöry zostal opublikowany jeszcze w lutym 1935 r. w narodowosocjalistycznym pismie medycznym Ziel und Weg.

 

Suspensa obydwu profesoröw zostala 16 wrzesnia 1935 roku anulowana. Po tym Eschweiler (ktöry j uz 30 wrzesnia 1936 r. zmarl), trwal niezmiennie przy swoim przekonaniu, ze wierzecy katolik moze afirmowac narodowo‑socjalistyczne widzenie swiata. Barion zachowal sie poprawnie. Jednak, gdy w roku 1937 powierzono mu katedrg profesorska prawa kanonicznego na wydziale teologii Uniwersytetu w Monachium, kardynal Faulhaber wniösl przeciwko temu zastrzezenie, powoluj4c sig na czasowe suspense profesora Bariona. Mimo to Barion uzyskal nominacji~. Gdy na skutek tego kardynal Faulhaber zabronil studentom teologii swojej diecezji uczestniczyc w wykladach Bariona ‑ bawarski Minister Kultury zamkno w lutym 1939 r. fakultet.

 

Zobowisizuj.~Lce przedstawienie sprawy Eschweiler ‑ Barion bgdzie mozliwe dopiero po dokladnym rozpatrzeniu odnosnych akt watykanskich, a takze aktöw procesu, ktöry Barion po wojnie bez powodzenia prowadzil z powodu pozbawienia go bonskiej katedry profesorskiej za j ego narodowo‑socjalistyczne przeszlosc.

 

Übersetzt von Maria‑Zofia Legiec‑Abramov

 

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Lieber Kybernaut!

Die Arbeit wurde mit größter Sorgfalt von dem gedruckten Werk gescannt und durchgesehen. Dennoch ist es nicht auszuschließen, daß Übertragungsfehler übersehen wurden. Für wissenschaftliche Verwendung empfehlen wir daher unbedingt die gedruckte Ausgabe.

Sie ist zu erhalten bei:

Historischer Verein für Ermland e.V.

Brandenburger Str. 5

35041 Marburg

 

Im übrigen bitte ich die Hinweise bei der Arbeit "Als Journalist im Dritten Reich" zu beachten. Und nun viel Freude und viele neue Erkenntnisse bei der Lektüre!

Ihr Webmaster Braunsberg/Ostpreußen

Michael Preuschoff