Mit der rheinischen Braut im Januar 1945 eine Spritztour in die Heimat

Eigentlich tut es mir leid, wenn ich auf die Bildband-Bestellungen, die so reinkommen, so einfach das Buch abschicke, Adresse auf den Umschlag, Buch und vorgedrucktes Anschreiben und Zahlschein rein, Briefmarken drauf und ab zum Postkasten... Und das, wo sich doch manche Besteller offensichtlich bei ihrer Bestellung sehr viel Mühe geben, mal eine Weihnachtspostkarte, mal ein paar Erinnerungen an die Heimat... Doch was soll ich machen?

Und bei den Bestellungen per E-Mail ist es ähnlich, wenn ich auch hier manchmal noch eine Antwortmail dazu schreibe.

Interessanter sind da schon die telefonischen Bestellungen, ach ja, wie kommen Sie dazu, woher wissen Sie von dem Bildband, bekommen Sie auch die Heimatbriefe, sind Sie in unserer Kartei? Oder gar, wenn ein Besteller in der Nähe wohnt: Wie ist es, soll ich das Buch vorbeibringen, vielleicht passt es ja, oder holen Sie es selbst ab?

Na ja, und ein solcher Besteller war der Herr Helmut Krieger aus Frechen, also ganz in der Nähe, nein, ich soll das Buch nicht bringen, er kommt selbst mit seiner Frau und holt es sich!

Und es kam zu einem tollen Gespräch!

Herr Krieger, nennen wir ihn hier einfach Helmut, ist also echter Braunsberger, und war im Krieg junger Panzersoldat oder genauer Panzerfahrer. Ach ja, so erfuhr ich, das ist so ein richtiges Team in einem Panzer, der Fahrer, der Richtschütze und der Funker und Ladeschütze in einem, der die Munition in das Rohr schiebt. Alles einfache Soldaten und Unteroffiziere. Und der Panzerkommandant ist hin und wieder ein Leutnant oder höher, und die Leutnants wechseln nun einmal öfter, passen also zunächst nicht so recht ins Team. Ein frischer Leutnant hätte sich so einmal erkundigt, wie das denn mit der Feindberührung sei, und da hätten sie ihn darauf hingewiesen, dass es gleich losgehe, aber er solle sich nicht in das Team einmischen, er solle lieber still in der Ecke sitzen, wenn es losballerte, und die Butterbrote schmieren. Und dabei hatte er dann auch die Hosen im wahrsten Sinn des Wortes voll, doch dafür war er dann der, der nach den Abschüssen die meisten Orden bekam... Einfach ist so ein Kampfgeschehen ja nicht, schließlich darf man ja nicht zu schnell anfangen zu schießen und damit zeigen, wo man in der Deckung ist, denn dann schießt der nächste Feindpanzer natürlich auch gleich los, und man ist erledigt. Also in der Deckung warten, bis alle gegnerischen Panzer auf der Bildfläche erscheinen, und dann Schlag auf Schlag – und eben schneller sein als die anderen, die ja erst einmal anhalten und zielen müssen, und man hat ja eine technisch erstklassige Waffe, damit klappt das dann auch - meistens! Ein grausiges Geschäft, aber den Krieg haben ja andere angefangen, jetzt geht’s nur noch ums eigene Überleben...

Krieger (ganz rechts) mit seinen Kameraden in den Uniformen gefallener russischer Soldaten, man hatte ja unsere Soldaten in Sommeruniformen in den russischen Winter geschickt

Und vor einem seiner Panzer

Na, und als er im Herbst 1944 mit seiner Eliteeinheit von Ostpreußen abgezogen wurde und im Westen war, hat er schließlich auch seine Frau hier in der Gegend westlich von Köln kennen gelernt. Ich bin natürlich neugierig! Also, im Herbst 1944 war sein Panzer nach einem Treffer auf das Kettenantriebsrad quer durch das Innere des Panzers und auch durch seinen rechten Arm hier in Marsdorf bei Köln im Panzerwerk zur Reparatur, und da er also verwundet und erst einmal kampfunfähig war, sollten er und ein Kamerad in der Nähe des Panzers bleiben und sich irgendwo einquartieren. Irgendwie landeten die beiden beim Bürgermeister des Nachbarortes Sielsdorf und der wies ihnen die Familie Sester (wie das „Kölsch“-Bier) zu. Und zwei Töchter gab es dort noch, die 19jährige Erna und die 16jährige Elisabeth. Na, die 19jährige hätte sie ja schon interessiert, aber die hatte gar kein Auge für die beiden verdreckten und verlausten jungen Kerle. Doch die16jährige nahm sich der beiden an, wusch und flickte deren Sachen, und siehe, dann hatte auch die 19jährige Interesse und sie gab ihm sogar den Tip weiter, den sie von einem Leutnant gehört hatte, wie man nämlich das Heilen der Verletzungen verhindern konnte, um den Krieg heil zu überstehen – indem man nämlich Zucker auf die Wunden streut, und der Krieg war ja sowieso vorbei... Und schließlich kamen die beiden auch noch im Januar 1945 auf die Idee, nach Ostpreußen zu fahren, damit das Mädel mal die Gegend dort kennen lernt. An und für sich gab es dafür ja keine Erlaubnis, doch als sie dem Bürgermeister erzählten, dass sie in Braunsberg heiraten wollten (obwohl sie noch gar nicht so weit waren), da ging´s dann doch!

In Elbing wurden sie von einem Kettenhundoffizier, also einem Feldgendarm, angehalten: „Ihre Papiere bitte“. Und Helmut zeigte einen Urlaubsschein, den er etwas „korrigiert“ hatte. Der Offizier sah sich den an und meinte, er sei ein wenig jeck auf Panzer, Helmut sollte doch mal seinen Mantel aufmachen und sehen lassen. Und er zeigte die ordensbestückte Brust. Und da meinte der Kettenhund: „Also ich gebe dir zwei Minuten Zeit, dass du verschwindest, andernfalls muss ich dich erschießen lassen...“ Also mit Braut weg und wieder ins Gewühl und in den Zug nach Braunsberg. Und dort auf dem Bahnsteig wieder solche Kettenhunde! Doch davor auf dem Bahnsteig gab´s noch eine Rotkreuzschwester, also hin zu der, schließlich war Helmut ja noch verwundet und hatte einen Arm im Verband, und sich eingehakt und sie gefragt, ob - doch da drehte sie sich um, und siehe, es war die Cousine Hilde (ebenfalls Krieger), und eingehakt zogen die beiden humpelnd am Braunsberger Kettenhund vorbei...

Das rheinische Mädel war ja schon erstaunt, als in Braunsberg alles wie in tiefsten Frieden aussah, keine Verdunkelung und sogar volle Beleuchtung, keine Lebensmittelkarten, die Läden waren voll.

Das Problem war jedoch die Rückfahrt. Helmut hatte sich zum Lazarett begeben und den Oberfeldarzt vorsichtig um entsprechende Reisebescheinigungen gebeten, doch der antwortete, dass er ihn doch geboren hätte – es war der alte Hausarzt der Familie Dr. Hartung! Und der schickte ihn zur Frontleitstelle Königsberg, und von dort wurde er dann zur Frontleitstelle Bonn weiter verwiesen, was natürlich alles nicht so klappte, schließlich landete er über Breslau im Lazarett in Wien. Von dort erreichte er dann wieder seine Einheit in Mülhausen in Thüringen, wo er von den Amerikanern gefangen genommen und in ein Lager in Reims in Frankreich verfrachtet wurde.

Und wie ging´s zurück mit der jungen Braut? Eigentlich gar nicht mehr! In Braunsberg war sie zunächst einmal in einen Zug in die falsche Richtung gestiegen, also nach Königsberg. Dort sprach sie mit einem Soldaten aus Dirmelsheim im Landkreis Köln, der ihr riet, nach Pillau weiterzufahren und zu sehen, wie sie über den Seeweg in den Westen kam. Eine rote Karte für ein großes Schiff bekam sie dort allerdings nicht, denn die großen Schiffe waren schon voller Verwundeter und Flüchtlinge, doch auf einem Begleitschiff der Duala, einem Torpedoabfangschiff, waren Kölner Matrosen, und die hatten schon drei kölsche Mädchen aufgegabelt und sie riefen ihr zu: „Komm, wir haben schon drei kölsche Mädel, auch Du kannst noch einsteigen!“

Helmut hatte in seinem Gefangenenlanger so hintenherum erfahren, dass er sich für die Arbeit im Steinbruch melden sollte, wenn gefragt wurde. Als also dann 30 Arbeiter gesucht wurden, waren er und ein Kamerad die einzigen, die vortraten und sich freiwillig meldeten. Der zuständige alliierte Offizier suchte sich dann noch weitere 28 Gefangene heraus, alles offensichtlich alt und krank aussehende Leute. Und es ging allerdings nicht zum Steinbruch, sondern dran vorbei und dann tagelang mit Lastwagen und in mit Stacheldraht verbarrikadiertem Eisenbahnwaggon durch die Gegend mit unbekanntem Ziel – bis sie schließlich in Münster waren, zur Entlassung. Um nicht an die Russen ausgeliefert zu werden, schließlich wurden die Gefangenen nach ihrem Heimatort aufgeteilt, hatte Helmut kurzerhand wieder einmal eine Urkunde „frisiert“ und in seinem Soldbuch die Adresse seiner Freundin bei Köln eingetragen, und so kam er zu seiner Frau und zu seiner neuen Heimat! - Inzwischen gab es die diamantene Hochzeit und gibt es zwei Kinder und fünf Enkel und sieben Urenkel!

Das frisierte Soldbuch: Braunsberg gestrichen, stattdessen die Adresse in Sielsdorf bei Köln

Helmut erzählte dann auch noch von den Kameradschaftstreffen mit den Kameraden von der alten Einheit, auch bei dem Kommandeur Sepp Brandauer in Radstatt, der dort Bauer war und der gleich den Kameraden das Du anbot, ja, das waren noch Zeiten!

Und so holten sich also die beiden das Buch bei mir ab.

Panzerfahrer Krieger mit seiner rheinischen Braut nach der diamantenen Hochzeit

 

Irgendwann kam auch das Gespräch darauf, dass er einmal in russischer Gefangenschaft war, drei Tage, ja wie das denn? Ach, da war der eigene Panzer zerschossen, und sie wurden zu dritt gefangen genommen und in eine Sauna eingesperrt, mit einem Soldaten zur Wache davor. Und was nun? In zwei Kilometer Entfernung konnten sie die deutschen Kameraden erkennen und die Sonne schien durch das Fenster in der Tür der Sauna. Und da besannen sich unsere drei Landser ihrer Erkennungsmarken und nutzten sie als Spiegel und blinkten hinüber zu den deutschen Linien. Die Kameraden dort merkten schnell, dass da irgendetwas nicht stimmte, dass da wohl eigene Leute sein müssten. Und die Artillerie hatte ja gute Zielfernrohre – von Zeiss - und die Geschütze waren Präzisionsgeschütze, also wurde von der Sauna das Dach abgeschossen... Der Wachsoldat türmte und die drei machten sich aus dem Staub – und kamen auch wohlbehalten in den eigenen Linien wieder an...

Meine Gedanken dabei: Für Helmut ist es ja letztlich gut gegangen, da war der Krieg sogar so etwas wie ein Abenteuer. Aber die vielen anderen, auch die Gegner, bei denen das alles nicht so war... Und wenn ich bedenke, was hier für Engagement gegeben hat und für Mut und Intelligenz – hätte man das alles nicht auch für etwas Vernünftigeres einsetzen können?             Michael Preuschoff

www.braunsberg-ostpreussen.de